Ingolstadt
Die eigene Tochter mit dem Auto angefahren

Schöffengericht verhängt Bewährungsstrafe gegen Vater für Aufsehen erregenden Vorfall in der Fontanestraße

13.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:27 Uhr
Tatort Fontanestraße: Auf dem Gehweg fuhr der Vater der Tochter über den Fuß, den sie sich dabei brach. −Foto: Hammer/Archiv

Ingolstadt (DK) Der Fall hat bundesweit Schlagzeilen geliefert: Ein Vater fährt seine 16-jährige Tochter mit dem Auto an und verletzt sie dabei - angeblich vorsätzlich und angeblich weil ihm der Freund des Mädchens nicht gefällt.

Diese Geschichte verbreitete sich von Ingolstadt aus schnell in der Nachrichtenwelt. Am 3. Juli hat sie sich in der Fontanestraße im Nordosten zugetragen, gestern wurde der Fall vor dem Schöffengericht am Amtsgericht verhandelt - und vieles schien in einem anderen Licht.

Dieser Fall sticht heraus. Auch wegen des Angeklagten, den das Gericht am Ende zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt, ihm 1500 Euro fürs Rote Kreuz auferlegt und ihm den Führerschein für insgesamt ein Jahr sperrt. Der 48-Jährige spricht offen und dabei ruhig und klar, wirkt selbstreflektiert und schildert detailreich. Der Vater beschreibt dem Gericht ein intaktes Familienleben auf einem Dorf und "eine heile Welt, unsere Kinder sind nie mit Drogen in Kontakt gekommen". Seine Arbeit habe dann alle aus einem anderen Teil Deutschlands in die Region geführt. In der Großstadt habe sich besonders die älteste Tochter - um die es letztlich ging - stark verändert. "Seit wir hierhergekommen sind, war sie in schlechten Kreisen. " Die 16-Jährige bekam massive Probleme mit ihren Leistungen an einer weiterführenden Schule. Nach einem bereits erfolgten Schulwechsel sei zum Halbjahreszeugnis der Blaue Brief eingetrudelt: Versetzung extrem gefährdet - was gleichbedeutend mit dem Ende der Schulkarriere ohne Abschluss gewesen wäre. Teils mehrere Tage sei das Mädchen auch nicht nach Hause gekommen. Er habe sie sogar bei der Polizei als vermisst gemeldet und auch beim Jugendamt nach Hilfe gefragt, sich aber irgendwann machtlos gefühlt.

Eine Schulschwänzerin, die ohne Abschluss von der Schule geht und dann in eine Drogenkarriere mit Beschaffungskriminalität rutscht - dieses Bild habe er damals vor Augen gehabt, sagt der Vater. Das sei ihm auch präsent gewesen, als er bei einer Autofahrt mit der Ehefrau an der Seite am späteren Nachmittag jenes 3. Juli die Tochter mit einem Freund - aber nicht ihrem Partner - auf dem Gehsteig sieht. "Ich dachte, sie zieht wieder los und kommt am nächsten Tag nicht in die Schule. " Sie hätten beschlossen, den beiden zu folgen. Den Freund habe er dem Bekanntenkreis zugerechnet, den er für das "Abrutschen" der Tochter mitverantwortlich macht. Der 20-Jährige ist wegen Betäubungsmitteldelikten vorbestraft, "aber eigentlich ist er ein guter Kerl", so der Vater.

In der Fontanestraße habe der 48-Jährige das Mädchen und seinen Begleiter dann mit dem Auto stoppen wollen. "Ich wollte mich vor sie stellen, damit sie nicht weiterkommen. " Dabei fährt er aber mit dem linken Vorderreifen der 16-Jährigen über den rechten Fuß, der doppelt gebrochen ist. Anschließend zerrt er in großer Erregung, wie er gesteht, die Verletzte an den Haaren von der Straße auf die Rückbank des Wagens. "Aus meiner Sicht war das mit dem Fuß keine Absicht. Das macht man nicht absichtlich", schiebt er hinterher.

Das ist aber die zentrale Frage, um die sich der Prozess dreht. Die Verkehrspolizei hatte ihn ihrem Pressebericht gleich von einer Vorsatztat gesprochen und sich dabei auf die Aussagen von Opfer, Begleiter und einem Beobachter gestützt. In der Verhandlung klang das aber anders: Die Tochter verweigerte als Angehörige die Aussage, ihr damaliger Begleiter hatte nur das ("normale") Motorengeräusch hinter sich gehört und die 16-Jährige dann neben sich stürzen sehen, und ein Augenzeuge aus einem Büro am Tatort konnte sich an die Szene nicht mehr erinnern. Gegenüber der Polizei hatte er zuvor von "Weg abschneiden" gesprochen.

Von einem bedingten Vorsatz und nicht von Absicht ging letztlich auch das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Günter Mayerhöfer aus. Rechtlich sei es ein vorsätzlicher gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr in Verbindung mit vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung. Der Vater habe aber keinen Unglücksfall hervorrufen und die Tochter nicht verletzen wollen. Das habe er durch sein Fahrmanöver aber in Kauf genommen, so Mayerhöfer. "Ein vernünftiger Mensch wäre nicht so nah hingefahren. " Der Richter und die Schöffen erkannten aber auch an, dass das Geständnis des Angeklagten "von ehrlicher Reue getragen" war. Der 48-Jährige entschuldigte sich vielmals und würde gern "alles rückgängig machen". Der Tochter zahlt er Schmerzensgeld.

Zudem berichtete dem Gericht eine Therapeutin, die für das Jugendamt die Familie betreut, von einem "heilsamen Schock" beziehungsweise einem "Wachrütteln": Das sei der Vorfall für alle Beteiligten gewesen - auch für die "bockige" Tochter. "Bei ihr ist die Einsicht gereift, dass sie ihren Teil dazu beigetragen hat. " Inzwischen seien die Noten wieder deutlich besser, das Schuljahr hatte die 16-Jährige noch geschafft. Alles sei auf einem guten Weg in der Familie.

Die Therapeutin kommt zu einer interessanten Einschätzung: "Die Eltern waren immer zu gut. " Irgendwann komme man da vielleicht an einen Punkt, wo man nicht mehr weiter wisse.

Christian Rehberger