Ingolstadt
Es fehlen die Fachkräfte

Zu wenige Bewerber, zu viele Regulierungen: Auch in Ingolstadt schlägt der Pflegenotstand durch

14.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:14 Uhr
Auch im Altenpflegeheim Phönix Graf Tilly können nicht alle Interessenten untergebracht werden. Durch die konsequente Anwerbung von Beschäftigten mit Migrationshintergrund hat man dort derzeit weniger Probleme mit der Fachkraftquote (im Bild Auszubildender Amar Saric beim Blutdruckmessen des 97-jährigen Georg Schneiderbanger).Die Caritas-Einrichtungsleiterinnen Petra Mann (unten links, von links) und Sandra Mohr, Caritas-Altenhilfe-Abteilungsleiterin Hedwig Kenkel und Pflege-Fachreferentin Eva-Maria Schork, wünschen sich für eine höhere Fachkraftquote auch tolerantere Regelungen. Rechts unten das städtische Heilig-Geist-Spital, das neu gebaut werden soll. −Foto: Fotos: Brandl (2), Eberl

Ingolstadt (DK) Noch vor der Sommerpause wird sich der Stadtrat mit dem Antrag zum Neubau eines Seniorenzentrums anstelle des Heilig-Geist-Spitals beschäftigen. Mit dem Bau soll auch der Mangel an Pflegekräften angegangen werden. Derzeit können im städtischen Altenheim 40 Plätze wegen Personalmangels nicht mit Senioren belegt werden. Auch in anderen Heimen ist die Situation kritisch.

1188 vollstationäre Plätze gibt es laut Stadtverwaltung derzeit in Ingolstadt, 57 in der Tagespflege und fünf feste Kurzzeitpflegeplätze - doch mehr als 100 Betten sind nicht belegt. Egal, ob kirchlich, städtisch oder privat: Es fehlen die Fachkräfte, die sich um die Senioren kümmern könnten.

"Bei uns stehen aktuell 14 Betten leer", sagt Sandra Mohr, Heimleiterin im Caritas-Seniorenstift St. Pius. Grund dafür sei der Fachkräftemangel. Dabei gebe es täglich vier bis fünf Aufnahmeanfragen. "Ich könnte sofort vier Fachkräfte einstellen", beteuert sie. Doch der Bewerbermarkt in Ingolstadt sei leergefegt.

Das weiß auch Hedwig Kenkel, Abteilungsleiterin für die Caritas-Altenhilfe im Bistum Eichstätt. Ihrer und der Ansicht von Eva-Maria Schork, Fachreferentin für Pflege bei der Caritas, nach werde sich das auch nicht ändern, wenn der Beruf nicht mehr Anerkennung gewänne und starre Regularien nicht zu Gunsten von "kleinteiligen Lösungen" ersetzt würden. Kenkel und Schork kritisieren allem voran die Fachkraftquote, die mehrmals jährlich in einer Stichtags-Betrachtung von der zuständigen Heimaufsichtsbehörde kontrolliert wird. Demnach muss das Pflegepersonal in jeder Einrichtung zu mindestens 50 Prozent aus examinierten Pflegekräften bestehen. Sei das nicht erfüllt, gelte ein sofortiger Aufnahmestopp samt Strafzahlungen.

"Die auf den Tag genaue Betrachtung stranguliert uns bis zur Handlungsunfähigkeit", sagt Schork. "Es wäre deshalb hilfreich, die Fachkraftquote auf einen Zeitraum hin zu beobachten." Sinnvoll wäre dies zudem, wenn Fachpflegekräfte länger erkrankt seien. Diese müssten weiterbezahlt werden, es könnten jedoch keine Neueinstellungen vorgenommen werden, so Kenkel. Schork kritisiert, dass in Deutschland - anders als in anderen Ländern - die Pflege nicht als Wirtschaftszweig angesehen werde. "Unser System versucht schon lange zu kompensieren, statt Geld für Förderprogramme in die Hand zu nehmen", sagt sie. Sie befürchtet stattdessen eine Technisierung der Pflege: Senioren würden dann per GPS zur Apotheke navigiert, um dort selbst ihre Medikamente abzuholen.

Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) hatte die Pflegesituation vergangenes Jahr zur Chefsache erklärt. Als Konsequenz daraus kann man nun den Antrag der CSU sehen, der am 28. Juni im Stadtrat behandelt wird. Darin fordert die CSU unter anderem den Neubau eines modernen Seniorenzentrums anstelle des Heilig-Geist-Spitals in der Innenstadt, in dem derzeit nur rund 140 der 180 Plätze mit Senioren belegt sind, ebenso wegen fehlender Fachkräfte. Um die anzulocken, sollen in den Neubau - der an derselben Stelle an der Fechtgasse errichtet werden könnte (ein anderer Standort im Umfeld der geplanten neuen Jugendherberge wurde nach DK-Informationen zwar intern geprüft, ist aber als zu klein befunden worden) - auch eine Kita sowie Wohnungen für die Mitarbeiter integriert werden. Ein Konzept, das aus demselben Grund auch die Diakonie bei ihren Neubauten für Matthäusstift und Bienengarten plant.

Im Gegensatz zu den kirchlichen und den städtischen Einrichtungen ist das Haus Phönix Graf Tilly in Ingolstadt einem privaten Träger unterstellt. Die Pflegeeinrichtung gehört zur Münchner Korian-Gruppe und machte Anfang des Jahres wegen besonderer Leistungen in der Integration von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund auf sich aufmerksam. Unter anderem steht diesen eine kleine Bibliothek zur Verfügung, in der Fachbücher und Sprach-CDs ausgeliehen werden können. Außerdem leistet das Haus Unterstützung bei der Wohnungssuche. Davon machte sich auch die Agentur für Arbeit Ingolstadt ein Bild und besuchte die Einrichtung mit insgesamt 96 Pflegeplätzen.

Von den derzeit 63 Mitarbeitern hätten 29 einen Migrationshintergrund, so Einrichtungsleiterin Christine Avram und Pflegedienstleiterin Eleonore Neubauer. Viele von ihnen stammen aus Rumänien, Kroatien, Albanien und Mexiko, aber auch aus EU-Staaten wie Polen. Ohne die Kräfte aus dem Ausland wäre der Betrieb demnach kaum aufrecht zu erhalten. "Der Beruf ist einfach nicht attraktiv genug für junge Menschen aus Deutschland. Dabei gibt es viele Weiterbildungsmöglichkeiten", sagt Neubauer.

Sie und die stellvertretende Pflegedienstleiterin Agnes Schirocki kritisieren vor allem, dass es zu viele unterschiedliche Regelungen, Ausbildungsinhalte und Lohntarife gebe. Auch müsste ihrer Ansicht nach die Ausbildung stärker gefördert werden. Zudem würden ihrer Meinung nach die Medien oft ein negatives Bild von der Pflege vermitteln.

"Wir haben ein massives Problem mit Fachkräften, das ist seit 20 Jahren bekannt. Aber es wird zu wenig thematisiert", sagt Neubauer angesichts der jetzt geführten Diskussion. Auch spricht sie von einem harten Wettbewerb unter den Häusern ums Personal. "Unsere Fachkraftquote passt", sagt Avram. "Das Haus hat aktuell 89 Bewohner und ist zu 94 Prozent ausgelastet." Jedoch kämen auch bei Phönix täglich Anfragen nach freien Plätzen herein. "Es ist eigentlich beschämend, wenn man leere Zimmer hat, diese aber nicht belegen darf", sagt sie.

Michael Brandl, Thorsten Stark