Reichertshofen
Expertise gegen Expertise

Erweitertes Bodengutachten zum Gebiet "Neustockau" und Rechtsgutachten der Anwohner im Gemeinderat

14.10.2021 | Stand 17.10.2021, 3:33 Uhr
Seit langer Zeit Streitobjekt: das Areal an der Neuburger Straße in Reichertshofen, wo ein neues Baugebiet geplant ist. −Foto: ok

Reichertshofen - Soll im Bereich Neustockau ein Neubaugebiet entstehen? Darüber wird im Ort bereits seit Monaten teils heftig debattiert. Gegner und Befürworter haben unter anderem in Leserbriefen immer wieder ihre Argumente ausgetauscht. Jetzt wurde auf der letzten Gemeinderatssitzung ein neues erweitertes Bodengutachten vorgestellt sowie die Abwägungen zum Rechtsgutachten der Anlieger.

Das Baugebiet "Neustockau" soll zwischen der B13, der Neuburgerstraße sowie der Lessingstraße entstehen, erschlossen wird es von der Neuburger Straße aus. 23 Parzellen sollen auf 2,5 Hektar geschaffen werden. Die Gemeinde hat 40 Prozent der Fläche für Vergaben nach den Richtlinien des Einheimischenmodells erworben, kann aber bei Abbruch der Planungen vom Vertrag zurücktreten. Das Vorhaben hatte bei den Anwohnern umliegender Straßen für Unruhe gesorgt: Sie hatten sich mit Unterschriftenliste und ausführlichen Einwendungen gegen die Aufstellung des Bebauungsplans gewehrt.

Die Bedenken der Anlieger betreffen das Grundwasser. Dieses liegt sehr nah an der Oberfläche und muss für die Bebauung wohl abgesenkt werden. Sonst wären Erd- und Gründungsarbeiten nicht möglich. Die Anwohner befürchten eine beeinträchtigte Standsicherheit ihrer Gebäude und Setzungsschäden und Risse wegen der einhergehenden Austrocknung der Bodenschichten. Auch Schäden an der Vegetation durch Wasserentzug oder auch Nachteile für den Naturhaushalt und die Artenvielfalt wurden befürchtet.

Genau mit diesen Befürchtungen beschäftigte sich das neue, erweiterte Bodengutachten, das Martin Schemmel und Tim Kraft vom Büro gbm aus Feldkirchen auf der letzten Sitzung des Marktgemeinderats vorstellten. Ein SPD-Antrag auf Absetzung der Neustockau-Punkte und für das Erstellen einer Machbarkeitsstudie zur Neustockau war vorher mehrheitlich im Gremium durchgefallen. Wie Bürgermeister Michael Franken (JWU) betonte, handle es sich bei dem neuen Gutachten um eine ergänzende Untersuchung auf Basis des ersten Bodengutachtens. "Das erste Gutachten wurde nie in Zweifel gezogen. Andere Behauptungen, wie dass uns das Ergebnis des ersten Gutachtens nicht gefallen hätte, sind falsch."

Die wichtigsten Ergebnisse des erweiterten Gutachtens in Kürze: An unterschiedlichen Stellen im Plangebiet liegen verschieden zusammengesetzte Bodenschichten vor, die unterschiedlich tragfähig und wasserdurchlässig sind. Sehr weiche Tone, die nicht tragfähig sind, finden sich nur im Bereich des Vorfluters, nicht im Bereich von Häusern. Die Reichweiten einer Grundwasserabsenkung sind abhängig von der Wasserdurchlässigkeit. Auf Teilflächen ist mit Setzungen, die sich nur langsam einstellen, zu rechnen. Bei den erkundeten Untergrundverhältnissen wäre eine maximale Reichweite des Absenktrichters von 35 Metern (bei 0,5 Meter Absenkung für den geplanten Geländeauftrag) bis 65 Meter (bei einem Meter Absenkung im südwestlichen Bereich) zu erwarten. Diese Angaben seien laut dem Büro gbm mit "großer Sicherheit hinterlegt".

