Ingolstadt
Kultur erleben, statt nur erlernen

Germanistik-Studenten aus der serbischen Partnerstadt Kragujevac besuchten Ingolstadt

29.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:59 Uhr
Tina Blum
Serbische Studenten zu Gast in Ingolstadt: Milica Mirasevic (v. l.) , Sonja Zivkovic, Katarina Radojkovic, Danko Savic, Tijana Jankovic, Praktikantin Hristina Sarcevic, Teodora Panovic, Milica Petrovic und Loka Aksentijevic haben zwei Wochen bei Gastfamilien verbracht. −Foto: Blum

Ingolstadt (DK) "In Deutschland leben so viele unterschiedlich Kulturen zusammen", sagt Tiana Jankovic.

Sie und acht weitere junge Serben - acht Germanistikstudenten und eine Praktikantin - aus Kragujevac waren im Rahmen der Städtepartnerchaft für zwei Wochen nach Ingolstadt gereist. Neben einem integrierten VHS-Kurs besuchten sie die Region sowie die Landeshauptstadt München.

Am letzten Unterrichtstag geht es um kulturelle Themen und deutsche Geschichte. "Die deutsche Wirtschaft erlebte ab den 50er-Jahren wieder einen Aufschwung. Da nach dem Zweiten Weltkrieg Arbeitskräfte fehlten, kamen viele Gastarbeiter zum Beispiel aus der Türkei nach Deutschland", erklärt VHS-Dozentin Melinda Széll. Und neun junge Serben hören gespannt zu. Der Unterricht findet auf Deutsch statt, denn ein großer Teil der Germanistikstudenten lernt schon seit einigen Jahren die Sprache. "Ich habe in der Grundschule mit dem Deutschunterricht angefangen. Ab dem Gymnasium dann intensiver", erzählt Milica Petrovic. Wenn sie ihr Studium abgeschlossen hat, dann möchte sie als Übersetzerin arbeiten. So auch Tijana Jankovic: "Ich möchte mich auf medizinische Übersetzung spezialisieren. " Andere können sich auch vorstellen, Lehrer zu werden.

Direkt am Tag nach ihrer Ankunft heißt es auch schon: rauf auf die Schulbank. Am Vormittag Unterricht, am Nachmittag dann Führungen im Stadtmuseum und in der Stadtbücherei. "Am ersten Tag haben wir die Themen besprochen, die die Studenten interessieren", sagt Széll. Das seien vor allem Alltagssituation, aber auch die deutsche Kultur. Wie funktioniert die Mülltrennung in Deutschland, wie ist die Infrastruktur und welche Musik wird gehört? Praxisnaher Unterricht in lockerer Atmosphäre - das ist die Devise. In der zweiten Woche ihres Aufenthalts werden sie an drei Tagen pro Woche beschult.

Doch die Studenten aus Kragujevac kommen nicht nur zum Büffeln nach Ingolstadt. Der kulturelle Austausch und das Erleben der deutschen Kultur stehen im Mittelpunkt: "Mir ist sofort aufgefallen, wie viele Leute hier Fahrrad fahren. In Kragujevac machen das nur wenige, weil es so gut wie keine Radwege gibt", sagt Milica Petrovic. Auch das deutsche Essen habe den Studenten sehr geschmeckt, vor allem "das Bier - es gibt so viele Sorten", so Milica Mirasevic.

Den Besuch der Studenten mit integriertem VHS-Kurs gibt es seit 2004. Untergebracht sind die Studenten - jedes Jahr kommt eine Gruppe - seit jeher in Gastfamilien. "Einige der Familien stehen uns schon seit Jahren zur Verfügung", sagt Maria Mödl vom Kulturamt, die den Besuch organisiert. Dazu gehören Marianne und Ranko Karajlovic. Seit der ersten Stunde nehmen sie jedes Jahr zwei Studenten bei sich auf. "Wir haben damals eine Zeitungsanzeige gelesen, dass Gastfamilien gesucht werden. Wir engagieren uns schon ehrenamtlich und wollen einfach etwas für die jungen Menschen tun", sagt Marianne Karajlovic. Da ihr Mann Ranko selbst aus dem früheren Jugoslawien - heute Kroatien - kommt, dachten sich die beiden, dass die Sprachbarriere für die Studenten geringer sei und sie ihnen so helfen können. Die Karajlovics freuen sich über den Austausch: "Es ist schön, auch mit jüngeren Menschen in Kontakt zu treten", sagt der 71-jährige Ranko Karajlovic.

