Ingolstadt
Volltreffer im Festungsschutt

Auf dem Ingolstädter Gießereigelände wurden die ältesten Schubkarren Mitteleuropas entdeckt

06.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:53 Uhr
Archäologen und Historiker wie (von links) Gerd Riedel, Ansgar Reiß, Stefan Dembinski und Ruth Sandner freuen sich über die fast vollständig erhaltene Schubkarre aus dem Fundgut des Gießereigeländes. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Sie sind rund 480 Jahre alt und wurden beim Bau der Festung eingesetzt: Bei Grabungen auf dem Gießereigelände am Rande der Altstadt haben Archäologen die zwei ältesten Schubkarren Mitteleuropas entdeckt. Im feuchten Boden haben sich die beiden Geräte aus Buchenholz fast vollständig erhalten. Ein restauriertes Exemplar wurde jetzt vorgestellt.

"Das war wirklich eine große Überraschung", erinnerte sich Grabungstechniker Stefan Dembinksi, als er und seine Kollegen im Boden auf die ersten Holzteile stießen. Denn historisch sind so alte Schubkarren vor allem aus Nordwesteuropa überliefert. Wie er gestern vor der Presse sagte, sei bereits bei den Grabungen 2013 ein Rad gefunden worden. Ein Jahr später entdeckten die Archäologen in rund 30 Metern Entfernung die eigentliche Schubkarre. Im vergangenen Jahr legten sie ein baugleiches Exemplar frei, vermutlich wurden beide gemeinsam hergestellt.

Im Auftrag der Stadt Ingolstadt hatte die Grabungsfirma Pro Arch unter der Fachaufsicht des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege die Ausgrabungen in den Festungsanlagen durchgeführt. Die dendrochronologischen Untersuchungen des Landesamtes weisen nach Angaben der Stadt darauf hin, dass die Schubkarren in den 1530er-Jahren eingesetzt worden sind. Eine der beiden datiert danach ins Jahr 1537, also genau in das Jahr des Baubeginns der Festung Ingolstadt. "Die Schubkarren sind damit die ältesten erhaltenen Exemplare in Mitteleuropa", so der städtische Archäologe Gerd Riedel, der sich von zahlreichen Kollegen, die er zusätzlich dazu befragt hat, bestätigt sieht.

"Funde aus Festungsanlagen sind normalerweise rar, denn das Militär hielt Ordnung", so Riedel. Erst nach deren Aufgabe seien unbrauchbar oder nicht mehr benötigte Gegenstände in den Boden gelangt, meist Siedlungsabfall aus Keramik, Glas und Speiseresten, um die Gräben zu verfüllen. Die Ausgrabungen auf dem Ingolstädter Gießereigelände, die bayernweit umfangreichsten archäologischen Untersuchungen in Festungsanlagen, haben laut Riedel "ein wesentlich breiteres und besonders interessantes Fundspektrum" geliefert.

Neben Munition und Uniformteilen umfasst das Fundgut vor allem Alltagsgegenstände, die bei Zivilisten und wohl vorwiegend bei Militärangehörigen in Gebrauch waren, denn die Wehrbauten auf dem Gießereigelände blieben auch nach dem Verlust ihrer Verteidigungsfunktion fast ununterbrochen in der Hand des Militärs. Die Funde reichen laut Riedel vom Beginn des Festungsbaus im 16. Jahrhundert bis in die Zeit der militärischen Rüstungsbetriebe mit dem Höhepunkt der Produktion im Ersten Weltkrieg.

Die gestern präsentierte Schubkarre gehört nach Angaben der Fachleute zu den ältesten Funden, die in militärischem Zusammenhang zu sehen sind, nämlich mit dem Beginn des Festungsbaus ab 1537. Die Arbeiten zur Errichtung der später so genannten Eselbastei auf dem heutigen Gießereigelände waren besonders aufwendig. Die Ausgräber stießen bei ihrem Vorstoß in die Tiefe auf beeindruckende Holzbauwerke zur Eindämmung des Grundwassers und der unmittelbar benachbarten Donau. Im Zuge dieser Bauarbeiten verblieben zahlreiche hölzerne Bestandteile der Baustelleneinrichtung im feuchten Boden.

Die zeitliche Einordnung von Brettern und Böcken für Arbeitsplattformen sowie weiterer Schubkarrenteile verweise die nun restaurierte Schubkarre in die 1530er-Jahre, so Riedel. Der jüngste erhaltene Jahresring ihrer Buchenholzbretter entstand zwar schon im Jahr 1531. Eine erhaltene Waldkante (der letzte Jahresring unter der Rinde) bei der zweiten, noch beim Restaurator befindlichen Schubkarre datiert in das Jahr 1537. Für Ruth Sandner vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege stellen die Funde einen Glücksfall dar, zeigten sie doch "den Menschen hinter der Festung".

Da Ingolstadt als stärkste Festung Bayerns über Jahrhunderte eine Schlüsselrolle in der Militärgeschichte Bayerns gespielt hat, wird die Schubkarre nach ihrer kompletten Restaurierung ab Juni 2019 als Leihgabe des Stadtmuseums in der neu konzipierten Schausammlung des Bayerischen Armeemuseums zu sehen sein. Sie wird die Jahrhunderte währenden Schanzarbeiten in Ingolstadt veranschaulichen, die schließlich den Bürgern der Stadt den Namen "Schanzer" gaben. Ansgar Reiß, Direktor des Armeemuseums, freut sich auch über die große Nähe der Ausstellung zum Fundort. Die Schubkarre wird im Raum über den Belagerungskrieg gezeigt, wo auch ein Modell der Festung um das Jahr 1565 zu sehen ist.

Schubkarren sind nördlich der Alpen erst seit gut 800 Jahren bekannt. Sie waren zunächst nur in Schrift- oder Bildquellen, vor allem aus Nordwesteuropa, überliefert.

Bernhard Pehl