Ingolstadt
Die Zukunft des Standorts Ingolstadt

08.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:32 Uhr
Auf 60 Hektar soll der Technologiepark bebaut werden. Als Achse dient eine begrünte Campus-Ader von Nord nach Süd. Gesamtprojektleiter Thomas Vogel (Mitte) mit den Planungsleitern Alexander Mohr (links, Projekthaus) und Markus Faigl (Energie und Infrastruktur) am Modell. Das Bild entstand vor Corona. −Foto: Eberl

Ingolstadt - Während bei Audi gerade alle Bänder still stehen, wird auf dem früheren Bayernoil-Gelände an der Zukunft des Automobilbauers gearbeitet. Mit den Bauten auf dem IN-Campus wächst die Hoffnung mit, dass die Krise in der Region besser als anderswo überstanden wird.

In einer Zeit vor der großen Gesundheitskrise konnte Markus Söder noch solche Sätze sagen: „Ein ziemlich cooles Projekt.“ So sprach der Ministerpräsident vor fast einem Jahr, als er im  Mai 2019 den Grundstein legte für das, was wohl sogar viel mehr als cool, sondern sogar das Zukunftsprojekt für Ingolstadt und die ganze Region schlechthin sein dürfte: den IN-Campus von Audi. Mehr denn je sind mit dem Innovationstechnologiepark große Hoffnungen verbunden, dass Ingolstadt diese und alle anderen Krisen besser übersteht als anderen; im Land oder weltweit. Eine Industriebrache mit teils verseuchtem Boden zu einem fruchtbaren Nährboden für Arbeitsplätze und Ideen, die Arbeitsplätze schaffen werden, umzuwälzen, das ist mehr als cool.

Das ist in dieser Dimension sogar ziemlich einzigartig hierzulande. Und daran, das betont Thomas Vogel, rüttelt auch die Corona-Krise (bisher) nicht, wie der Geschäftsführer der IN-Campus GmbH versichert. „Natürlich haben wir mit Corona zu kämpfen. Aber alle unsere Baustellen laufen“, sagte er am Montag.  Man sei weiter sehr zuversichtlich, den gesteckten  Zeitplan einzuhalten. Es sei zwar „etwas Sand im Getriebe“ und wie viele andere müsse man auch mit kleineren Terminverschiebungen leben. Aber alles in allem laufe es, auf den Baustellen bewege sich etwas. „Das ist ein wichtiges Signal. Mein großes Kompliment an alle“, so der Projektleiter.

Sehr erleichtert zeigt sich Vogel auch an der wirtschaftlichen Front, wenn es um das sogenannte Projekthaus geht. Der markante Gebäudekomplex mit vier Einzelgebäuden unweit des Stadions des FC Ingolstadt soll bereits Ende des Jahres bezogen werden und dann gut 1500 Arbeitsplätze bieten. Audianer und Dienstleister sollen einziehen.   „Bisher ist von den Reservierungen noch keiner abgesprungen“, freut sich der Geschäftsführer. Nach Ostern wolle man mit den die Vertragspartnern alles unter Dach und Fach bringen. Nach dem eigenen Fahrplan sollen die 42.000 Quadratmeter Nutzfläche mit Büros, Werkstätten und Laboren im Projekthaus („Ideenfabrik“) im (Früh-)Sommer fertig werden und dann von den Mietern (bis Jahresende) nach den eigenen Wünschen ausgebaut werden. Alles für den Prototypenschutz kommt vom Bauherrn quasi serienmäßig dazu.

Der Aufbau der fast planungsgleichen vier Häuserteile läuft, wie Planungsleiter Alexander Mohr berichtet, im vierwöchigen Rhythmus versetzt. „Dann können wir  etwaige Fehler bei den anderen korrigieren.“ Bisher  laufe alles nach Plan. „Wir haben sehr hohe Nachfrage“, sagt Geschäftsführer Vogel über die Reservierungen, als er kürzlich den DK über das IN-Campus-Gelände führte. „Das Ding ist ein Erfolgsmodell.“ Gemeint ist der wirtschaftliche Aspekt.  „Das ist alles andere als selbstverständlich, das auf einer sanierten Fläche umzusetzen“, würdigt Vogel das Joint Venture von Audi und Stadt Ingolstadt.

