Freier um über 300 000 Euro geprellt

Prostituierte muss in Haft

26.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:33 Uhr
Bereits vor der Verhandlung hatte die 35-Jährige Tränen in den Augen. Während des Prozesses weinte sie. Es tue ihr Leid, sagte sie in ihrem Schlusswort. −Foto: Müller

ngolstadt - Für sie war es Geschäft, für ihn eine Liebesbeziehung: Weil die angeklagte Prostituierte ihm eine angeblich sichere und hochverzinsliche Geldanlage versprochen hatte, übergab der Freier im Dezember 2017 auf dem Parkplatz der Saturn-Arena in Ingolstadt 300 000 Euro in bar an einen ihm unbekannten Mann.

 

Bereits vorher waren größere Beträge an die Angeklagte geflossen. Weil  eine Geldanlage zugunsten des Freiers nie beabsichtigt war, verurteilte das Landgericht Ingolstadt am Freitag die 35-Jährige wegen Betrugs in einem besonders schweren Fall zu drei Jahren Haft. Zudem wurde die Einziehung des Geldes angeordnet. Weil sie geständig war, fiel die Strafe um drei Monate niedriger aus als die vom Amtsgericht in erster Instanz verhängte. 
Dem Urteil ging eine Verständigung zu Beginn der Verhandlung voraus: Strafmilderung um drei bis sechs Monate gegen Geständnis. Mehr wollte das Gericht nicht nachlassen, weil es das Urteil des Amtsgerichts für „plausibel und angemessen“ und das Tatgeschehen für weitgehend aufgeklärt ansah. Lese man die WhatsApp-Korrespondenz zwischen Angeklagter und Geschädigtem, wisse man, „was Sache ist“, gab Konrad Kliegl, der Vorsitzende Richter der 4. Strafkammer, zu bedenken. Dafür spreche auch, so Kliegl weiter, dass sich die 35-jährige Prostituierte, die nach eigenen Angaben eigentlich in Moldawien Zollbeamtin werden wollte und dafür ein Studium begonnen hatte, unmittelbar nach Übergabe des Geldes ins Ausland abgesetzt hat und erst zwei Tage später an der rumänisch-moldawischen Grenze festgenommen werden konnte. „Geld weg. Frau auch weg“, fasste Kliegl zusammen. Im Übrigen, so der Vorsitzende weiter, hätte eine vollständige Beweisaufnahme auch eine höhere Strafe ergeben können.
So sparte man sich die Zeugenvernehmungen – insbesondere die des Opfers – und konzentrierte sich auf die Strafhöhe. Zugunsten der Angeklagten wurden die „Blauäugig-, Leichtgläubig- und Vertrauensseligkeit“ des Geschädigten gewertet. Konrad Kliegl sprach sogar von „grenzenloser Naivität“, wenn jemand bei Dunkelheit auf einem unbeleuchteten Parkplatz ohne Quittung oder Anlagevertrag einem ihm fremden Russen Bargeld in sechsstelliger Höhe übergibt. 
Gegen die Angeklagte spreche jedoch, so Kliegl, dass sie die Schwäche des Geschädigten „schamlos ausgenutzt“ habe. Sie habe, worauf auch Staatsanwalt Gerhard Reicherl in seinem Plädoyer hingewiesen hatte, bereits in den Monaten vorher etwa 200 000 Euro aus ihm „rausgelockt“ – unter anderem für angebliche Operationen ihrer Tochter. Ermittlungen hierzu seien  eingestellt worden. Insofern sei die Bargeldübergabe auf dem Parkplatz der Saturn-Arena das „große Finale“ gewesen, so der Richter in der Urteilsbegründung. 
Auch der Versuch der Verteidigung, eine mildere Bestrafung der Angeklagten dadurch zu erreichen, dass diese Hintermänner preisgibt, die sie gesteuert haben sollen, war nicht erfolgreich: Zum einen konnte sie nur einen namentlich benennen, der von dem Geld in Moldawien ein Haus gekauft haben soll; zum anderen wies der Vorsitzende darauf hin, dass der Gehalt derartiger Angaben in der Hauptverhandlung nicht überprüfbar sei. Als glaubhaft stufte das Gericht jedoch ein, dass es Hintermänner gab und die Angeklagte zwar von den ersten Zahlungen, nicht jedoch von den 300 000 Euro profitierte. Diese, so stellte Richter Kliegl realistisch fest, seien „unwiederbringlich verloren“, und die Einziehungsanordnung sei demnach „eine Luftnummer“.
Interessant war der Hinweis von Verteidiger Florian Wurtinger, wonach in der Schweiz bei einem Opfer, das auf eine so „windige Geschichte“ hereinfalle, eine Strafbarkeit wegen Betrugs ausgeschlossen sei. Das deutsche Strafrecht hingegen schützt jedes Betrugsopfer  – auch wenn es liebesblind eine halbe Million Euro „investiert“. 

Andreas Müller