"Riesiger Sprung vom Hörsaal in den Plenarsaal"

04.06.2009 | Stand 03.12.2020, 4:54 Uhr

"Ohne den Euro würde uns die Krise noch mehr treffen": Jürgen Brand, ehemaliger Abgeordneter.

Ingolstadt (rh) Jürgen Brand (44) war 1993/94 der bisher einzige Ingolstädter Europaabgeordnete. Der Diplom-Kaufmann lebt heute mit seiner Familie in Nürnberg und ist bei der UBS-Bank beschäftigt.

Herr Brand, warum sollte man am Sonntag unbedingt zur Europawahl gehen?

Jürgen Brand: Bei der Europawahl geht es darum, die Partei und die Personen zu wählen, die die eigenen Interessen auf europäischer Ebene am besten vertreten können. Bereits jetzt wirkt die EU auf über 75 Prozent aller deutschen Gesetze ein, und an den meisten Gesetzesvorhaben wirkt das Europäische Parlament entscheidend mit. Es geht nicht darum, für oder gegen Europa zu stimmen. Das Europäische Parlament hat einen viel größeren Einfluss auf unser Leben als wir glauben. Ob Verbraucherschutz, Handygebühren, die Sicherheit von Spielzeug oder der CO2-Ausstoß von Neuwagen – darüber bestimmt das Europäische Parlament. Ohne den Euro würde uns die Wirtschaftskrise als Exportnation noch viel mehr treffen.

Was ist Ihnen aus Ihrer kurzen Zeit als Europaabgeordneter noch in Erinnerung?

Brand: Für mich war es ja als jüngster Abgeordneter ein riesiger Sprung aus dem Hörsaal in den Plenarsaal. Ich war beeindruckt von der Vielfalt der Themen und den unmittelbaren Auswirkungen der Beschlüsse auf das Leben der Menschen. Von Seiten der Lobbyisten und der Wirtschaft wurden die Europaabgeordneten auch damals bereits deutlich wichtiger genommen als von der Bevölkerung oder vielen Politikern vor Ort. Es war aber oft recht mühsam, bereits unter den damals 15 Mitgliedsstaaten Einigungen herbeizuführen, da das Politikverständnis in den Ländern völlig unterschiedlich war. Nervend empfand ich die oft endlosen Diskussionen um Formalien und die Schaufesterreden im Plenum. Schade war auch, dass man von den vielen Orten und Ländern, in die man kam, oft nichts außer dem Flughafen und irgendwelchen Tagungshotels sah.

Sind Sie in Nürnberg in der Europapolitik noch aktiv?

Brand: Ich bin auch jetzt noch europapolitisch aktiv, soweit es der Beruf zulässt. Seit sechs Jahren bin ich Kreisvorsitzender der Europa-Union in Nürnberg und stellvertretender Vorsitzender des Arbeitskreises Europäische Union im CSU-Bezirksverband. Für die Hanns-Seidel-Stiftung bin ich als Referent in Sachen Europapolitik in Bayern unterwegs, und in Brüssel bin ich Mitglied des "Team Europe" der Europäischen Kommission.

Verfolgen Sie noch die Ingolstädter Kommunalpolitik?

Brand: Nur am Rande, soweit ich von Nürnberg aus oder bei Besuchen in Ingolstadt etwas mitbekomme. Ingolstadt hat in den letzten Jahren eine beeindruckende Entwicklung gemacht, dies zeigt sich auch in der stetig wachsenden Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft. Es freut mich auch, dass unter OB Lehmann Projekte im Bereich Freizeitaktivitäten und Wellness für Jedermann verwirklicht wurden, wie das Wonnemar, die Saturn-Arena oder das Audi-Forum, die bereits zu meiner JU-Zeit angedacht, aber damals als Hirngespinst bezeichnet wurden. Die Kommunalpolitik in Ingolstadt war zum Ende der neunziger Jahre doch sehr verkrustet und erstarrt. Mir scheint, dass mittlerweile vieles transparenter abläuft und viele Dinge öffentlich sind, die zu meiner Zeit als JU-Kreisvorsitzender noch als Staatsgeheimnis gehütet wurden. Erstaunlich bei diesen Erfolgen ist aber, dass die CSU trotzdem die absolute Mehrheit im Stadtrat verloren hat.