Corona in Ingolstadt
Ein Jahr mit dem Virus

Erfahrungen rund um die Pandemie

06.03.2021 | Stand 10.03.2021, 3:33 Uhr
Abstrich mit Wattestäbchen: Am Audi-Sportpark wird unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen getestet. −Foto: Hammer

Vor genau einem Jahr kam das Corona-Virus nach Ingolstadt. Niemand konnte sich vorstellen, wie dieses Jahr verlaufen würde – mit Abstand und Masken, geschlossenen Geschäften und geöffneten Testzentren, mit Impfungen und Inzidenzen. Wir blicken mit einigen Protagonisten zurück.

Nach der Rückkehr von einer Italienreise hatte er sich schlecht gefühlt, sich mit Grippesymptomen krank gemeldet und sich anschließend angesichts des Covid-19-Ausbruchs in Norditalien vorsorglich testen lassen. Am 6. März 2020, vor genau einem Jahr, lag das Ergebnis beim städtischen Gesundheitsamt vor: Ingolstadt hatte seinen ersten offiziellen Corona-Fall. Der Name des Mannes wurde nie öffentlich bekannt, er hat seine Infektion auch überwunden – aber seine Diagnose riss die Stadt mit einem Mal hinein in eine Entwicklung, die seinerzeit noch nicht alle als das begriffen hatten, was sie faktisch ist: Eine weltweite Naturkatastrophe, deren Ende auch heute noch lange nicht in Sicht ist.

Gut 4100 Fälle bis heute

Aus dem einen nachgewiesenen Fall sind binnen eines Jahres allein in Ingolstadt gut 4100 bestätigte Fälle geworden. Oft genug sind sie nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für deren Familien und sonstige nähere Umgebung mit teils herben Einschnitten verbunden gewesen: Quarantäne und sorgenvolles Warten, mitunter eben auch deutlich spürbare Krankheitssymptome und sogar heftige Verläufe bis hin zur Intensivbehandlung sind die Begleiterscheinungen dieser Pandemie, die inzwischen grundsätzlich jeden Menschen auf diesem Globus bedroht. 92 Ingolstädterinnen und Ingolstädtern hat sie bislang sogar den Tod gebracht – die traurigste Folge dieser Zäsur von weltgeschichtlicher Bedeutung, deren Auswirkungen praktisch jeder im eigenen täglichen Leben spürt. Noch immer im zweiten landesweiten Lockdown verhaftet, führen die Bürger an vielen Fronten einen Kampf um die Rückkehr zu früheren, zu „normalen“ Verhältnissen. Ausgang noch ungewiss.

Kurzzeitig heißester Hotspot

Die Menschen in Stadt und Umland haben lernen müssen, mit vielen Einschränkungen und Änderungen zu leben – mit einem Corona-Testzentrum und (neuerdings) zwei Impfzentren, mit Geschäfts- und Lokalschließungen, mit einer ausgefallenen Landesgartenschau und vielen Festabsagen, mit nächtlichen Ausgangssperren und vor allem auch mit viel Verzicht auf Kontakte in und zwischen den Familien. Und die im vorigen Herbst auch in Ingolstadt stark gestiegenen Fallzahlen – für einen Tag war die Stadt sogar der heißeste Corona-Hotspot der Republik – haben nach einem vielfach unbeschwert erlebten Sommer 2020 deutlich vor Augen geführt, wie tückisch sich die zweite Welle einer Seuche auswirken kann. Alte zahlten den höchsten Preis Die dramatischste, weithin sichtbare Folge dieser zweiten Corona-Welle sind die über 70 Erkrankungen und die daraus resultierenden 23 Todesfälle unter Bewohnern des städtischen Heilig-Geist-Spitals gewesen. Zum zweiten Mal nach einer Serie von tödlichen Verläufen bei Bewohnern des Altenheims der Banater Schwaben im Monikaviertel im Frühjahr 2020 sind also vor allem hochbetagte Mitbürger gleich reihenweise zu Opfern geworden. Der Fall Heilig-Geist-Spital wirft nach allen Erfahrungen, die im Laufe der Monate mit Corona-Prävention gemacht worden sind oder gemacht werden hätten können, allerdings auch Fragen nach organisatorischen Defiziten im Heimbetrieb auf.