Um die Sicherheit weiter zu verbessern, sollen folgende Maßnahmen im Bebauungsplan hinterlegt werden: Umplanung der Zufahrtsstraße im Kurvenbereich und Erhöhung des Abstands zwischen Stützmauer und Teich. Die geplante Gabionenwand entfällt. Zu mehr Prognose-Sicherheit soll auch die Einrichtung von Grundwasser-Messstellen führen sowie die Durchführung eines wasserrechtlichen Genehmigungsverfahrens zur Grundwasserabsenkung. In den Anliegerbereichen soll ein Absenken des Grundwasserspiegels nur im Umfang der natürlichen Schwankung erfolgen. Mehrmals wurde im Gremium betont, dass es sich beim Absenken des Wassers um einen "sehr geringen, temporär begrenzen Eingriff in wenigen Bereichen" handle. All diese Maßnahmen sollen dafür sorgen, dass die Anwohner der dahinterliegenden Grundstücke geschützt sind.

Im Gebiet kommt außerdem geogenes, also natürlich vorhandenes Arsen in einer äußerst geringen Konzentration vor. In Flussnähe und bei Weihern komme laut dem Geo-Ingenieur häufig geogenes Arsen vor. Deswegen soll der Oberboden laut Martin Schemmel eventuell abgetragen und auf Äckern in der Umgebung ausgebracht werden. Bei dem Boden handle es sich laut Schemmel nach wie vor "um ein wertvolles Gut" und nicht um "Sondermüll", wie Waltraud Schembera (SPD) befürchtete.

Wie schwierig das Thema ist, zeigte sich auch in der nachfolgenden Diskussion. Fast jede Wortmeldung begann mit den Worten: "Wenn ich es richtig verstanden habe." Neben einigen technischen Fragen brachte Georg Pfab (JWU) einen neuen Aspekt: "Die Bauplätze zwischen Altbestand und neuem Baugebiet, bekommen die dann Baurecht?" Bürgermeister Franken: "Wenn das eine Baulücke ist, dann ja." Wolfgang Freudenberger (SPD) und Gabi Breitmoser (CSU) befürchteten, dass sich die Kosten für die Zusatzmaßnahmen am Ende zu hoch summieren könnten. Die Kosten lagen zur Sitzung noch nicht vor und sollen in einer späteren Sitzung vorgestellt werden. Freudenberger forderte außerdem das Erstellen einer Machbarkeitsstudie. "Eine Machbarkeitsstudie ist weit weniger als das, was Sie heute haben", wandten die Ingenieure ein. Franken ergänzte: "Das Bauleitplanverfahren ist eine fortlaufende Machbarkeitsstudie."

Das Gutachten wurde vom Gemeinderat einstimmig zur Kenntnis genommen und freigegeben. Vier Gegenstimmen gab es allerdings bei der Behandlung der Einwendungen (siehe unten) sowie jeweils sechs Gegenstimmen beim Aufstellungsbeschluss zur Änderung des Flächennutzungsplans und beim Billigungs- und Auslegungsbeschluss zur Durchführung der Träger- und Öffentlichkeitsbeteiligung.

Max Zängl (CSU) äußerte Bedenken: Gutachterlich sei die Argumentation zwar schlüssig, aber man habe als Gemeinderat auch eine politische Entscheidung zu treffen. Zängl erwähnte die Folgen des Klimawandels, befürchtete Starkregenereignisse und stellte die Frage: "Ist der Aufwand für das Gebiet gerechtfertigt?"

Freudenberger argumentierte ebenfalls mit Gesichtspunkten des Klima- und Umweltschutzes und schlug Alternativen unter anderen in den Ortsteilen vor. Das wollte Erwin Strasser (JWU) nicht so stehen lassen: "Das ist an den Haaren herbeigezogen. Wo ist denn für die Natur etwas gewonnen, wenn wir Neustockau fallen lassen und stattdessen ein Neubaugebiet in den Ortsteilen schaffen?" Schließlich war für viele Räte wahrscheinlich das Argument ausschlaggebend, das Dieter Lindenmeier (CSU) am Ende brachte: Dass jungen Familien vor Ort eine Möglichkeit gegeben werden solle, ein eigenes Haus zu bauen. Die erforderlichen Beschlüsse wurden schließlich mit großer Mehrheit auf den Weg gebracht.

DK