Ingolstadt
Das Venedig der Schanz

Schon vor 500 Jahren kämpften Baumeister auf dem Gießereigelände mit schwierigen Bodenverhältnissen

25.02.2021 | Stand 23.09.2023, 5:11 Uhr
Pfahlbauten: In der Gießereihalle legen Archäologen historische Holzpfähle frei, auf denen einst Festungsmauern und das Gebäude der Königlich Bayerischen Geschützgießerei und Geschossfabrik errichtet wurden. Teils wurden die Spitzen mit Metallbändern verstärkt (unten links). Experten können auch in den Erdschichten die Historie des Ortes nachempfinden (unten links). −Foto: Eberl

Ingolstadt - Der Bau des Museums für Konkrete Kunst und Design darf zweifellos als eines der ambitioniertesten Bauprojekte in der jüngeren Stadtgeschichte gelten.

Immerhin wird der neue, moderne Ausstellungsraum in und unter der Gießereihalle errichtet, die schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert steht. Die historische Konstruktion ist dafür im Augenblick auf ein Stützkorsett gestellt worden und es scheint, als schwebe sie über der eigentlichen Baustelle. Eine besondere Herausforderung bildet der hohe Grundwasserstand. Permanent laufen deswegen Pumpen auf dem Gelände. Wenn nicht, stünde man in der Museumsbaustelle hüfthoch im Wasser. Der nasse Untergrund macht aufwendige Fundamentierungen nötig. So ruht die Halle künftig auf langen Betonsäulen, die bis zu 16 Meter in den Boden ragen.

Der instabile Untergrund des Areals ist ein historisches Problem. Seit über 500 Jahren machen sich Architekten, Statiker und andere Bauexperten darüber Gedanken. Welche Lösungen sie gefunden haben, machen derzeit Archäologen sichtbar, die unter der schwebenden Halle Bodenfunde in der Baugrube untersuchen. Dabei wird deutlich, dass schon im 16. Jahrhundert lange Säulen zur Stabilisierung der Festungsmauern in den feuchten Grund getrieben wurden. "Das war damals Hightech", sagt Jan Weinig von der Grabungsfirma Pro Arch, die die Untersuchungen vornimmt. "An dem Prinzip hat sich bis heute nichts geändert. Nur das Material ist ein anderes. "

Wer die Spuren im Untergrund lesen kann, erkennt, dass die Schanzer an der Stelle, an der heute die Gießereihalle steht, ab dem Jahr 1538 eine so genannte Lünette errichtet haben, einen Vorbau der Festung, auf dem Geschütze positioniert wurden. Ihr Fundament ruht auf den Holzpfählen. Auch an anderen Stellen auf dem Gießereigelände sind Hunderte solche Hölzer aufgetaucht. "Untersuchungen haben ergeben, dass es sich um Kiefern aus dem Bayerischen Wald handelt, außerdem Lärchen aus dem Raum Eichstätt und Eichen aus der Umgebung von Ingolstadt", erklärt Grabungsleiter Adrien Werner-Siegfried. Die Stämme unter der Mauer standen für Jahrhunderte im Grundwasser. "Wie in Venedig", sagt der Archäologe.

Nach dem 30-Jährigen Krieg bauten die Schanzer ihre Festung aus. Aus der Lünette vor dem Schloss machten sie eine mächtige Bastion. Der Wassergraben wurde verschmälert, um Platz für die Fundamente der mächtigen Mauern zu gewinnen. Und abermals wurden Holzpfosten ins Erdreich gerammt. Die Spitzen der Pfähle versahen die Festungsbauer mit Metallbändern, um sie stabiler zu machen.

Noch einmal rund 250 Jahre später, ab dem Jahr 1880, änderte sich die Nutzung des Areals. Wo einst die Festungsanlage war - Napoleon hatte sie um 1800 größtenteils zerstört - , entstand ein industrieller Betrieb. "Dabei ist das vielleicht der ungünstigste Ort, den man für eine solche Gießereihalle überhaupt finden kann", sagt Gerd Riedel, Archäologe am Stadtmuseum. Schließlich sollten hier Kanonenrohre gebaut werden. Die waren zu diesem Zeitpunkt der Geschichte längst zu Präzisionswaffen geworden, deren Herstellung unter anderem exakte Bohrungen voraussetzten. "Das Fundament muss deswegen völlig fest und erschütterungsfrei sein", erklärt Riedel. Keine leichte Aufgabe in einem Areal, das von einstigen Wassergräben und historischen Mauern durchzogen ist.

Und so stießen die Ingolstädter ein weiteres Mal Hunderte Holzpfähle in den Grund vor ihrem Schloss. Wer heute in der Gießereihalle steht, kann die Enden der Pfosten erkennen, die etwa in den einstigen Wassergraben getrieben wurden. Dazwischen stehen die über 200 Jahre älteren Stützen. Gut zu sehen sind die Zapfen auf den Stämmen, in denen die Balken des Holztableaus verzahnt sind, auf denen die Ingenieure schließlich das Fundament der Gießereihalle errichteten. Auf einen Blick offenbart sich hier die Baugeschichte dieses für die Schanzer so prägenden Areals. Weinig vergleicht die Arbeit der Archäologen mit einer Obduktion. Während die Hülle der Halle bestehen bleibt, dringen die Forscher im Zuge der Bauarbeiten wie in das Innenleben des Baus vor und legen seine Historie frei. "Wir sezieren diesen Ort sozusagen. " Ins Bild passt, dass die freigelegten Überreste den Neubau - im übertragenen Sinn - nicht überleben werden. Nachdem etwa die Holzstämme über Jahrhunderte im Wasser konserviert wurden, sind sie jetzt Schimmelpilzen, Trockenheit und Fäulnis ausgesetzt. Die Zersetzung hat bereits begonnen. Auch die Mauerüberreste, die derzeit noch im künftigen Museum zu sehen sind, werden - nach genauer Dokumentation der Archäologen - entfernt werden, um Neuem Platz zu machen. "Das ist ja auch in Ordnung", findet Weinig. Schließlich muss sich ein solcher Ort auch weiterentwickeln dürfen.

"Das Areal erlebt jetzt eine weitere Umnutzung", erklärt Riedel. Nachdem es zunächst eine militärische Festung war, wurde es später zum militärischen, dann mit der Firma Schubert und Salzer zu einem zivilen Industrieort und wird jetzt zu einem modernen Museum. Läuft alles nach Plan, ist der Bau unter der historischen Halle im Frühjahr 2022 fertig. Bis dahin ist allerdings noch einiges zu tun. So muss unter anderem geklärt werden, ob weitere historische Überreste unter der künftigen Bodenplatte entfernt werden müssen, um ein späteres Absinken des Bodens zu verhindern. Denn eines wird das Gießereigelände auch in Zukunft bleiben: schwieriges Terrain für Bauherrn.

DK

Johannes Hauser