Mit dem Fahrrad durch die Geschichte

Auch die 6. Auflage des Ingolstädter Festungstags ist gestern auf enormes Interesse gestoßen. Die Besucher konnten einen Blick in ansonsten verschlossene Gebäude werfen, darunter die Fronte Rechberg, die Ziegelbastei, Fort Prinz Karl oder die Kasematten. <?ZuVor "1dp"> <DK-Autor> <?ZS> <?ZA> <?ZuVor "-9dp">Von Bernhard Pehl (Text) und Stefan Eberl (Fotos)<?ZE></DK-Autor>

03.06.2018 | Stand 02.12.2020, 16:18 Uhr
Historische Radtour mit Stadtheimatpfleger Tobias Schönauer (r.) und Archäologe Gerd Riedel. −Foto: Fotos: Eberl

Auch die 6. Auflage des Ingolstädter Festungstags ist gestern auf enormes Interesse gestoßen. Die Besucher konnten einen Blick in ansonsten verschlossene Gebäude werfen, darunter die Fronte Rechberg, die Ziegelbastei, Fort Prinz Karl oder die Kasematten.

Ingolstadt (DK) Das Stichwort Biergarten blieb im Gedächtnis haften. Kein Wunder angesichts sommerlicher Temperaturen und der - um es dezent auszudrücken - wild-romantischen Kulisse der Ziegelbastei, besser bekannt als Wunderlkasematte. Dort befand sich nämlich im 19. Jahrhundert der Wunderlbräu und ein Biergarten im Innenhof, wie der Stadtheimatpfleger Tobias Schönauer den über 80 Teilnehmern der Radtour zu den Stationen der Festung des 16. und 17. Jahrhunderts erläuterte. Ob freilich eine gastronomische Nutzung den Westteil des Gebäudes vor dem Verfall retten kann, ist fraglich. "Es gab in der Vergangenheit schon viele Vorschläge", erklärte Schönauer. Aber letztlich scheiterten alle an den immensen Investitionen, die erforderlich wären. um das marode Bauwerk wieder einer Verwendung zuzuführen. Ein weiteres Problem ist laut Schönauer die Struktur des Gebäudes, die eine künftige Nutzung so schwierig macht. Und eine Sanierung ohne eine konkrete spätere Funktion ist äußerst schwierig.



Dabei ist die Ziegelbastei laut dem städtischen Archäologen Gerd Riedel "die einzige Stelle, wo man die Dimension der Festung aus dem 16. und 17. Jahrhundert noch sieht". In dem auf alten Fundamenten neu errichteten Ostflügel war jahrelang das Grabungsbüro Ingolstadt des Landesamts für Denkmalpflege und seit dessen Weggang die Verwaltung des Museums für Konkrete Kunst. Der Turm am Eingang, unter dem man hindurchgeht, stammt aus einem früheren Festungsabschnitt, während die Freifläche, auf der einst Bier ausgeschenkt wurde, nichts anderes ist als ein aufgeschütteter Graben. Im Ostflügel reichen zwei Kellergeschosse metertief in den Boden, dort lagert das Stadtmuseum etliche Funde.

Geprägt von den Bauten der Landesfestung im 19. Jahrhundert, kann man sich heute kaum mehr die Dimensionen der Verteidigungsanlagen im 16. und 17. Jahrhundert vorstellen. Doch betonte Riedel an mehreren Stellen: "Ingolstadt muss damals einen ungemein mächtigen Eindruck hinterlassen haben." Das Bodenniveau lag an vielen Stellen um einige Meter tiefer, um die Stadt verlief ein Wall und ein Wassergraben. Wie Schönauer ergänzte, mussten die Ingolstädter einst im Belagerungsfall abwechselnd Wache halten und im Winter die zugefrorenen Gräben aufhacken, damit der Feind nicht in die Stadt eindringen konnte. Bis dann Anfang des 19. Jahrhunderts Napoleon fast den gesamten Kontinent eroberte und beschloss, die Festung Ingolstadt zu schleifen. Fast alle Anlagen wurden abgebrochen, die Wälle abgetragen und die Gräben zugeschüttet. Ein völlig anderes Geländeniveau war die Folge. Doch die Veränderungen waren nur obertägig. "Mindestens die Hälfte der Festungsbauten im Boden sind noch erhalten", so Riedel. Ingolstadt ist gleichsam ein riesiges Bodendenkmal.

