Ingolstadt
Hitlers Stellvertreter in Ingolstadt

Neues Buch beschreibt die Kreisleiter der Nazis - einer der brutalsten war Georg Sponsel

31.03.2021 | Stand 23.09.2023, 17:46 Uhr
Der Hitler-Bart war an ihm nicht das Schlimmste: Georg Sponsel, NSDAP-Kreisleiter in Ingolstadt von 1943 bis 1945. Er ordnete die Ermordung des abgeschossenen US-Piloten John Reynolds (u.) an und stand bei der Tat 1944 am Auwaldsee daneben. −Foto: DK-Archiv / 339th Fighter Group / Proske (privat)

Ingolstadt - Aus Oberhaun-stadt drohte Unheil.

Am 10. September 1944, einem Sonntag, feuerte dort ein Flugabwehrgeschütz auf ein US-amerikanisches Jagdflugzeug vom Typ P-51D Mustang. Am Steuer saß Major John Reynolds, 29 Jahre alt. Gegen 11.40 Uhr ging seine einmotorige Maschine in Flammen auf. Der Pilot stieg mit dem Fallschirm aus. Die Mustang sackte vom Himmel und schlitterte in den Schwaiger-Weiher, eine ausgetrocknete Kiesgrube östlich der heutigen Spitalhofstraße. Reynolds ging etwa 50 Meter neben der Absturzstelle zu Boden und verletzte sich dabei am rechten Knie. Er humpelte in Richtung Unsernherrn. Der Polizeimeister Michael Frank fasste den Amerikaner und brachte ihn zum Polizeirevier an der Münchener Straße. Bis dahin lief alles auf dem Dienstweg.

Aber dann schaltete sich ein Mann ein, für den keine Regeln galten. Und Anstand zweimal nicht: Georg Sponsel, seit 1943 Kreisleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Ingolstadt. Und damit Hitlers direkter Handlanger in der Stadt.

Laut Vorschrift sollte Reynolds zum Flughafen Manching gebracht werden, aber Sponsel bestand darauf, den Amerikaner selbst zu fahren. Sein Parteigenosse Josef Ziehnert, Kreisleiter in Rosenheim, stieg mit ins Auto. Doch statt nach Manching brachten sie Reynolds zum Auwaldsee. Dort musste er aussteigen. Ziehnert schoss ihm von hinten in den Kopf. Sponsel, der dieses Kriegsverbrechen angeordnet hatte, stand daneben. Später sagte er, man habe den Soldaten (der humpelte) "auf der Flucht erschossen", eine Phrase aus dem Wörterbuch der Unmenschen.

Was waren das für Männer, die in Hitlers Reich mit solcher Gewalt versehen waren, dass sie - an allen Bürokratentätern im NS-Machtapparat vorbei - unbehelligt morden konnten?

Kreisleiter wirkten wie kleine Diktatoren auf kommunaler Ebene. In den fünf bayerischen "Gauen" Bayerische Ostmark, Franken, Mainfranken, München-Oberbayern und Schwaben bestanden 141 und später 104 Kreise. Der von der NSDAP entsandte Kreisleiter amtierte in einer Stadt als Stellvertreter des Gauleiters. Er wurde installiert, "um vor Ort als verlängerter Arm des NS-Machtapparats den Willen der Partei durchzusetzen", schreibt Wolfgang Proske in seinem vor Kurzem erschienenen Buch "Kleine Herrgötter! Die Kreisleiter der Nazis in Bayern" (kleines Foto, siehe auch das Gespräch unten). In Ingolstadt herrschten von 1933 bis 1945 vier Scharfmacher im Dienst der NSDAP: Otto Niepold, Otto Koch, Lambert Friedrichs und Georg Sponsel - allesamt keine Einheimischen; Sponsel kam aus Kulmbach.

Doch was auf dem Papier gut organisiert und durchstrukturiert wirkte, sah in der Wirklichkeit der NS-Diktatur meist ganz anders aus: Kreisleiter lieferten sich heftige Fehden mit Bürgermeistern und Landräten. Proske, der die Biografien zahlreicher Kreisleiter erforscht hat, schreibt: "Der monolithisch verfasste Führerstaat zerbröselte in ein polyzentrisches Gebilde mit diversen selbstherrlichen Platzhirschen. "

Rivalitäten unter Karrierenazis, zwischen alten und neuen Eliten sowie Doppel -und Dreifachstrukturen, deren Personal sich in Abneigung verbunden war, gab es im NS-Reich auf allen Ebenen. Es ist eine spannende Forschungsfrage, inwieweit diese nie geklärten Machtverhältnisse Hitlers Strategie entsprangen: So lange sich seine Komplizen gegenseitig in Schach hielten, stand er unangefochten an der Spitze. Andere Historiker sagen, der "Führer" habe dieses Chaos schlicht nicht in den Griff bekommen.

Ingolstadt bietet ein gutes Beispiel für den Antagonismus zwischen alter und neuer Macht. Kreisleiter Sponsel hatte einen schweren Gegner: Bürgermeister Josef Listl (1893 bis 1970), seit 1930 im Amt, ein NSDAP-Mitglied. Ob Listl auch ein überzeugter Nazi war, steht nicht zweifelsfrei fest. Aber das: Er hasste Sponsel abgrundtief und ließ von einem Polizisten heimlich Beweise für den Mord an Reynolds sammeln. 1945 lieferte Listl die Parteigenossen Sponsel und Ziehnert damit den Amerikanern ans Messer. Sie wurden 1948 hingerichtet.

1956 wählten die Ingolstädter Listl erneut zum Bürgermeister. Aber wohl weniger wegen seines Widerstands gegen Sponsel. Denn über die Verbrechen der Nazis sprach man damals am liebsten gar nicht.

DK

Christian Silvester