Ingolstadt
Schon seit Jugendjahren mit der Pistole unterwegs?

Mordprozess gelangt ans Ende der Beweisaufnahme: Psychologisches Gutachten und blutige Details aus der Rechtsmedizin

16.03.2021 | Stand 23.09.2023, 17:25 Uhr
Der angeklagte Kurde - hier bei der Vorführung an einem früheren Prozesstag - will seine Pistole schon seit dem 16. Lebensjahr besessen haben. −Foto: Heimerl

Ingolstadt - Nach dem sogenannten Raserprozess vor derselben Kammer des Landgerichts nähert sich auch der Mordprozess um die tödlichen Schüsse an der Ettinger Straße dem Ende der Beweisaufnahme.

Am Dienstag sind noch einige Zeugen aus dem zum Tatort gewordenen türkischen Café vernommen worden, ohne dass wesentlich Neues bekannt wurde. Größeren Erkenntnisgewinn gab es erwartungsgemäß aus dem rechtsmedizinischen und aus dem psychologischen Gutachten.

Was ist der angeklagte 38-jährige Kurde für ein Mensch, welche Vorgeschichte und welchen Bildungshorizont hat er, was hat ihn zu der Bluttat am 19.Juni vorigen Jahres getrieben? Im Prozess sind bereits einige Schlaglichter auf die Persönlichkeit des Mannes geworfen worden, doch eine zusammenhängendere Geschichte hatte bislang nur der mit der Exploration beauftragte Münchner Mediziner Maximilian Wertz, Facharzt für forensische Psychologie, vom Angeklagten erzählt bekommen.

Den Aufzeichnungen dieses Gutachters zufolge ist der Angeklagte in seiner türkischen Heimat erst mit acht Jahren eingeschult worden und nur wenige Jahre zur Schule gegangen. Dennoch will er einen (von ihm so bezeichneten) Realschulabschluss erreicht und später in der Türkei bei einem Textilunternehmen, zuletzt aber als Immobilienvermittler in der Tourismusbranche gearbeitet haben. Mit dem Gesetz ist er nach eigenen Angaben in der Türkei in Konflikt geraten, als er - angeblich aber nur als kleines Licht - in einem Scheckfälscherring für die Mafia tätig war. Hier soll es auch einen Prozess und später, als er (ab 2007) bereits in Deutschland war, auch eine Verurteilung in Abwesenheit gegeben haben. Er habe seine Heimat deshalb lange nicht mehr besuchen können, so heißt es.

Überrascht hat Prozessbeteiligte wie auch Beobachter die beim Psychologen gemachte Aussage des Mannes, dass er die bei der Tat in Ingolstadt benutzte Pistole schon seit seinem 16. Lebensjahr "regelmäßig bei sich getragen" habe. Im Verfahren selbst hatte der Angeklagte ausgesagt, dass er die tschechische Waffe erst seit etwa zwei Jahren besessen habe.

Dazu, dass die halbautomatische ? eská eine längere und dunkle Vorgeschichte haben dürfte, passt allerdings die Erkenntnis des Landeskriminalamtes, dass die am Tatabend verwendete Munition aus Patronen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Fabrikation bestanden hat.

In Deutschland will der Mann dann zunächst in Göttingen ein türkisches Café betrieben und auch handwerklich gearbeitet haben. Wann er in die Region Ingolstadt kam, wurde aus dem Gutachten nicht klar ersichtlich. Immerhin war er aber zuletzt im Landkreis Eichstätt gemeldet, und er soll ab 2017 - wohl mit eher mäßigem Erfolg - als selbstständiger Pflasterer tätig gewesen sein. Wegen Verbindlichkeiten dieses Unternehmens, aber auch wegen nicht geleisteter Unterhaltszahlungen - er hat angeblich eine getrennt lebende Ehefrau und drei Kinder - drücken den Kurden seinen Angaben zufolge Schulden im hohen fünfstelligen Bereich.

Zur Vorgeschichte der Tat hat der Angeklagte beim Psychologen ausgesagt, dass er die Demütigung durch Schläge des später von ihm erschossenen Landsmannes (DK berichtete wiederholt) nicht verwunden habe. Ihm seien Aussagen des Kfz-Werkstattbetreibers zu Ohren gekommen, wonach er, der 38-Jährige, dem älteren Mann "erst mal die Füße küssen müsse", bevor er wieder von diesem akzeptiert werde. An dem bewussten Abend sei er dann in dem Lokal an der Ettinger Straße von dem Kontrahenten "blöd angesprochen" worden. Deshalb sei es zur Affekttat gekommen. Der Psychologe: "Er hat die Kränkung nicht mehr verkraftet. "

Die Schüsse in dem türkischen Café waren dann eine Sache weniger Sekunden gewesen. Drei der vier abgefeuerten Projektile hatten den 50-jährigen Werkstattbesitzer, der mit fünf anderen Männern an einem Tisch gesessen hatte, getroffen. Rechtsmediziner Randolph Penning, auch nach seiner Pensionierung noch für das entsprechende Institut der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität unterwegs, berichtete am Dienstag ausführlich über das bereits am Tatort von einer Kollegin aufgezeichnete Verletzungsbild und über die Ergebnisse der Obduktion des Leichnams.

Wie schon berichtet, war der 50-jährige Kurde zweimal im Schulterbereich in den Rücken und einmal rücklings in den rechten Arm getroffen worden. Während die Verletzungen am Arm und in der linken Brust als Durchschüsse zwar schwere, aber keine akut lebensbedrohlichen Verletzungen bewirkt hatten, war der Steckschuss von der rechten Schulter hinters linke Schlüsselbein tödlich gewesen: Hier hatte die Kugel etliche Venen und vor allem die rechte Halsschlagader aufgerissen, so das der Mann binnen weniger Minuten verblutet war. Er sei wohl schon nach etwa fünf Sekunden ohnmächtig zusammengebrochen, so der Rechtsmediziner. Penning: "Mit der Verletzung hatte er trotz Notarzt nie eine Chance. "

Der Prozess wird am kommenden Montag fortgesetzt. Dann sollen zunächst das psychiatrische Gutachten erstattet und später die Plädoyers gehalten werden.

DK

Bernd Heimerl