Ingolstadt
Kosmetik auch bei den Sozialabgaben

Unternehmerin nahm es in ihren Nagelstudios mit Zahlungen nicht so genau: Ein Jahr und neun Monate Haft zur Bewährung

09.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:01 Uhr

Ingolstadt - In der Welt der Mode und der Kosmetik darf gerne mal mehr Schein als Sein das Bild bestimmen. Allerdings sollten bei Unternehmern, die sich in diesen Genres tummeln, zumindest die Buchführung und die Abgaben an Finanzamt und Sozialversicherer korrekt sein - sonst wird man unter Umständen ein Fall für die Justiz.

So geschehen bei einer jungen Frau aus Ingolstadt, die sich am Mittwoch vor dem Schöffengericht wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt zu verantworten hatte. In der Anklageschrift war von nicht gezahlten Sozialabgaben in Höhe von rund 374000 Euro die Rede. Weil das Gericht aus Gründen der Prozessökonomie etliche Fälle wegbeschränkte und sich auf den Tatzeitraum 2016 und 2017 konzentrierte, ging es letztlich noch um knapp 160000 Euro. Dafür gab es eine (noch nicht rechtskräftige) Verurteilung zu einer Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten, allerdings noch zur Bewährung.

Die 33-jährige Geschäftsfrau hatte sich 2013 selbstständig gemacht und in Ingolstadt und Erlangen nach und nach einige Nagelstudios betrieben, von denen angeblich zwei nach wie vor existieren. Als Mitarbeiter hatte die Asiatin vorwiegend Landsleute beschäftigt. Auch einige Familienangehörige sollen - angeblich für Gotteslohn - in den Läden mitgewirkt haben. Wer genau wann wie viel in den unter die Lupe genommenen vier Studios gearbeitet hat, ließ sich von den Ermittlern des Hauptzollamtes Augsburg wegen weitgehend fehlender Unterlagen nicht mehr exakt feststellen. Im Ermittlungsverfahren und auch jetzt vor Gericht war man deshalb auf Schätzungen angewiesen.

Der für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und Sozialbetrug zuständige Zoll war im Frühjahr 2017 durch einen Hinweis der Stadt Ingolstadt auf einen Verdachtsfall von unzulässigem Lohnsplitting aufmerksam geworden. Eine Beschäftigte, die offenbar Unterstützung im Jobcenter gesucht hatte, war mit gleich zwei Arbeitsverträgen im selben Unternehmen - einer zur Festanstellung und einer für geringfügige Beschäftigung - aufgefallen. Damit nahm das Verhängnis für die Arbeitgeberin seinen Lauf.

Der Zoll beobachtete nach Aussage eines als Zeuge geladenen Ermittlungsbeamten einige Zeit die vier verdächtigen Studios und zählte die Beschäftigten. Nach Hochrechnung der (nur am Mindestlohn orientierten) Lohnsummen und nach Abgleich mit den bei den Sozialversicherern angekommenen Beiträgen schritt man im November 2017 zur Tat: Bei Durchsuchungen in den Studios wurden 25 Beschäftigte befragt, von denen sechs gar nicht oder mit falschen Daten bei der Sozialversicherung angemeldet worden waren. Über die Wochen danach befragte der Zoll etliche in den Terminbüchern ausgemachte Stammkundinnen nach ihren Eindrücken von den Beschäftigtenzahlen. Letztlich habe man aus allen Angaben einen am unteren Rand der Schätzungen angesiedelten Schadensbetrag errechnet, so der Ermittler vor Gericht. Das machte dann die oben genannte doch recht stattliche Summe aus der Anklageschrift aus.

Insgesamt wären vom Schöffengericht 89 angeklagte Einzelfälle von Entgeltvorenthalt bzw. Sozialbetrug zu bewerten gewesen. Vorsitzender Stephan Gericke war in der Verhandlung von Beginn an bemüht, diesen Wust von Vorgängen zu verschlanken. In einem Rechtsgespräch schlug er der Verteidigung und der Anklägerin eine (nach dem Gesetz mögliche) Verständigung auf ein bestimmtes Strafmaß gegen ein umfangreiches Geständnis vor. Darauf gingen die beiden Rechtsanwälte der Angeklagten zwar nicht ein, doch auch so kam es zu einem gewissen "Handel". Die Staatsanwältin beantragte die Einstellung eines Teils der Anklagepunkte (so dass noch 36 Fälle verblieben), und die Unternehmerin gab die unterlassenen Zahlungen in die Sozialkasse für die Jahre 2016 und 2017 unumwunden zu.

Im Urteil wurde neben der Bewährungsstrafe auch die sogenannte Einziehung von Wertersatz in Höhe von rund 81000 Euro angeordnet, durch die der entstandene Schaden zumindest theoretisch teilweise wettgemacht werden soll. Inwieweit es tatsächlich zu Zahlungen kommt, wird die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen können. Bei Feststellung ihrer persönlichen Daten hatte die Angeklagte angegeben, "vor Corona" ein monatliches Nettoeinkommen von 1000 bis 1500 Euro gehabt zu haben. Nach großem, wegweisendem Unternehmertum und satten Gewinnen klang das nun wirklich nicht. Das Gericht nahm diese Angaben kommentarlos zu Protokoll.

DK

Bernd Heimerl