Ingolstadt
Prozesse gegen ERC-Fans laufen wieder an

Massenprügelei vom Oktober 2017 noch immer nicht juristisch aufgearbeitet - Straubinger Fan freigesprochen

02.07.2020 | Stand 02.12.2020, 11:03 Uhr
Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen lief voriges Jahr am Amtsgericht Straubing der erste Prozess zu der Massenschlägerei zwischen Ingolstädter und Straubinger Eishockeyanhängern, die mitten in der Innenstadt der niederbayerischen Stadt aufeinandertrafen. −Foto: Rehberger

Ingolstadt/Straubing - Noch ist in keiner Weise klar, wann und in welcher Form wieder Eishockeyspiele vor Zuschauern stattfinden können. Doch bis dahin spukt bei einigen Anhängern der Ingolstädter und Straubinger Profiklubs noch ein Vorfall im Kopf herum, der sich im Herbst bereits zum dritten Mal jährt: die große Schlägerei zwischen beiden Fanlagern mitten in der niederbayerischen Donaustadt. Um deren juristische Aufarbeitung war es in den vergangenen Monaten sehr ruhig geworden und tatsächlich geriet darüber fast in Vergessenheit, dass noch mehrere Dutzend Ingolstädter Anhänger aus dem Ultra-Lager wegen des damaligen Vorfalls mit Stadionverboten belegt sind und noch auf ein Urteil warten.

 

Jetzt kommt allerdings wieder Bewegung in einen Teil des Justizapparats, da sich in einem anderen überhaupt nichts tut: Das Landgericht Regensburg hat, wie ein Behördensprecher auf DK-Anfrage bestätigte, noch immer keinen Termin für die Berufungsverhandlung gegen drei junge Männer aus Ingolstadt finden können, die als eine Art Musterprozess in dem ganzen Komplex dienen soll, weil dazu im Mai 2019 erstmals ein erstinstanzliches Urteil gesprochen wurde. "Nach Auskunft der Kammervorsitzenden war eine Terminierung bisher aufgrund anderer vorrangig zu bearbeitender Verfahren noch nicht möglich", teilte das Regensburger Landgericht nun mit. Die Jugendkammer sei neben Berufungsverfahren auch für erstinstanzliche Strafverfahren zuständig, bei denen sich die Beschuldigten häufig in Untersuchungshaft befinden. "In Haftsachen gilt der Beschleunigungsgrundsatz wegen der besonders einschneidenden Wirkungen des vorläufigen Freiheitsentzugs in verstärktem Maße." Diese Verfahren seien daher zu priorisieren, auch wenn dadurch Nichthaftsachen, die schon länger anhängig sind, erst später verhandelt werden können.

Alleine in dem Schlägerei-"Musterverfahren" ist es schon über ein Jahr, in dem der Berufungsprozess aussteht. Mit Blick auf diese zu erwartende Grundsatzentscheidung in Regensburg hatte das Amtsgericht Straubing als erste Instanz alle weiteren Verfahren in dem Schlägereikomplex zurückgestellt - bis jetzt. "Angesichts dieser Sachlage haben sich einige Strafrichter entschieden, die Verfahren zu verhandeln", bestätigt die Straubinger Amtsgerichtsdirektorin Gisela Schwack dem DK.

In allen Fällen war und ist der Vorwurf gegen insgesamt 59 Ingolstädter der Ultragruppierung Gioventù, die allesamt im Oktober 2017 von der Straubinger Polizei auf dem Theresienplatz eingekesselt worden waren, gleichlautend: Landfriedensbruch, also Gewalt und Bedrohungen aus einer Menschenmenge heraus. Vorausgegangen war (wie mehrfach berichtet) ein größerer Aufmarsch der Ingolstädter, die vor dem Derby in der Straubinger Eishalle am helllichten Tag als - so beschrieben es Zeugen in einem kurz anverhandelten Prozess gegen vier andere angeklagte ERC-Fans im März 2019 - mehr oder weniger schwarzer Block lautstark mitten im Zentrum von Straubing aufgetreten waren und Passanten damit auf- und erschreckten. Besonders, als sich beim Aufeinandertreffen mit Straubinger Ultras eine Prügelei zwischen Teilen beider Fangruppierungen entwickelte. An der waren je nach Schilderung bis zu zwei Dutzend Leute beteiligt.

Während von den Straubingern - die beim Eintreffen der Polizei den Heimvorteil nutzten und flüchteten - nur ein Beteiligter von einem Zeugen erkannt wurde, setzten die Einsatzkräfte die Ingolstädter fest. Was folgte, waren teils mehrjährige Stadionverbote sowie Anklagen und Strafbefehle gegen die ERC-Fans und den einen Straubinger, der mutmaßlich zu den Anführern der dortigen Ultra-Szene gehört.

Der 27-Jährige aus dem Straubinger Umland stand nun als Erster nach der langen Prozesspause wieder vor dem dortigen Amtsgericht. Er soll laut Anklage von Beginn an zu der Straubinger Gruppierung gehört haben, sei Befehlsgeber und Organisator gewesen und habe sich zumindest mit ihr solidarisiert. Das alles wies der Angeklagte über eine Verteidigererklärung zurück. Zusammengefasst: Er sei zwar vor Ort gewesen, habe sich aber weder körperlich noch anderweitig in die Auseinandersetzung eingemischt.

Der Zeuge, der den Ultra seinerzeit aufgrund seiner Bekanntheit im Eisstadion auf der Straße wiedererkannt und der Polizei gemeldet hatte, hatte von ihm auch keine konkreten Aktionen mitbekommen. Da seine Tatbeteiligung nicht bewiesen werden konnte, sprach die Richterin den 27-jährigen Beschuldigten letztlich frei.

Die Staatsanwältin hatte das anders gesehen und eine Geldstrafe (4700 Euro) beantragt - wie sich die Strafverfolgungsbehörde in Straubing bisher in jedem Fall für eine Verurteilung der beteiligten Fans ausgesprochen hat. Das war auch in dem erwähnten Musterprozess so, der noch beim Landgericht Regensburg anhängig ist. Auch diese drei Ingolstädter wurden in der ersten Instanz freigesprochen, da sich ein konkreter Tatbeitrag am Landfriedensbruch nie beweisen ließ, obwohl offensichtlich die Fäusten flogen. Alle aus der Ingolstädter Fangruppierung hatten stets die Aussage verweigert - was ihr Recht ist - und die schlägernden Mitglieder nicht benannt.

Weitere ERC-Fans werden sich ab Mitte August in einzelnen Prozessen vor dem Amtsgericht Straubing verantworten müssen. Die Tendenz für den Ausgang zeichnet sich nun deutlicher ab. Ob das allerdings das Ende der Strafverfahren sein wird, muss zumindest so lange in Zweifel gezogen werden, bis vom Landgericht Regensburg doch ein wegweisendes Urteil in dem "Musterprozess" gefällt worden ist.

DK