Auf die Eselbastei am Gießereigelände trifft dies freilich nicht zu. Von dem einst so mächtigen, hohen Verteidigungsbauwerk mit Graben und weiteren Vorwerken, wo sich auch der westliche Stadtausgang befand, ist praktisch kaum mehr etwas erhalten. Doch gibt die benachbarte Baustelle derzeit immerhin noch einen Eindruck von der Mächtigkeit der seinerzeitigen Festung: Sie gründete so tief unten wie die heutige Bodenplatte. Alle Erdarbeiten mussten mit der Hand ausgeführt werden, tausende Hände packten mit an. Nur ein schräges Gittermuster im Pflaster (ein Stück ist an der Audi-Akademie zu sehen) erinnert heute noch daran. Dabei war hier die Stelle,, von der aus der Schuss abgefeuert wurde, womit dem Schwedenkönig Gustav Adolf sein Schimmel unter dem Hintern weggeschossen wurde. Wie Schönauer weiß, war es ein Zufallstreffer aus einer Falkonett. So nennt man diese Form der Kanone, aus der etwa hühnereigroße Eisenkugeln verschossen wurden. Die Treffsicherheit dieser Vorderlader war freilich nicht allzu groß.

Während die Geschichte des im Stadtmuseum ausgestellten Schwedenschimmels eine Tatsache ist, dürften die angeblichen Vorgänge um das Tor 25 (der Bogen am Ende des Omnibusbahnhofs) eher dem Reich der Legenden angehören. Dort soll nämlich im Dreißigjährigen Krieg ein Strumpfwirker zwei Stoffstreifen heruntergelassen haben, um den schwedischen Belagerern so die schwächste Stelle des Verteidigungsrings zu verraten und Ingolstadt so zu verraten.

Allerdings sollte die Stadt seinerzeit tatsächlich verraten werden. Graf Cratz von Scharfenstein, der damalige Kommandant, war der fortwährenden Kränkungen durch Wallenstein überdrüssig und wollte die Stadt dem Feind ausliefern. In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai 1633 sollte die Übergabe stattfinden. Doch die Wache entdeckte den drohenden Verrat und konnte die Übergabe verhindern. Während Cratz nach Schlesien floh und zu den Schweden überlief, wurde sein Mitverschwörer, der Oberst Fahrensbach, verhaftet und zum Tode verurteilt. Gleich drei Henker (!) waren nötig, um die Hinrichtung zu vollstrecken. Das Tragische: Einen Tag später traf die von seiner Frau vom Kaiser erwirkte Begnadigung ein.

Doch zurück zur historischen Radtour. Weitere Stationen waren die Harderbastei, ebenfalls ein Teil der ab 1537 errichteten Festung. Das Gebäude war bis ins 17. Jahrhundert der nördliche Stadteingang. Aus der Zeit der Renaissance stammt das Donautor, von dem sich aber in Ingolstadt nur noch der stark verwitterte Aufsatz am Kavalier Hepp erhalten hat. Völlig verändert hat sich in Folge der Aufschüttungen auch die Situation am Kreuztor. Davor befand sich einst ein mächtiges Rondell mit einem Graben, Reste dürften noch am Gelände des Katharinen-Gymnasiums im Boden zu finden sein. Dieses vorgelagerte Bauwerk war so groß, dass man das Kreuztor nicht sehen konnte, näherte man sich von Westen her.

Dass sich im Inneren des Scherbelbergs neben einem Bunker auch die Reste der Frauenhausbastion befinden, dürfte den wenigsten Ingolstädtern bekannt sein. Das Frauenhaus war das Bordell der Stadt und befand sich gegenüber. Als man im 19. Jahrhundert Ingolstadt erneut befestigte, setzte man einfach vor die alten Mauern neue - im städtischen Freibad sind sie noch zu sehen. Wie sehr sich das Erscheinungsbild von Ingolstadt verändert hat, zeigt auch die Tatsache, dass die heutige Jahnstraße einst der Wall war.

Die historische Radtour stellte nur eine von mehreren Führungen am Festungstag dar. Im Rahmen einer Besichtigung wurde das rechte Waffenplatzreduit der Fronte Rechberg aus dem Jahr 1841 besichtigt. Eine Festung kann nicht nur aus Wällen und Gräben bestehen, sie muss auch in Friedens- wie in Kriegszeiten Soldaten unterbringen und verköstigen können. Daher sind die noch erhaltenen Infrastrukturbauten für die Geschichte von Ingolstadt ebenfalls von hoher Bedeutung. Stationen dieser Führung waren Friedenskaserne, Offizierswohnhäuser, neues Zeughaus, Kriegsbäckerei und Kriegsspital.

Neben dem Abschnitt an der Rechbergstraße ist der Schutterhof heute das einzige größere intakte Ensemble der Festung. Bei dieser Tour lernten die Teilnehmer die Geschichte des ehemaligen Militärschwimmbads kennen. Bekannt ist die zweite Stadtmauer, die ab 1360 erbaut wurde und der Ingolstadt die Bezeichnung "Stadt der 100 Türme" verdankte. Einmalig in seiner Erhaltung ist das Fort Prinz Karl bei Katharinenberg, das die Führungsteilnehmer mit Shuttlebussen erreichten. Neben einem virtuellen Rundgang im Stadtmuseum erkundeten die an Geschichte Interessierten schließlich noch die Bauten im Klenzepark samt den ansonsten verschlossenen Kasematten.