Alle Generationen betroffen

Auch unsere unten abgebildete Tabelle zeigt, dass Senioren die am stärksten von schweren oder gar tödlichen Krankheitsverläufen bedrohte Bevölkerungsgruppe darstellen. Sie beweist aber auch, dass vor allem die mittlere Generation und – zu einem kleineren Teil – sogar die Jüngsten der Gesellschaft ihre Packen zu tragen haben: Corona geht uns alle an.

Testen, Testen, Testen

Marco Münnighoff, Allgemeinarzt

Es war der 19. März 2020 – Marco Münnighoff weiß es noch genau: An diesem Tag wurde das Ingolstädter Corona-Testzentrum am Audi-Sportpark eröffnet – und Münnighoff war mit dabei. Über den Ärztlichen Kreisverband waren Mediziner gesucht worden, die dort Testungen vornehmen. Münnighoff hatte das Gefühl, im Angesicht der heraufziehenden Pandemie seinen Beitrag leisten zu müssen und meldete sich. „Am Anfang war die Unsicherheit groß“, denkt er zurück: „Keiner wusste, wie ansteckend das Zeug wirklich ist. Ein Müllmann kam und fragte, ob er die Abfalleimer in den Müllwagen leeren könne oder ob das zu gefährlich sei.“ Münnighoff selbst hatte da seinen ersten Kontakt schon hinter sich: „Ich hatte mit einem Bekannten ein Bierchen getrunken und mich lange unterhalten, als dieser direkt aus Ischgl gekommen war. Am nächsten Tag lag er mit Corona für fast zwei Wochen flach und war wirklich stark betroffen. Ich hatte mich aber nicht angesteckt und war so erstmal etwas beruhigt.“ Inzwischen hat sich auch bei Münnighoff so etwas wie Corona-Routine eingeschlichen. In seiner Praxis in der Innenstadt hatte er etwa 40 bis 50 bestätigte Corona-Fälle unter seinen Patienten, aber niemand in seinem Team hat sich bisher angesteckt. Als Tester am Audi-Sportpark ist er nach wie vor aktiv. Auch wenn er inzwischen darauf hofft, dass irgendwann eine Ende der Pandemie absehbar ist: „Nein, vermissen werde ich die Teststation nicht!“

Die Party muss weiter warten

Emanuel Mayr, DJ und Clubbetreiber

Gemeinsam mit seinen Kollegen hat Emanuel Mayr Mitte März 2020 das Suxul geschlossen. Seitdem ist der Club zu. „Wir haben schon ein Wochenende vor dem Lockdown alles dicht gemacht, obwohl wir noch gar nicht mussten“, erzählt er. Wie vielen anderen Clubbetreibern schien es ihnen angesichts der Pandemie die einzige verantwortungsvolle Maßnahme. „Wir haben damals gehofft, in vier Wochen wieder aufzumachen. Jetzt wissen wir:  Das war naiv.“
Die Zeit hat das Suxul-Team genutzt, um den Club herzurichten und ein bisschen am Konzept zu feilen. Das alles ist längst erledigt. „Wir sind ready to go“, sagt Mayr.
Wirtschaftlich ist die Situation eine Katastrophe. „Wir dürfen seit einem Jahr kein Geld verdienen“, sagt  er. „Wir sind völlig auf Hilfen angewiesen.“ Insgesamt fühlten sich viel Clubbetreiber und Gastronomen in der Pandemie  „massiv im Stich gelassen“. Es sei einzusehen, dass Einschränkungen  nötig sind und gerade Clubs, in denen es eng zugeht und kaum Lüftungsmöglichkeiten bestehen, nicht so ohne weiteres in den Normalbetrieb gehen können. Vielleicht einmal mit Schnelltests vor dem Eingang? „Das könnte ich mir schon vorstellen“, sagt Mayr. Es liegen jedenfalls viele Hygienekonzepte vor, die zumindest eine teilweise Öffnung schon länger möglich gemacht hätten.
Die Zwangspause des Clubs hat der DJ genutzt, um das neu gegründete Label seiner SNC Crew voranzubringen. So gab es zumindest etwas kreative Arbeit. „Aber es fehlt einfach was. Ich will jetzt endlich wieder auflegen.“

