Ingolstadt
Mehr Deutsch als Türkisch

Drei Erfolgsgeschichten

28.07.2011 | Stand 03.12.2020, 2:34 Uhr
Selbstbewusste Pose vor heimatlicher Kulisse: Die Schwestern Özlem, Öznur und Bahar Yilmaz (von links). −Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Jung, talentiert, erfolgreich: Das sind die türkischstämmigen Schwestern Özlem (35), Öznur (31) und Bahar Yilmaz (26). Alle drei sind in Ingolstadt geboren und besitzen neben der türkischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit.

Özlem arbeitet als Rettungsassistentin und ist Hobbymalerin, Öznur Anwältin für Strafrecht. Bahar ist im Internetgeschäft von Media Saturn tätig und hat ein Yogabuch veröffentlicht. Warum streben auch rund 50 Jahre, nachdem der erste türkische Gastarbeiter nach Deutschland kam, immer noch so wenige junge Migrantinnen selbstbewusst nach Eigenständigkeit und höherer Bildung? Die Yilmaz-Schwestern erzählen ihre Geschichte – und warum sie ihren Eltern Eda und Kudret so viel verdanken.

Was unterscheidet Sie von der Vielzahl der Migranten, die in Deutschland scheitern?

Bahar: Unsere Eltern haben darauf geachtet, dass wir nicht nur Kontakt mit Türken haben und integriert werden. Meine älteren Schwestern waren zwar in einer türkischen Klasse, aber wir haben auch daheim oft Deutsch geredet. Ein Grund ist bestimmt auch, dass unsere Eltern aus Istanbul stammen. Der kulturelle Unterschied zu Anatolien ist riesig.

Öznur, Sie sind die erste türkischstämmige Anwältin aus Ingolstadt. Fühlen Sie sich als Pionierin oder gar Vorbild?

Öznur: Ja, selbstverständlich. Als ich in Bayreuth angefangen habe zu studieren, waren am ersten Tag über 300 Studenten da. Davon waren genau drei Türken. Wir waren wirklich enttäuscht, dass wir so wenige sind. Ich war die Einzige in meinem Jahrgang, die 2006 das Staatsexamen gemacht hat. Es wäre schon wünschenswert, wenn mehr türkischstämmige Menschen nachfolgen würden.

Warum schaffen das nur die Wenigsten?

Öznur: Meine Eltern haben ganz dicht hinter mir gestanden. Mein Vater hat nach jeder Klausur angerufen und gefragt: Wie lief es? Hast du bestanden? Jura ist ein schweres Studium, aber der Bedarf ist da. Für mich war immer klar, dass ich nach Ingolstadt zurück möchte. Wenn ich noch mal die Entscheidung hätte, würde ich es genauso machen. Ich merke, dass ich in den Köpfen was bewirken kann.

Bahar: Ich denke, dass wir alle drei etwas in den Köpfen der Türken ändern, aber auch bei den Deutschen. Als ich sechs oder sieben war, hat mich mein Vater vom Bürgerfest abgeholt. Da hat uns ein Mann beschimpft. Das war der Zeitpunkt, wo ich gedacht habe: Hey, wir sind nicht so, wie ihr denkt. Wir können auch anders.

Öznur: Mein Vater hat immer gesagt: Wir sind als Arbeiter hierher gekommen. Schaut, dass ihr das ändert. Ihr seid Ausländer und müsst schauen, dass ihr euren Weg geht. Gerade als Frauen müsst ihr euch beweisen. Und ich denke, das hat er geschafft.

Haben Sie eigentlich deutsche Lebensgefährten?

Öznur: Ich bin seit April verheiratet mit einem Deutschen. Ich heiße jetzt Yilmaz-Hatko. Ich hatte auch nie einen türkischen Freund.

Bahar: Alle drei nicht, oder?

Özlem: Doch, ich schon!

Bahar: Ganz ehrlich: Mit einem Türken würde es nicht gehen. Weil wir zu Deutsch sind.

Die türkische gilt als patriarchale Gesellschaft. Gibt es keine negativen Reaktionen wie „Ihr seid keine richtigen Türkinnen“?

Bahar: Das hatte ich erst gestern. Ich habe einem alten Bekannten erzählt, dass ich jetzt einen deutschen Freund habe. Da sagte er: Was wollt ihr alle mit den Deutschen? Sowas passiert ganz oft. Wenn Sie jetzt rausgehen würden und Türken fragen würden, bekämen Sie die Antwort: Die schämen sich dafür, dass wir Türken sind.