Annähernd eine halbe Milliarde Euro  steckt der Autobauer nach DK-Informationen in die Sanierung und den ersten von wohl vier Bauabschnitten, zu dem neben dem Projekthaus vier weitere Hochbauten gehören. In die Höhe wachsen auch bereits die moderne Energiezentrale (siehe Artikel rechts, Rohbau war Ende 2019 planmäßig fertig) und das sogar hypermoderne Rechenzentrum: Beide werden als „Funktionsgebäude“ einmal mit dunkler Fassade optisch in den Hintergrund rücken. Dabei sind sie von elementarer Bedeutung für den Campus und den Audi-Konzern. Das Rechenzentrum sol seine Supercomputer  für Abteilungen weltweit zur Verfügung stellen. 

Während die Rohbauten stehen, braucht es beim Funktionsgebäude mit Werkfeuerwehr und Werkschutz und auch dem Fahrzeugsicherheitszentrum noch etwas Fantasie. Hier ist auf dem Gelände noch nichts passiert. „Da gehen wir jetzt ans Werk ran“, kündigt  Vogel an. Die Baugenehmigung für das Fahrzeugsicherheitszentrum liegt inzwischen vor. Ab Sommer wird gebaut, Fertigstellung Ende 2022. Wenn Vogel und Planungsleiter Markus Faigl mit den Fingern die Umrisse in die Luft malen, wird schnell klar: Hier entstehen Bauten von  gewaltiger Dimension. Die Crashtesthalle, bisher in der Technischen Entwicklung (TE) im Stammwerk beheimatet, soll auf dem IN-Campus als Crash-Arena mit zwei Anlagen mit jeweils 120 Metern Länge aufgebaut werden. Das sind die „angekündigten und dann von unseren Gremien genehmigten Umfänge“, sagt Vogel. Aber freilich sollen auf Campusgelände über viele Jahre weitere Bauten entstehen. 

Das Gelände wird von Nord nach Süd für die entsprechenden Bauabschnitte altlastenfrei gemacht. Bis Ende 2021 soll alles für Bauabschnitt 2 freigeräumt sein. Der Rest zum FC-Sportpark hin wird in den Jahren 2022/2023 erfolgen. Die Abstromsicherung des Grundwassers wird noch bis mindestens 2028 laufen.
Eine der markantesten Einrichtungen des IN-Campus, die in näherer Zukunft zu sehen sein werden, ist die Campus-Ader, die sich von Nord nach Süd ziehen wird (zunächst räumlich bis zum Ende von Bauabschnitt 1).

Zwar können/dürften noch hervorstechendere Bauten folgen, denn sogenannte Hochpunkte sind in den zukünftigen Planungen fest verankert - wie etwa ein bis zu 70 Meter großes Hochhaus ganz im Norden (Vogel: „Da haben wir uns städtebaulich verpflichtet“). Die Campus-Ader aber wird das optische Herz des Geländes, das - so betont Vogel - fast gänzlich ohne Zäune (außer bei hochsensiblen Anlagen) auskommen wird und durch seinen offenen Charakter eben den Campusgedanken atmen soll. Alles soll weitgehend autofrei getaktet werden. Die genaue Begrünung des ersten Abschnitts der Campusachse ist inzwischen genehmigt. Die Campusader wird in Kürze angelegt und dürfte bis Ende 2022 (wenn die benachbarte Crashtesthalle in Betrieb geht) fertig sein.

Andere (von Audi gebaute) Straßen sind schon fertig beziehungsweise werden bald offiziell der Stadt übergeben: Die Verlängerung der Eriagstraße (vom FC-Stadion kommend) soll IN-Campus-Allee heißen und den Ringschluss zum Franziskanerwasser herstellen. Am Auwaldsee vorbei ist sie die „First Mile“ (erste Meile) zum extra ertüchtigten  Autobahnanschluss Ingolstadt-Süd (Vogel: „Ein ganz wichtiger Baustein“), der etwa das Testfeld für Autonomes Fahren und Anwendungen für den  Mobilfunkstandard 5G sein wird. 

Der IN-Campus in Zahlen

Fläche: 75 Hektar, davon werden 15 Hektar im östlichen, an Ingolstadts einziges Naturschutzgebiet angrenzenden Teil an die Natur zurückgegeben.

Investition: Für den symbolischen Wert von einem Euro hat die von Audi und der Stadt Ingolstadt gegründete IN-Campus GmbH das Areal von Bayernoil erworben. In die Sanierung und die Entwicklung des ersten Bauabschnitts steckt Audi nach DK-Informationen fast eine halbe Milliarde Euro.