Auf der Suche

Sevval Uc, aus Ingolstadt

Eigentlich begann das Jahr 2020 für Sevval Uc recht verheißungsvoll. Im Februar trat sie einen neuen Job an. Mit viel Freude. Ursprünglich hatte sie Friseurin gelernt und auch  viereinhalb Jahre in diesem Beruf gearbeitet.  Dann aber wollte sie sich verändern: „Ich wollte unbedingt etwas mit Mode machen. Das ist das, wofür mein Herz schlägt“, erzählt Uc.  Eine Stelle bei einer schwedischen Bekleidungskette war da genau das Richtige.  Doch mit dem neuen Beruf kam auch Corona und bald der erste Lockdown.   Im Frühsommer  öffneten die Geschäfte wieder, aber der Umsatz blieb hinter den  Vorjahren zurück. „Man hat es schon gemerkt“, berichtet die junge Ingolstädterin: „Wir durften nun 50 Leute reinlassen, die Leute mussten anstehen – dadurch kauften die Leute nicht so viel wie vorher.“ 
Im August schließlich wurde Sevval Uc entlassen.  Seitdem ist sie auf der Suche nach einer neuen Arbeit. Kein leichtes Unterfangen in Corona-Zeiten.  „Mir macht es Spaß, mit Leuten in Kontakt zu sein, ich möchte gerne arbeiten, es ist blöd herumzusitzen“, sagt Uc. 
Nun hofft sie auf eine neue Arbeit – und auf die Impfung. Sevval Uc: „Ich wäre froh, wenn ich endlich  meinen Stempel im Impfpass hätte und so relativ gut geschützt wäre –  und auch wieder mehr Freiheiten hätte. Auch bei meiner Oma und meinem Opa wäre ich froh, wenn sie bald geimpft würden.  Man hat ja schon Angst, was durch Corona alles passieren kann.“

Corona-Paar 2020

Christel und Michael Hetrich (55 und 52) aus Ingolstadt

Für die beiden war 2020 ein Corona-Jahr in zweifacher Hinsicht: Erst hatte das neuartige Virus gravierende Auswirkungen auf  ihre am 30. Mai geplante Hochzeit, ein halbes Jahr später sind zunächst Michael Hetrich und einige Tage später seine Frau Christel an Covid-19 erkrankt. Die beiden hatten, wie man sagt, einen eher leichten Verlauf.  
 Michael hatte sich  Anfang November in der Arbeit infiziert. Er bekam nachts Fieber, schwitzte und fror abwechselnd und hatte Gliederschmerzen – „wie bei einer Grippe“, schildert seine Frau. Der folgende Corona-Test  war positiv. Als seine Frau zwei Tage später abends beim Fernsehen plötzlich starke Gliederschmerzen bekam, ahnte sie schon: „Jetzt geht’s bei mir auch los.“ Sie sollte recht behalten.
Ihr Mann  hatte starke Kreislaufprobleme, hatte im Gegensatz zu seiner Frau aber den Geruchs- und Geschmackssinn nicht verloren.  „Ich schmecke heute noch immer nichts“, sagt Christel Hetrich. Das könne, hat ihr ein Arzt gesagt, ein halbes Jahr dauern.  
Corona hat das Leben des Paares 2020 nachhaltig beeinträchtigt.  Am 30. Mai war Hochzeitstermin.  70 Gäste hätten ursprünglich kommen sollen. Um alle  unterzubringen, sollte die Trauung im Historischen Sitzungssaal stattfinden. Tatsächlich durften dann nur neun Leute an der Trauung teilnehmen. Danach gab’s keine Feier, sondern nur ein Essen – an zwei getrennten Tischen.  Ihren Hochzeitstag werden sie sicher nicht vergessen.