Öznur: Wirklich? Das würde ich nicht sagen. Es ist so, dass wir ein bisschen unnahbar sind. Mein Vater wollte nie den Weg gehen, den die meisten Türken in Deutschland gehen. Er hat sich nie zehn Stunden ins Teehaus gehockt. Er hat gesagt: Wir sind zwar Türken, aber man muss nicht nur in Gruppen zusammenhängen.

Haben viele Türken in Deutschland vielleicht ein Identitätsproblem? Dass sie sich weder als Deutsche noch als Türken fühlen und daher in dem Zusammenhalt Schutz suchen?

Öznur: Auf jeden Fall, die sitzen zwischen zwei Stühlen. Vom Gefühl her bin ich aber eher deutsch als türkisch.

Bahar: Wobei ich jetzt überhaupt keinen Nationalstolz habe. Weder gegenüber den Deutschen noch den Türken.

Und wenn im Fußball Deutschland gegen die Türkei spielt?

Öznur (lacht): Türkei! Um die anderen zu ärgern.

Özlem: Ich finde, dass wir von beiden Kulturen das Schönste mitgenommen haben. Das macht uns auch sehr kreativ. Ich bin türkischer als meine beiden Schwestern, weil ich in einer türkischen Klasse war. Da war Deutsch Fremdsprache! Meine Eltern wollten nämlich anfangs wieder zurück. Aber wir sind hiergeblieben.

Bahar: Viele Türken hier sprechen weder richtig Deutsch noch Türkisch.

Öznur: Das ist tragisch. Ich habe oft Mandanten, denen ich beide Sprachen anbiete. Dann merke ich, dass die beides nicht können. Das ist wirklich traurig, weil es gerade bei Jugendlichen oft vorkommt.

Bahar: Daran sind die Eltern schuld!

Öznur: Integration fängt bei den Eltern an. Wenn da der Grundstein nicht gelegt wird, kann man es nur noch ganz schwer retten.

In der Grundschule an der Ungernederstraße liegt der Migrantenanteil bei etwa 75 Prozent.

Bahar: Das ist ganz schlecht. Das muss man verteilen. Wenn die alle zusammenbleiben, entsteht eine Misch-Masch-Sprache, kein richtiges Deutsch.

Öznur: Viele, gerade männliche Jugendliche, versuchen das mit einem Gangsta-Gehabe auszugleichen.

Bahar: Aber das kommt daher, dass sie sich keiner Kultur zugehörig fühlen. Sie haben keinen Halt in der Gesellschaft und versuchen zu kämpfen. Das kann man ihnen nicht übel nehmen. Oft sind auch die Eltern überfordert. Sie müssen einen Job finden und überleben.

Öznur: Die Eltern haben es vielleicht selber nicht gelernt, sind nicht gebildet oder haben keine Schule besucht. Bei Mädchen ist es so: Die müssen irgendwann heiraten.

Özlem: Wir sind mittlerweile in der vierten Generation hier. Das muss mal besser werden. Ich bin zum Beispiel oft in München. Dort sind die Türken ganz anders als in Ingolstadt.

Öznur: Ingolstadt ist eine Arbeiterstadt. Das ist halt ein Magnet, der die vielen Türken hierher gezogen hat.

Was würden Sie den Jugendlichen raten, die es auch schaffen wollen?

Özlem: Der Ansatz liegt bei den Eltern.

Bahar: Wir leben in einem neuen Zeitalter. Die Kulturen vermischen sich. Wir sind alle Weltbürger. Daher muss man einfach mal die Scheuklappen fallen lassen.

Öznur: Was ich immer wieder feststelle: Die Jugendlichen haben keine Ziele. Wenn ich jemanden frage. Wo er sich in zwei Jahren sieht, bekomme ich keine Antwort. Die wissen nicht, was sie machen sollen. Der Jugendliche muss Hobbys, muss Ziele haben. Auch wenn es vom Elternhaus nicht gegeben ist, muss er für sich sagen: Wo möchte ich hin?

Bahar: Auf der deutschen Seite ist es wichtig, die Vorurteile abzubauen.

Öznur: Wenn du irgendwo hingehst, bist du der Ausländer.

Daher die blonden Haare?

Bahar (lacht): Richtig!

Özlem: Ich fühle mich nicht als Ausländer hier. Bin ja auch hier geboren.

Öznur: Weil wir zu Deutsch sind. Was ich aber auch noch sagen muss: Die Leute in Istanbul sind moderner als hier.

Özlem: Die Leute, die Vorurteile gegen Türken haben, müssen einmal Urlaub dort machen. Aber nicht in Antalya oder den Touristenorten, sondern in Istanbul oder den Großstädten. Da können sie sehen, wie die richtigen Türken sind.

Haben Sie eigentlich das Buch von Thilo Sarrazin gelesen?

Öznur: Ich weigere mich. Ich müsste mich dann nur aufregen.