Ingolstadt
Bei Rieter wird es jetzt ernst

Abbau von 220 Stellen soll bis Jahresende vollzogen werden - Transfergesellschaft startet am 1. September

07.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:20 Uhr
Großer Schnitt bei Rieter: Beim traditionsreichen Spinnereimaschinenhersteller (hier die Einfahrt zum Werksgelände an der Friedrich-Ebert-Straße) werden bis zum Jahresende alle 220 Mitarbeiter der Fertigung ausscheiden und großenteils in eine Transfergesellschaft wechseln. −Foto: Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Eineinhalb Jahre, nachdem die Ankündigung eines großen Schnitts bei Rieter die Belegschaft und auch die Ingolstädter Öffentlichkeit geschockt hat, beginnt beim Spinnereimaschinenhersteller in diesen Wochen die Umsetzung des Stellenabbaus: Die Produktionsabteilung wird bis zum Jahresende sukzessive abgebaut; von den betroffenen 220 Mitarbeitern werden viele nach und nach in eine Transfergesellschaft wechseln, die am 1. September ihre Arbeit aufnimmt.

Im boomenden Ingolstadt wirken Schließungen und Arbeitsplatzabbau besonders fragwürdig, doch die Zeiten des Protests und des Widerstands bei den Betroffenen und ihren Interessenvertretern sind bei Rieter schon wieder Vergangenheit: Seit im Herbst vorigen Jahres zwischen örtlicher Geschäftsleitung und Betriebsrat ein Sozialplan ausgehandelt werden konnte, der das Ende der Fertigung am Standort Ingolstadt für die 220 Beschäftigten der Produktion finanziell verträglicher gestaltet, steht auch der Zeitplan für eine Umsetzung fest. In diesen Wochen läuft der Countdown ab.

Geschäftsführer Falk Matthes sprach gestern auf DK-Anfrage von einem bislang reibungslosen Verlauf der (teilweisen) Betriebsverlagerung nach Tschechien. Dieser Wandel sei in vollem Gang und werde für den Standort Ende August die ersten Auswirkungen zeitigen: Weil erste Produktionsstrecken an der Friedrich-Ebert-Straße abgebaut werden, muss nun die im Sozialplan vereinbarte Transfergesellschaft einspringen: Ein von Rieter beauftragter Dienstleister wird jeden betroffenen Arbeitnehmer, der im Werk seine Stelle verliert, für maximal ein Jahr übernehmen und nach Möglichkeit im Rahmen seiner Möglichkeiten fortbilden.

Falk Matthes erläutert, dass nach jetzigem Stand etwa 70 Prozent der Mitarbeiter aus der Fertigung dieses Transferangebot wahrnehmen werden. Rund 30 Prozent haben sich demnach von vornherein für einen Arbeitsplatzwechsel oder den Ruhestand entschieden. Einen Wechsel an den neuen Produktionsstandort in Tschechien, wo Rieter künftig kostengünstiger fertigen will, hat es laut Matthes in keinem einzigen Fall gegeben. Dies war aber auch nicht ernsthaft erwartet worden, zumal etliche der gut qualifizierten Ingolstädter Mitarbeiter beste Chancen haben dürften, auf dem nach wie vor sehr aufnahmefähigen regionalen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Bei der Ingolstädter Arbeitsagentur wird dieser Umstand seit Bekanntwerden des Stellenabbaus beim traditionsreichen Spinnereimaschinenhersteller betont: Wer keine Qualifizierung benötige und auf einen Wechsel in die Transfergesellschaft verzichten könne, werde auf Wunsch direkt vermittelt, heißt es bei den Arbeitsverwaltern. Die Agentur trägt 50 Prozent der Kosten für die Transfergesellschaft, die andere Hälfte muss Rieter aufbringen. Wer das ihm laut Sozialplan zustehende Jahr in der "Auffanggesellschaft" nutzen möchte, bekommt für diese Zeit von der Arbeitsverwaltung ein so genanntes Transfer-Kurzarbeitergeld gezahlt, das praktisch dem Arbeitslosengeld entspricht. Die Firma Rieter hat sich laut Geschäftsführer Falk Matthes verpflichtet, diese Bezüge so aufzustocken, dass in jedem Fall 80 Prozent des bisherigen Nettoverdienstes erreicht werden.

Laut Matthes werden zum Start der Transfergesellschaft am 1. September bis zu 50 bisherige Mitarbeiter dort unterkommen. Ein weiteres Kontingent werde voraussichtlich im November vom angestammten Arbeitsplatz in die Gesellschaft wechseln, das Gros der Betroffenen dann zum 1. Januar 2019. Dann endet die Ära des Spinnereimaschinenbaus in Ingolstadt definitiv. Rieter wird am Standort dann mit den verbliebenen rund 150 Beschäftigten ausschließlich Entwicklungsarbeit leisten und sich zudem der technischen Unterstützung im so genannten After-Sales-Geschäft widmen.

Vertreter des Betriebsrates waren gestern urlaubsbedingt nicht zu erreichen. Gerhard Hyna, Vorsitzender der Belegschaftsvertretung, hatte sich bei Bekanntwerden der Einigung mit dem Unternehmen im vergangenen Herbst allerdings relativ zufrieden mit den erzielten Vereinbarungen gezeigt - man könne "damit leben", hatte es geheißen.

Seitens der IG Metall, die den Betriebsrat bei den Verhandlungen unterstützt hatte, war das Engagement der Kollegen für die betroffenen Beschäftigten ausdrücklich gelobt worden - man habe angesichts der Umstände "das Beste rausgeholt", hatte der regionale IGM-Chef Johann Horn geurteilt. Gewerkschaftssekretär Christian Daiker betonte gestern auf Anfrage allerdings, dass die IGM die Rieter-Entscheidung, sich vor höheren Produktionskosten in Deutschland zu drücken, nach wie vor für falsch hält: "Ob das für das Unternehmen der richtige und intelligente Weg ist, wird sich erst noch zeigen müssen."
 

Bernd Heimerl