Erdbewegungen: Auf einer Fläche von 65 000 Quadratmetern wurde die durch die Sanierungen geschaffene Kraterlandschaft auf ein Geländeniveau geebnet („Landleveling“) und über 20 000 Kubikmeter Erdreich bewegt.

Wärme-/Kältenetz: Das sogenannte LowEx-Netz mit dem Austausch von Wärme und Kälte zwischen allen Gebäuden umfasst eine Ringleitungslänge von 9,1 Kilometern. Die Rohrleitungen fassen 2,2 Millionen Liter Wasser.

Stromtrasse: 5,5 Kilometer haben alleine die Stadtwerke ab dem Umspannwerk in Kothau bis zum IN-Campus verlegt. Sie umfasst drei Kabelsysteme mit jeweils 20 000 Volt.

 

Mit das größte Sanierungsprojekt in ganz Deutschland

Die Umwandlung des ehemaligen Raffineriegeländes von Bayernoil (ehemals Eriag)  im Ingolstädter Südosten in einen modernen Hochtechnologiepark ist eines der größten Sanierungsprojekte in der ganzen Bundesrepublik. Es handelt sich sogar um die erste komplette Sanierung einer aufgegebene Raffinerie in Bayern. Zu beseitigen aus dem Untergrund aus dem Boden 900 Tonnen Schweröl, 200 Tonnen leichtflüchtige Schadstoffe sowie 100 Kilogramm perfluorierte Chemikalien. Diese vier Verfahren werden angewendet:

 Air-Sparging – Luft gegen Schadstoffe: Mit der Air-Sparging-Methode werden auf einer Fläche von 100 000 Quadratmetern die leichtflüchtigen Schadstoffe aus Grundwasser und Boden entfernt. Dazu wird mittels überdimensionierter Strohhalme Luft mit Überdruck ins Grundwasser geblasen. Die aufsteigenden Gase werden abgesaugt und teils über eine Fackel verbrannt. Seit der Inbetriebnahme 2017 wurden innerhalb eines Jahres bereits fünf Tonnen BTEX (leichtflüchtige aromatische Kohlenwasserstoffe) herausgefiltert. Dies ist derzeit eine der größten Air-Sparging-Maßnahmen in Deutschland.

Bodenwaschanlage – Schritt für Schritt zu sauberem Boden: Im belasteten Boden werden wabenförmige Metallspundwände (insgesamt 30 000 Vorgänge) in den Boden getrieben und der Inhalt ausgebaggert. Die Wabenform sorgt dafür, dass kein Grundwasser nachsickert. 600 000 Tonnen belastetes Material sind betroffen. Dieses wird mit Hilfe einer Bodenwaschanlage, einer Art 17 Meter hohen Waschmaschine, zu sauberem Boden aufbereitet. Etwa 90 Prozent des gereinigten Bodenmaterials können auf dem Gelände verfüllt werden. Die übrige Menge wird fachgerecht entsorgt.

Abstromsicherung – Brunnengalerie zum Schutz der angrenzenden Flächen: Zehn Brunnen mit einer Leistung von bis zu 210 Kubikmetern Wasser pro Stunde vermeiden im Südosten des Geländes ein Abströmen von belastetem Grundwasser auf Nachbargrundstücke und in die nahe Donau. Nach dem „Pump-and-Treat-Verfahren“ (Pumpen und behandeln) reinigt eine Wasseraufbereitungsanlage das Wasser nach dem neusten Stand der Technik (unter anderem mit Kohlefiltern).Das gereinigte Wasser versickert auf dem Gelände. Abgepumpt wird bis mindestens 2028.

Millionen Liter Wasser zirkulieren

Neben dem sogenannten Projekthaus sind in Bauabschnitt 1 (von wohl insgesamt 4) auf dem IN-Campus vier weitere Hochbauten schon im Entstehen oder in Planung: ein Fahrzeugsicherheitszentrum mit moderner Crash-Arena, ein Rechenzentrum, ein Funktionsgebäude samt Feuerwache sowie eine Energiezentrale, die eine ganz besondere Rolle einnimmt.

