Ingolstadt - Es ist ein historischer Tag für die Schulen und Kindertagesstätten in Bayern. Ein Tag, den niemand jemals hatte erleben wollen. Im Staatlichen Schulamt Ingolstadt, die Aufsichtsbehörde für die 25 Grund- und Mittelschulen der Stadt, bewältigt man diesen Freitag „sehr angespannt“, berichtet Schulrat Franz Wagner am Vormittag.
Er hat kurz nach 9 Uhr die Pressekonferenz mit Kultusminister Michael Piazolo verfolgt, mitnotiert und sofort einen „Notbrief“ für die Eltern verfasst, der am selben Tag verteilt werden sollte. Denn wenn ab Montag alle Schulen wegen des Corona-Dramas geschlossen sind, „wird es mit der Information schwieriger“.
Wagner fasst die entscheidenden Punkte der ministeriellen Anordnungen zusammen: Ja, es wird für die Jahrgangsstufen 1 bis 6 in den Schulen „Notgruppen“ zur Betreuung von Schülern geben, aber nur – und das betont der Schulrat auf das Deutlichste – ausschließlich für Kinder, deren Vater und Mutter in für die Infrastruktur „systemrelevanten Berufen“ arbeiten, also Gesundheit, Pflege, Soziale Dienste, Feuerwehr, Rotes Kreuz, ÖPNV, Energie, Wasserversorgung, Telekommunikation und weitere. Alleinerziehende mit „systemkritischen Berufen“ (so Piazolo) können ihre Kinder ebenfalls in die Notgruppen geben. Alle anderen Eltern müssen sich selbst um die Betreuung kümmern. Die Schulen werden da streng sein. „Das ist eine knallharte Entscheidung, aber es geht nicht anders“, sagt Wagner. „Es ist unsere einzige Chance, die Ausbreitung des Virus zu verzögern und Zeit zu gewinnen. Wir haben auf diese Maßnahmen gehofft und sind froh, dass Bayern jetzt reagiert!“
Am Montag brechen „keine vorgezogenen Osterferien an“, sagt der Schulrat (die beginnen am 6. April). „Es findet nur kein Unterricht statt.“ Die Schüler werden dazu aufgefordert, sich zu Hause mit dem Stoff zu beschäftigen, der gerade ansteht. Dazu sollen auch vom Kultusministerium online Materialen bereitgestellt werden. Details stehen noch nicht fest.
Die Schulen dürfen laut Piazolo in den nächsten Wochen von Schülern und Eltern nicht betreten werden. „Auch das ist eine harte Aussage, aber sinnvoll“, sagt Wagner. Er appelliert an die Eltern, in dieser Krisensituation verantwortungsvoll zu handeln: „Die ganzen Maßnahmen bringen nichts, wenn man sich persönlich falsch verhält.“ Es sei jetzt essenziell, die sozialen Kontakte auf das Nötigste zu beschränken. Wenn sich Schüler in den unterrichtsfreien Wochen etwa „in großen Gruppen im Westpark treffen, brauche ich keine Schulen schließen“.
Es komme nun vor allem auf drei Tugenden an: Verantwortung, Solidarität und Zusammenhalt. „Wenn wir diese Krise bewältigen wollen, müssen wir alle an einem Strang ziehen“, sagt Wagner. Und fügt an: „Es hilft ja nix. Wir können nicht nur Panik schieben.“
Schulen jeder Art werden ab Montag geschlossen, inklusive Berufsschulen. Und ebenso alle Krippen, Kindergärten, Horte und weiteren Tagesstätten. Bis vorerst Sonntag, 19. April, sind die Einrichtungen zugesperrt. Auch in den Kitas gelten die Regeln für die Notfallbetreuung: Anspruch darauf haben nur Kinder, deren Vater und Mutter in den bereits erwähnten systemrelevanten Bereichen arbeiten; es gibt keine Ausnahmen.
