Ingolstadt
Zitternd und verängstigt neben dem demolierten Auto

Kettensägen-Prozess: Panne mit Dolmetscherin zwingt Jugendkammer zur zweifachen Vernehmung des Opfers

14.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:58 Uhr
Mit diesem Handbeil ist einer der drei Angeklagten gegen die Windschutzscheibe des Kleinwagens vorgegangen, in dem sich der Pizzabote am Abend des 2. Januar verbarrikadiert hatte. −Foto: Kripo

Ingolstadt (DK) Tag zwei im sogenannten Kettensägen-Prozess (DK berichtete am Dienstag).

Die Große Jugendkammer des Landgerichts hat am Mittwoch über Stunden hinweg das Opfer der dramatischen Attacke vom späten Abend des 2. Januar im Nordwestviertel angehört. "Ich danke Gott, dass ich heil da
rausgekommen bin", so der inzwischen 32-jährige Rumäne in seiner Reaktion auf eine Entschuldigung des jetzt 21-jährigen Motorsägen-Angreifers.

Auch der zweite der insgesamt drei Angeklagten, der mit einem Beil auf die Windschutzscheibe des Opfer-Autos eingeschlagen hatte, entschuldigte sich im Gerichtssaal. Beide Täter, die das Geschehen in Grundzügen eingeräumt haben, sind inzwischen in einen Täter-Opfer-Ausgleich eingetreten. Sie zahlen auf Vermittlung ihrer Anwälte zur Wiedergutmachung immaterieller Schäden jeweils 2000 Euro an den Überfallenen.

Die Vernehmung dieses früheren Pizzaboten, der da am fraglichen Abend an der Keplerstraße - in seinem kleinen Dienstwagen (VW "Fox") verbarrikadiert - offenbar um sein Leben gefürchtet hatte, gestaltete sich gestern schwieriger, als von den Prozessbeteiligten und Beobachtern erwartet: Weil die
Dolmetscherin nach Auffassung der Verteidiger, schließlich aber auch des Gerichts, Unsicherheiten bei der Übersetzung zeigte und folgerichtig nachmittags durch eine sattelfeste Kollegin ersetzt werden musste, zog sich die Einvernahme des Hauptbelastungszeugen sehr lange hin.

Diese Sorgfalt ist aber allemal angemessen. Schließlich geht es um entscheidende Details des Tatgeschehens, das bei zwei der drei Angeklagten ja von der Staatsanwaltschaft bislang als versuchter Totschlag gewertet worden ist. Das Gericht muss klären, ob sich dieser schwere Vorwurf, der bei einem Schuldspruch für etliche Jahre Gefängnis gut wäre, durch die Beweisaufnahme objektivieren lässt.

Entscheidend ist sicher, wie oft, wie gewollt und wie gezielt der inzwischen 21-jährige Russe bei seinen Stichbewegungen mit der ratternden Kettensäge durch die geborstene Scheibe der Fahrertür hindurch ins Fahrzeuginnere und gegen Kopf und Körper des Pizzaboten vorgegangen ist. Die Kammer schaute
hierzu gestern gleich zweimal das Video einer polizeilichen Rekonstruktion nach Angaben des Opfers an. In der Aufzeichnung wie auch im Zeugenstuhl gab der Rumäne an, dass es mit laufender Motorsäge zwei oder drei
Stöße in Richtung seines Kopfes und Oberkörpers gegeben haben soll. Das Sägeschwert soll dabei etwa zur Hälfte in den Fahrgastraum eingedrungen und teils nur etwa 20 Zentimeter vom Kopf des Rumänen entfernt gewesen sein.

Wie sich bei der zweiten Befragung am Nachmittag herausstellte, könnten einige der Stöße mit der laufenden Säge auch erst geführt worden sein, als der Pizzalieferant bereits mit seinem Auto zurücksetzte. Sicher bewiesen ist das freilich nicht. Der Mann machte - durch die lange Vernehmung sichtlich geschafft - letztlich auch einige widersprüchliche Angaben, doch musste schließlich auch Rechtsanwalt Klaus Wittmann (Levelingstraße), Verteidiger des Beilschwingers, bekennen, dass damals beim Opfer wohl eine Paniksituation vorgelegen hat, die klare Erinnerungen an die Abläufe erschwert.

Für die Tatbewertung ist natürlich auch die damalige körperliche Verfassung der mutmaßlichen Haupttäter entscheidend. Beide haben am ersten Prozesstag ausgesagt, zum Tatzeitpunkt erheblich unter Einfluss von Alkohol, womöglich sogar von Drogen gestanden zu haben. Die Ergebnisse von entsprechenden Blutproben liegen dem Gericht zwar vor, sind aber im Prozess noch nicht als Beweismittel eingeführt worden.

Die Kammer hat gestern zunächst einmal Videoaufzeichnungen aus einer Tankstelle an der Richard-Wagner-Straße angeschaut, die die drei jetzigen Angeklagten nur etwa eine halbe Stunde nach der Attacke auf den Pizzaboten und kurz vor ihrer Festnahme aufgesucht hatten. Das Bildmaterial lässt nicht gerade auf starke Schlagseite der jungen Männer schließen. Sie bewegten sich da recht zielstrebig über das Betriebsgelände und durch den Verkaufsraum.

Wie sehr das Opfer nach der Tat geschockt war, verdeutlichten zwei Polizeibeamte, die den Rumänen kurz nach seinem telefonischen Hilferuf an der Liebigstraße neben seinem demolierten Fahrzeug angetroffen hatten. Der Mann habe gezittert und ängstlich gewirkt und - offenbar zu einer denkbaren weiteren Verteidigung - ein Radkreuz aus dem Bordwerkzeug seines Pkw in den Händen gehalten.

Wie der 32-Jährige gestern aussagte, hatte er in den Wochen nach dem dramatischen Erlebnis unter Alpträumen gelitten und über Monate hinweg das Piusviertel gemieden. Inzwischen arbeitet er nicht mehr als Pizzabote und wohnt auch nicht mehr in Ingolstadt.

Die Jugendkammer wird das Verfahren gegen den dritten Angeklagten, der als Mitläufer eingestuft wird, nach gestriger Ankündigung des Vorsitzenden Thomas Denz wahrscheinlich abtrennen und für ihn dann schnell zu einem Urteil kommen. Eine Entscheidung darüber wird vielleicht bereits am morgigen dritten Verhandlungstag fallen.

Bernd Heimerl