Ingolstadt
Lichtblicke in trüben Zeiten

Eine feierfreudige Hausgemeinschaft rückt in der Corona-Krise noch enger zusammen

03.06.2020 | Stand 23.09.2023, 12:13 Uhr
Heimkino vor Balkonensemble: So stimmungsvoll genießen die Bewohner des Hauses an der Schäffbräustraße und ihr Nachbar Markus Jordan schräg gegenüber derzeit gerne die Abende. Links der Korb an einem Seilzug. Im Hintergrund (Mitte) spitzt das eingerüstete Technische Rathaus hervor. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Der Sicherheitsabstand ist gewahrt: Der Seilzug misst mehr als zehn Meter.

 

Er verbindet den Balkon im ersten Stock mit der Dachterrasse im zweiten. Die Vorrichtung transportiert einen Korb. Heute darin: kleine Käsebrote, herausgebacken von Martin Hamberger, mit lieben Grüßen an die Nachbarn eine Etage höher. Der Korb am Seil findet auch für die Beförderung von Alkoholika Verwendung. Denn die Bewohner dieses Hauses an der Schäffbräustraße tief in der Altstadt feiern gern zusammen. Früher schon. Jetzt, in der Virus-Krise, erst recht: stimmungsvolle, hygienisch-korrekte Corona-Partys. Nur echt mit Seilzug-Korb.

Sie sind eine ungewöhnliche Gemeinschaft im besten Sinne: sehr unterschiedlichen sozialen Typs, von Mittzwanzigern bis zum Endfünfziger. An ihren geselligen Abenden bleibt jeder Hausstand, wie es in den Corona-Regeln wenig anheimelnd heißt, auf seinem Balkon. Dazu bietet sich hinter dem Haus ein einladendes bauliches Ensem-ble, denn Balkone und Dachterrassen sind hier einander auf verschiedenen Niveaus versetzt zugeneigt, vom Parterre bis zur dritten Etage. Wenn die Nachbarn nach draußen treten, sind sie sich optisch sehr nah; in der Architektur spricht man von einer Sichtbeziehung.

Hamberger hat in diesem außergewöhnlichen Ambiente seinen 40. Geburtstag gefeiert. An der Wohnungstür gab er Gulasch an alle Nachbarn aus, das die auf ihren Balkonen verzehrten und dem Martin dabei zuprosteten. Der empfindet diese Form des Feierns als Befreiung. In der Zeit der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen "war man wie eingesperrt", erzählt er. "Da sieht man die vielen netten Nachbarn auf ihren Balkonen, und es ist möglich, sie immer zu sehen. Die Partys waren wie Lichtblicke! " Zumal es mitten in der Altstadt schwerer sei, auf korrekte Weise Kontakte zu pflegen als etwa in den Vorstädten, wo sich die Leute über den Gartenzaun hinweg unterhalten. Und Martin Hamberger (er ist ein leidenschaftlicher Impresario des "Schanzer Krimi-Theaters") hat sehr gerne Menschen um sich herum; natürlich erklang am Freitag von den Balkonen zu seinem 40. Geburtstag ein Ständchen, mit Gitarrenbegleitung aus dem zweiten und dritten Stock.

Zu den "Lichtblicken" in der trüben Corona-Zeit, die Hamberger beseelen, gehört eine extravagante Illumination: Heimkino hinter dem Haus, mit den Balkonen als Logen. Die Idee, man könne doch mal einen Film anschauen, entstand während eines separierten, gemeinsamen Abendessens der Hausbewohner, erzählt Hamberger. "Und wenig später kommt der Markus Jordan mit einem Projektor um die Ecke! " Film ab.

Der renommierte Ingolstädter Lichtkünstler wohnt gegenüber Bei der Schleifmühle. Sein Balkon schließt an die Gemeinschaft im Haus an der Schäffbräustraße an. Jordan ist einer von ihnen. "Ich habe auf dem Balkon 15 Jahre lang nur meine Wäsche aufgehängt", erzählt er. Jetzt projiziert er von dort Filme auf eine drei mal vier Meter große Leinwand. Jordan liebt experimentelle Kurzfilme. Am Freitag zeigte er "The Ramp" von Jeff Schultz, ein stark abgefahrenes Werk über ein bayerisches Dorf mit seltsamen Menschen und einer Riesenrampe.

Die Hausgemeinschaft will die Balkonfeste und Kinoabende über die Zeit der Einschränkungen hinaus fortsetzen. "So ist aus der Krise etwas Schönes entstanden! " Vielleicht kommt es in dem geselligen Haus dann auch wieder zu einer Fest-Variante, die man hier schon oft erfolgreich praktiziert hat: die Vertikal-Party. Alle treffen sich erst in einer Wohnung im Parterre und feiern sich genüsslich, Hausstand für Hausstand, nach oben. Man sieht sich! Bald auch in besseren Zeiten.

DK

 

 

Christian Silvester