Ingolstadt
Die letzten Reserven

Tag fünf meines Handyentzugs: Kollegen wollen mich leiden sehen

21.01.2019 | Stand 23.09.2023, 5:42 Uhr
Das Smartphone erscheint genauso verführerisch wie Schokolade in der Diätphase. −Foto: Hammer

Ingolstadt (DK) Es ist Tag fünf meiner handyfreien Zeit.

Mein Smartphone-Finger, Zivilisationskrankheit häufiger Handynutzung, bei dem sich eine kleine Einkerbung am kleinen Finger bildet, scheint verschwunden. Die letzten Ladebalken meines Smartphones, sicher verstaut im Schrank der Redaktion, sind sicher auch schon ausgegangen. Zwar ist es ausgeschalten, der Akku wird aber bestimmt trotzdem nicht allzu lange halten. Nichts erinnert mich mehr an die Abstinenz meines digitalen Freundes. Fast nichts: Denn hinter dem schwarzen Bildschirm meines Rechners verschanzt, komme ich nicht umhin, schemenhaft das Verhalten meines Umfelds wahrzunehmen. Allen voran meine Arbeitskollegen: Mit wissendem Lächeln legt ein Arbeitskollege sein Smartphone auf den Tisch. Es wäre zu glorifizierend zu sagen, das Display spiegele kunstvoll die Deckenbeleuchtung wider. Aber wie dem auch sei . . . Ein anderer Kollege hält demonstrativ sein Smartphone in die Höhe, als würde er Netz suchen. Ja, ich besitze kein Handy, möchte ich rufen, nein, ich möchte deins auch nicht sehen. Und verdammt nein, anfassen will ich es auch nicht.

Es ist wie die Schokolade, die man als kleines Schmankerl für das Ende der Diät im hintersten Schrankfach versteckt hat und dort sehnsuchtsvoll auf einen wartet. Wenn ich nicht wüsste, dass sie da wäre, würde ich sie auch nicht wollen. Eine große Hilfe sind meine Kollegen bei meinem Entzug nicht.

"Wenn's arg schlimm werd, do gibts a so Handy-Attrappn wie friara no Kaugummi-Zigaretten", meint gerade einer. Ein anderer scherzt: "Gestern hätten wir dein Handy fast schon auf Ebay versteigert, du scheinst es ja nicht zu vermissen. " Ich ringe mir ein müdes Lächeln ab.

Ich sei ein wenig dramatisch, kommentiert mein Gegenüber. Ich quittiere seine Aussage mit einem flüchtigen Blick auf sein Smartphone, es liegt neben seiner Tastatur. Aber auch dieser Tag geht vorbei. Kurz vor Feierabend hat ein Arbeitskollege auch noch sein Handy verlegt. Alle Augen ruhen auf mir. "Ich hab's nicht,", stammel ich. Röte steigt mir ins Gesicht.

"Wie gehts dir ohne Handy? ", fragt ein Mann besorgt im Aufzug. Ich fasse an meine Halsschlagader. "Puls ist noch da. " Vielleicht wollen sie meinen Leidensweg einfach nur teilen, erträglicher machen. Und irgendwie habe ich jetzt Lust auf Schokolade . . .
 

Anna Hausmann