Mit vielen der Studenten seien sie auch noch heute in Kontakt und über die sozialen Medien vernetzt . Von einigen der Familien sind sie sogar zu Besuch eingeladen worden. Besonders die Offenheit der jüngeren serbischen Generation freue sie jedes Mal. "Der kulturelle Austausch ist sehr wichtig, weil nur so Vorurteile abgebaut werden können", sagt Ranko Karajlovic. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Nazis am 21. Oktober 1941 in Kragujevac knapp 2800 Menschen getötet. "Auf diese Weise", sagt der Gastgeber, "kann man zeigen, dass Deutschland ganz anders ist. "

Auch im kommenden Jahr können sich die Karajlovics vorstellen, wieder Studenten aus Kragujevac in ihrem Haus willkommen zu heißen. "Wir haben nur positive Erfahrungen gemacht, und auch die Studenten, mit denen wir noch in Kontakt sind, haben die Zeit in Ingolstadt und Deutschland immer sehr genossen - das betonen sie auch immer wieder", sagt Marianne Karajlovic.

Gute Stimmung herrschte auch bei der diesjährigen Gruppe. "Die Menschen hier sind sehr gastfreundlich und offen gegenüber anderen Nationalitäten", so Tijana Jankovic. In Serbien sei das anders, bestätigt auch Sonja Zivkovic. In ihrer Heimat gebe es weniger Migranten, und die Serben lehnten diese auch eher ab.

Allerdings haben zwei der Studentinnen auch schlechte Erfahrungen gemacht. "Milica und ich standen an einer Bushaltestelle und kannten uns nicht aus, also haben wir eine ältere Dame gefragt, ob sie wisse, wann der Bus kommt", erzählt Teodora Panovic. Als die Frau gemerkt habe, dass die jungen Frauen mit ausländischem Akzent sprachen, habe sie die beiden abgewimmelt und sich von ihnen abgewandt. "Aber das war eine Ausnahme. Die Nachbarn von unserer Gastfamilie sind Studenten. Die waren sehr offen und haben uns auch zu sich eingeladen. "

Zum Ausklang des Deutschunterrichts hatten sich die Studenten einen Film ausgesucht. Ein Titel habe ihre Aufmerksamkeit geweckt: "Fack ju Göhte". VHS-Dozentin Melinda Széll findet die Auswahl zwar "peinlich", aber: "Sie konnten frei wählen, mal sehen, was sie dann zu dem Film sagen. "

PARTNERSCHAFT MIT KRAGUJEVAC 

Die Städtepartnerschaft zwischen Ingolstadt und Kragujevac (Serbien)  wurde am 3. Juli 2003 unterzeichnet. Ein Jahr später fand zum ersten Mal der Besuch von serbischen  Sprachstudenten statt. Ziel des Programms ist es, dass die jungen Menschen ihre Sprachkenntnisse verbessern und die Partnerstadt kennenlernen. 
Seit 2000 – noch vor der Unterzeichnung der Partnerschaftsurkunde – besteht reger Kontakt zwischen den beiden Städten. Die Stadt Ingolstadt lieferte beispielsweise Heizöl, um Schulen und Kindergärten zu versorgen, die Stadtwerke unterstützen die serbische Stadt bei der Sanierung der Wasserversorgung, und das Klinikum spendete Geräte für die Kinderklinik in Kragujevac. 
Die serbischen Studenten werden während ihres Aufenthalts in Gastfamilien untergebracht, die sich voll ehrenamtlich engagieren. Einige nehmen seit 2004 jedes Jahr ein bis zwei Studenten bei sich zu Hause auf. Neben einem integrierten VHS-Sprachkurs unternimmt die Gruppe  auch Ausflüge: In diesem Jahr ging es in die Landeshauptstadt München, ein Besuch in  Eichstätt samt Führung und Schnupperstunden an der Katholischen Universität  sowie  ein Ausflug ins  Altmühltal und eine Schifffahrt   ab Kelheim standen  auf dem Plan.  Die Kosten für Ausflüge und Sprachkurs übernimmt die Stadt. 
Unter den Studenten befinden sich auch jedes Jahr ein Praktikant, der vier Wochen in den verschiedenen Dienststellen der Stadtverwaltung und beim Stadtjugendring im Rahmen des Ferienpasses beschäftigt wird, und so Arbeitserfahrung im Ausland sammelt. 

Tina Blum