Ingolstadt
Blöken neben dem Bahngleis

In einem kleinen Idyll mitten in der Stadt hält Johann Gabel eine Herde Kamerunschafe

01.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:24 Uhr
Ahornblätter schmecken besonders gut: Die Kamerunschafe fühlen sich auf ihrer kleinen Weide neben dem McDonald's wohl. −Foto: Fotos: Brandl

Ingolstadt (DK) Auf dem Papier ist sie es schon länger - allmählich wird Ingolstadt auch äußerlich einer Großstadt immer ähnlicher. Die Bevölkerung wächst, der Verkehr wälzt sich oft mühsam durch die Straßen, und Betonburgen schießen in den Himmel. Zwischen all der Betriebsamkeit gibt es aber noch kleine versteckte Idyllen.

Und das mitten in der Stadt, als seien sie ein wenig aus der Zeit gefallen. Johann Gabel besitzt ein solches grünes Kleinod
im Nordosten der Stadt, zwischen der Nürnberger Straße und den Bahngleisen beim Nordbahnhof. Das Besondere an dem kleinen Grundstück mit den knorrigen Marillenbäumen darauf: Auf der Wiese tummelt sich eine Herde Kamerunschafe. Der 64-jährige Gabel hält die Tiere quasi als Hobby, wie er sagt. "Ich bin ein ausgesprochener Tierliebhaber und außerdem ein verlorener Bauer ohne Hof", räumt er schmunzelnd ein. Der frühere Audi-Mitarbeiter und Familienvater ist ein eher stiller Zeitgenosse, der in Gesellschaft der als unkompliziert und scheu geltenden afrikanischen Schafe Kraft schöpft, wenn er ihnen Heu in die Krippe schaufelt und Wasser in die Zuber gießt. "Sich mit den Tieren zu beschäftigen, schmiert die Seele", sagt er.

Viel mehr gibt er auch nicht preis. Über die Merkmale und das Verhalten der Schafe, darüber weiß Gabel als Züchter allerdings vieles zu berichten. So seien die Tiere gerade bei Hobbyzüchtern beliebt, weil sie nicht geschoren werden müssten und unempfindlich gegen Kälte seien.

Jeden Tag in der Früh kommt Gabel zu dem Grundstück, versorgt die Tiere mit Futter und macht mit einem Reisigbesen sauber. Die kleine Herde besteht aus knapp einem Dutzend Schafe, darunter ein kürzlich geborenes Jungtier und ein Widder, der sich äußerlich durch seine markanten Sichelhörner und die dichte Mähne am Hals abhebt. Die Tiere scheinen genau zu wissen, was ihr Besitzer vorhat. Keine seiner Bewegungen scheint ihnen zu entgehen. "Die kennen die Abläufe", weiß Gabel. Falls aber doch, genügt ein leiser Pfiff, und sie werden aufmerksam. Auch, als er sich eine Leiter und eine Baumschere holt, um Äste aus einer der Kronen zu schneiden. Die Herde folgt ihm erst unaufmerksam, dann steuert sie zielsicher auf den Baum zu, aus dessen Wipfel Äste zu Boden fallen. Das frische Blattwerk ist an diesem Vormittag quasi das Dessert für die Kamerunschafe, über das sie sich sogleich hermachen.

Bei den Nachbarn sei sein Hobby akzeptiert, versichert Gabel. Das Blöken und der manchmal etwas strenge Geruch störe niemanden. Zugleich zeigt sich die Herde von den regelmäßig hinter der Lärmschutzwand vorbei ratternden Zügen gänzlich unbeeindruckt. Nicht einmal ein schrilles Zugsignal bringt sie aus der Ruhe.

Der Natur habe er sich immer sehr verbunden gefühlt, sagt Gabler. Diese Verbundenheit habe er auch an seine Kinder weitergegeben. Die Idylle am Rande des Stadtzentrums verlangt aber auch ihren Preis, der vor allem in der Verantwortung den Schafen gegenüber liegt. Länger verreist sei er schon seit Jahren nicht mehr, erzählt Gabel. Das habe er auch nicht mehr vor. Auch Gewinn wolle er aus der Zucht nicht schlagen. Stattdessen beschäftige er sich mit neuen Plänen, was er auf dem Grundstück noch machen könnte. "Bienen anzusiedeln, schwebt mir vor", sagt er. "Das macht man in den Großstädten jetzt auf Hochhäusern." In Großstädten wie Ingolstadt gibt es dafür noch verborgene Idylle, wie das von Johann Gabel.

Michael Brandl