Ingolstadt
"Heimat": Annäherung an einen schwierigen Begriff

06.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:07 Uhr
  −Foto: Hammer, Cornelia, Ingolstadt

Ingolstadt (sic) Der Begriff verströmt Behaglichkeit - und ist doch brisant: Heimat.

Eine vielfach bemühte, beschriebene , beschworene und - auch - instrumentalisierte emotionale Kategorie. Die Spannweite der Beanspruchung von "Heimat" ist riesig, ihr Wirkungsradius erfasst nahezu alle Sphären der Gesellschaft. Das Leid vieler Millionen deutscher Heimatvertriebener provozierte noch Jahrzehnte nach dem Krieg erhebliche Verwerfungen, die gefühligen Heimatfilme und -romane jener Zeit erzählen von der Sehnsucht nach einer heilen und vor allem heimischen Welt. Diese weithin illusionäre Bezugsgröße motiviert auch die identitären bis rechtsradikalen Bewegungen eines "Heimatschutzes". Die Gründung von Heimatministerien zuerst in München und nun in Berlin erweitert das Spektrum des Suchens, Definierens, Pflegens und Zuweisens von "Heimat" auf hochpolitischem Terrain.

"Heimat hat Konjunktur. Das hatte sie immer, wenn sie bedroht oder sogar verloren war", sagt Ansgar Reiß (Foto), der Leiter des Bayerischen Armeemuseums in Ingolstadt. Dort, im Neuen Schloss, ist Romani Rose am Montag, 9. Juli, zu Gast. Der Abend (Beginn 18 Uhr) findet in der neuen Reihe "Forum Armeemuseum" statt. "Mit diesen Veranstaltungen wollen wir Schlagworte unserer Zeit aufgreifen", sagt Reiß, etwa Tradition oder Zukunft und als nächstes die Heimat.

Dieser Begriff fasziniert den Historiker wegen dessen Vielschichtigkeit. "Heimat" öffnet einen ganzen Horizont an Projektionen, Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen. "Der Mensch lebt zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Nicht-Mehr und Noch-Nicht", sagt Reiß. "Heimat steht im Spannungsfeld zwischen der Sehnsucht nach einer verlorenen, idealisierten Welt und der Sehnsucht nach Geborgenheit in der Zukunft. " Die Erinnerung an die übersichtliche Welt der Kindheit, einem geschützten Raum, korrespondiert mit dem Bedürfnis nach identitätsstiftender Orientierung in der Zukunft. "Heimat ist etwas zutiefst Individuelles. Jeder stellt sich etwas anderes darunter vor. " Deshalb verbietet sich für Reiß jegliche Instrumentalisierung: "Wer Heimat politisiert, nimmt sie den Menschen weg! Heimat muss für alles offen sein. " Für Fantasien der Menschen, Wünsche, Träume. Für das Überraschende im Leben.

Die "Heimat" sieht der Historiker auch im Kräftefeld zwischen Tradition und Fortschritt: "Heimat ist ein Ort, an dem ich verweilen kann, an dem ich aber auch global kommunizieren muss. " Ein Widerspruch? Im Gegenteil, findet der Leiter des Armeemuseums. "Ich kann nur heimatverbunden sein, wenn ich gleichzeitig weltoffen bin. " Denn zum Leben gehöre immer die reale Begegnung mit Menschen - egal, welche Heimat sie haben.