Ingolstadt
Suren auf dem Südfriedhof

In der christlichen Begräbnisstätte gibt es zwei islamische Abteilungen - dort wurde jetzt der Toten gedacht

15.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:48 Uhr
Den islamischen Teil auf dem Südfriedhof gibt es schon länger als 30 Jahre. Eines der ersten Gräber stammt aus dem Jahr 1986. "Muslime der dritten und vierten Generation wollen immer häufiger in Ingolstadt beerdigt werden", heißt es von den Religionsgemeinschaften. −Foto: Fotos: Brandl

Ingolstadt (DK) Am Donnerstagabend endete auch für die in Ingolstadt lebenden Muslime der Fastenmonat Ramadan. Mitglieder des Ingolstädter Ortsvereins der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) nahmen dies traditionell zum Anlass, um auf dem Südfriedhof mit einem Gebet ihrer Verstorbenen zu gedenken.

Der Ort scheint ungewöhnlich gewählt, ist er vielen Einheimischen zunächst als christliche Ruhestätte ein Begriff. Zwei Abteilungen auf dem Friedhof sind jedoch für Bestattungen nach islamischem Zeremoniell vorgesehen. Rein äußerlich unterscheiden sich die Grabstätten auf den ersten Blick kaum von christlichen Gräbern. Grabsteine und Holztafeln sind mit den Namen und Geburts- und Sterbedaten der hier zur letzten Ruhe Gebetteten versehen. Einmal ist ein Bild des Verstorbenen angebracht. Frische Blumen schmücken die Gräber, welke Blüten werden von den trauernden Angehörigen behutsam entfernt.

Erst ein zweites Hinsehen offenbart die Unterschiede zu den christlichen Gräbern, die nur einen Steinwurf weit entfernt liegen. Kreuze findet der Besucher an einer islamischen Grabstätte nicht. Ebenso wenig Kerzen und Grablichte. Auch allzu großen Prunk bei den Grabsteinen sucht man vergebens. Der muslimische Friedhof besticht mehr durch eine fast schon ungeschönte Schlichtheit der Grabreihen, die für abendländische Friedhofskultur mitunter gewöhnungsbedürftig ist. An einer Stelle markieren ein paar in die Erde gesteckte Zweige den Ort der Grabstelle. Sie ersetzen eine Einfassung aus Stein oder Granit. Die Inschrift eines anderen Grabes ist provisorisch mit blauer Farbe aufgetragen. Wie ein flüchtiger Pinselstrich für die Ewigkeit. Einfachheit, die betreten macht, die dem Gedenken aber gerade deshalb unverblümt ihren eigenen Ausdruck verleiht.

Um zu trauern und zu gedenken sind am frühen Abend die rund 30 Frauen und Männer der IGMG auf den Friedhof gekommen. Vor dem Betreten der ersten Abteilung betet Imam Mehmet Fasiloglu Suren aus dem Koran vor. Anschließend bitten die Gläubigen vor den Gräbern in einem weiteren Gebet um Vergebung der Sünden. Danach wenden sie sich den einzelnen Grabstätten zu und zeigen ihre Anteilnahme.

Nebenan, getrennt durch eine Hecke, liegt eine weitere muslimische Abteilung. Sie ist für die Gräber von Säuglingen und Kindern vorgesehen. Einige Babys, die hier die letzte Ruhe gefunden haben, wurden gerade einmal einen Tag alt. Eines der Kindergräber ist mit einem Spielzeugauto geschmückt - vermutlich das Lieblingsspielzeug des verstorbenen Kindes. Aus religiösen Gründen sei das im Islam nicht üblich, sagen Ibrahim Celik und Abdurrahman Bekar von der IGMG. Es werde aber toleriert. Nach einem Rundgang an den Gräbern vorbei versammelt sich die Gruppe um den Imam, der die Predigt spricht. Nach knapp einer Stunde ist die Zeremonie vorbei.

Im islamischen Jahr werde an drei Tagen kollektiv der Toten gedacht, erzählen Celik und Bekar. Vor dem dreitägigen Zuckerfest, das mit Ende des Ramadan beginnt, am Opferfest sowie zwei Monate vor Beginn des Ramadan. Vergleichbar sei dies mit dem Gedenktag Allerheiligen.

Den islamischen Friedhof gibt es schon länger als 30 Jahre. Eines der ersten Gräber stammt aus dem Jahr 1986. "Muslime der dritten und vierten Generation wollen immer häufiger in Ingolstadt beerdigt werden", sagt Bekar. Auch müsse davon ausgegangen werden, dass muslimische Einwanderer der ersten und zweiten Generation in den kommenden Jahren und Jahrzehnten sterben. Ein Anliegen der Gemeinde sei es deshalb, für diese Zeit mit mehr Platz für Begräbnisse vorsorgen zu können. Sei es durch weitere Abteilungen auf den Friedhöfen oder mit einem eigenen islamischen Friedhof. Solche gebe es auch in anderen Großstädten wie in Berlin, sagt Bekar. Er glaubt, dass ein eigener Friedhof Muslime mehr dazu bewegen würde, diesen öfter zu besuchen, als es dem Anschein nach auf dem Südfriedhof der Fall ist, wo einige Gräber vernachlässigt wirken. Eine nach außen getragene symbolische Gemeinsamkeit zwischen Christentum und Islam wäre damit freilich verschwunden.

Für eine junge Muslimin, die mit ihrer Mutter ein Grab besucht, ist diese Gemeinsamkeit aber gerade an diesem Tag offenbar selbstverständlich. "Wir beten heute nicht nur für unsere Verstorbenen, wir beten für alle Gestorbenen, die hier liegen. Schließlich sind wir doch alle Menschen", sagt sie.

Michael Brandl