Der Anspruch auf Notfallbetreuung muss von den Arbeitgebern beider Elternteile spätestens bis Dienstag, 17. März, schriftlich bestätigt werden. So steht es auf einem Infoblatt des bayerischen Sozialministeriums, das jetzt online ist. Weiter heißt es da: „Bei Alleinerziehenden genügt es, wenn der alleinerziehende Elternteil zur genannten Gruppe gehört.“
Am Freitagnachmittag gibt es auf einer Pressekonferenz der Stadt Ingolstadt genauere Auskünfte. So soll pro Kita eine Notgruppe eingerichtet werden, in der die Kinder von 8 bis 15 Uhr betreut werden. „Wir müssen die Zeit einschränken und gemischte Gruppen vermeiden, um die Kontakte zwischen den Kindern zu minimieren“, sagt Heike Marx-Teykal. Sie bittet alle Eltern mit Anspruch auf Notbetreuung der Kinder, gleich am Montag eine Bescheinigung des Arbeitgebers oder ihren Ar-beitsvertrag mitzubringen, um nachzuweisen, dass sie systemrelevant beschäftigt sind. „Dann müssen wir nicht jeden Einzelfall im Interview klären.“
Gegen Mittag erhält Edith Philipp-Rasch die detaillierten Ausführungsbestimmung des Kultusministeriums. Die Direktorin des Reuchlin-Gymnasiums und Sprecherin der Ingolstädter Gymnasialleiter gehört auch der Koordinierungsgruppe für die Corona-Krise an. München habe nun eindeutig verfügt: Jede Schule entscheidet selbst, wie sie in der Zeit der Schließung den Verwaltungsbetrieb aufrechterhält und die Schüler per E-Mail und die (derzeit jedoch überlastete) staatliche Lernplattform mebis unterrichtet. Die Schulleiter teilen auch ein, welche Schüler in die Betreuungsgruppen dürfen und welche nicht. „Die Voraussetzungen sind eindeutig“, sagt Philipp-Rasch. Beide Elternteile oder Alleinerziehende müssen „in Bereichen der kritischen Infrastruktur arbeiten“.
Kinder werden bis zur 6. Jahrgangsstufe betreut (zwischen 8 und 13 Uhr), es steht aber noch nicht fest wo, weil die Schulen von Eltern und Schülern nicht betreten werden dürfen (von Lehrern und Verwaltungsmitarbeitern schon). „Es gibt noch einige Details zu klären“, sagt Edith Philipp-Rasch – auch , wie es um das Ende April beginnende Abitur stehe. „Die Schulen stehen untereinander in regem Kontakt.“ Ebenso mit dem Ministerium. „Ich sehe es als meine oberste Aufgabe, intensiv zu kommunizieren. Aber nur, wenn es Gewissheit gibt. Wir verbreiten keine Gerüchte.“
Im Reuchlin bereitet man sich seit Montag auf virtuellen Unterricht in den Kernfächern vor. Die Schüler sind dazu angehalten, neue E-Mail-Adressen anzulegen, damit beim Austausch der Aufgaben und der Kommunikation mit den Lehrern „Schulisches und Privates nicht durcheinandergerät“.
Man sei „angespannt, aber handlungsfähig“, so beschreibt die Direktorin die Atmosphäre im Kollegium. „Auch alle Schüler sind sich dessen bewusst, dass gerade etwas sehr Ernstes passiert. Sie sind bedrückt. Es herrscht keine Trauerstimmung, aber auch kein Jubel der Art: ,Juhu, wir haben länger Ferien!’.“ Es bestehe die Pflicht, zu Hause für die Schule zu lernen.
Dorothea Soffner ist die Geschäftsführerin der Privaten Wirtschaftsschule und Tilly-Realschule. Dort werden die Schüler künftig digital unterrichtet, sagt sie – mit Hilfe einer Cloud. Am Freitag hat die Schule alle Hände voll damit zu tun, Eltern zu informieren, dass die Schüler zu Hause bleiben müssen. „Das heißt aber nicht: ,Hurra! Fünf Wochen kein Schule‘“, sagt Soffner. Die Maßnahme hält sie für überfällig. „Ich sehe jeden Tag, dass Kinder andere Hygienevorstellungen haben. Die Kinder sitzen zudem auf engstem Raum.“
Christian Silvester