Als „Herz und Hirn“ des gesamten Areals ist sie die Steuerzentrale für das neuartige energetische Konzept, das dem Campus bei den gewaltigen Infrastrukturmaßnahmen eingepflanzt worden ist.  „Wir wollten einen Null-Energie-Campus“,  betont Markus Faigl, der als Projektleiter bei Audi für das Energiekonzept quasi jedes Rohr persönlich kennt. Kernstück ist das sogenannte LowEx-Netz, das ein ausgeglichenes Wärme-Kälteniveau ermöglicht, da alle Gebäude untereinander vernetzt sind. Der Grundgedanke ist einfach: Es soll möglichst wenig hochwertige Energie verbraucht werden.

Der IN-Campus soll nicht nur bei den Technologien, die in den Büros, Laboren  und Werkstätten entwickelt werden, hochmodern sein, sondern auch im Energiekonzept: zukunftsfähig (also weiter technologieoffen entwickelbar), modular ausbaufähig (für den Anschluss der nächsten Bauabschnitte) und wirtschaftlich, soll alles sein, zählt Faigl auf. Zudem spiele natürlich die Versorgungssicherheit eine große Rolle. „Energie ist vielmehr als nur Strom“, weiß Faigl freilich. Der ganze Campus soll entsprechend so viel Energie erzeugen, wie er verbraucht. Das aufgebaute LowEx-Ringnetz dient jedem Gebäude als Wärmequelle oder Wärmesenke.

Je nach Funktion und natürlich Jahreszeit. Gebäude mit hoher Kühllast (wie etwa das Rechenzentrum), die anfallende Abwärme ins Netz einspeisen, und diese wiederum Gebäuden mit einer hohen Heizlast (etwa Büros im Winter) zur Verfügung stehen. „In dieser Dimension betreten wir Neuland“, sagt Faigl mit Blick auf die Leitungslänge von 9,1 Kilometern mit am Ende 32 Kilometer Leitungen, die verlegt werden.

Das Netz fasst 2200 Kubikmeter, also 2,2 Millionen Liter Wasser. „Wir verwenden dabei sogar das gereinigte Wasser aus der Sanierung“, berichtet Faigl stolz. Das bei der Abstromsicherung (siehe eigenen Kasten) bis mindestens ins Jahr 2028 aufbereitete Wasser wird eingespeist. Das ist unter anderem möglich, da die geringe Systemtemperatur des LowEx-Netzes zwischen 5 und 30 Grad liegt. Überschüssige Energien werden zwischen den Gebäuden ausgetauscht.

Wärme und Kälte nach Bedarf ermöglichen die reversiblen Wärmepumpen. Ein „Cross Energy Concept“ ist dabei so etwas wie das Zentralgehirn des IN-Campus: Es regelt das Energiemanagement; teils unter Einbeziehung von Künstlicher Intelligenz (energetische Daten sammeln, analysieren und prognostizieren).  Und die Energiezentrale als Gebäude hat dabei also nicht (nur) die Funktion, die Energie bereitzustellen, sondern sie umzustrukturieren.

Die Technologien, so betont Projektleiter Faigl, seien durchaus bekannt, allerdings eben in ihrer Verbindung und in dieser Größenordnung bisher kaum für ein Zusammenspiel genutzt worden. Bevor der große Schritt in diese Richtung unternommen wurde, hatte Audi die Entwicklungspotenziale untersuchen lassen: Von den 74 analysierten Innovationsbausteinen würden sich 67 in den nächsten Ausbauschritten problemlos integrieren lassen. Punkte wie Parabolrinnenkollektoren oder Großwindanlagen dagegen wohl nicht...

Die komplette Infrastruktur des IN-Campus, bis hin zur Energiezentrale, würde übrigens mit aufwendigen 3D-Modellen am Computer geplant und der Energiefluss simuliert. Der erdverlegte Rohleitungsbau wirkt in dem farbigen Plan wie das Nervensystem bei der Analyse des menschlichen Körpers. Ganz wie bei der Erschließung eines Gewerbegebiets oder eines neuen Wohnbaugebiets sind im Bauabschnitt 1 des IN-Campus viele sanierte und nun komplett freie Flächen inzwischen planiert und geschottert.

Über Kabelschächte ließe sich die energetische Anbindung ganz schnell herstellen und es könnte auf die Wünsche der Bauherrn reagiert werden. Denn bekanntlich sollen auf dem Campus nicht nur Audi-Einheiten eine neue Heimat finden  (wie mit dem Umzug der veralteten Crashtest-Anlage aus der Technischen Entwicklung im Stammwerk hierher), sondern eben  auch Projektpartner.

Christian Rehberger