"Corona ist eine ganz andere Dimension"

15.04.2020 | Stand 02.12.2020, 11:32 Uhr
Blick in die Infektionsstation im Klinikum: Der Direktor der Medizinischen Klinik II, Josef Menzel (vorne), leitet auch die Isolierstationen. Gestern wurden im Klinikum 60 Patienten, die sich mit dem Covid-19-Erreger infiziert haben, behandelt, 6 auf der Intensivstation, 54 auf der Infektionsstation. Bei weiteren 2 Covid-Patienten, die auf der Intensivstation lagen, sind die Testergebnisse inzwischen negativ ausgefallen. 2 wurden in häusliche Quarantäne entlassen. 2 infizierte Männer (Jahrgänge 1928 und 1935) sind gestorben. −Foto: Klinikum

Josef Menzel leitet die Infektionsstation am Klinikum - Er kennt den Unterschied zwischen Covid und Grippe

 

Herr Professor Menzel, ist die Infektionsstation am Klinikum schon voll mit Corona-Patienten? Wie ist aktuell die Situation?

Josef Menzel: Wir wussten ungefähr, was auf uns zukommt, als das Ganze angefangen hat. Die Stationen 81/82 sind Infektionsstationen, die Stationen 83/84, die daneben liegt, ist die Onkologie, wo Patienten mit Tumorerkrankungen behandelt werden. Es ist natürlich nicht günstig, dass Infektionspatienten und Onkopatienten nebeneinander liegen. Also hat man die gesamte Onkologie verlegt, ein Stockwerk tiefer, in einen komplett anderen Bereich. Mitsamt Personal und allem, was dazugehört. Wir haben den infektiologischen Bereich um die Stationen 83/84 erweitert.

Aber auf der Station der inneren Medizin liegen ja auch nicht infektiöse Patienten. Sind die auch umgezogen?

Menzel: Die sind alle umgezogen. Wir haben im Moment im Haus auf den Stationen 81 bis 85 etwa 60 Patienten, die Covid-positiv getestet sind.

Rechnen Sie damit, dass die Scheitelwelle schon erreicht ist, oder wird sie noch kommen?

Menzel: Das ist schwer abzuschätzen. Wir sind gut vorbereitet und wir haben auch entsprechend die Mitarbeiterzahl aufgestockt. Wir haben mittlerweile Mitarbeiter aus allen anderen Bereichen, die verfügbar sind. Mein ärztliches Team im Moment besteht aus Internisten, aus Unfallchirurgen, aus Neurologen, aus Psychiatern, aus Neurochirurgen, ein ganz buntes Team, was dort auf der ärztlichen Seite ist. Und auf der pflegerischen Seite ist es ganz genauso. Da sind Schwestern, die sind aus der Chirurgie, da sind Schwestern, die sind aus anderen Bereichen des Hauses, die oben zusammenarbeiten. Und das vielleicht Schönste an dieser Krisensituation ist, dass die Zusammenarbeit menschlich und fachlich hervorragend funktioniert. Das ist wirklich eine ganz, ganz tolle Erfahrung. Was wir zum Beispiel machen mit den Ärzten: Ich kann nicht zwei Neurologen zusammen einen internistischen Patienten betreuen lassen, das geht nicht. Wir haben Teams gebildet. Ein Internist und ein Fachfremder, die arbeiten zusammen. So, dass immer die Fachlichkeit für die Behandlung dieser Infektionspatienten gegeben ist.

Und die Welle?

 

Menzel: Ich glaube medizinisch zunächst einmal an das, was das Robert-Koch-Institut sagt. Wenn wir diese sozialen Kontakte, diese Distanzierung einhalten, das heißt Mundschutz, Händewaschen, Hygiene und den persönlichen Abstand, dann wird es wahrscheinlich so glimpflich weiterverlaufen, wie es jetzt verläuft. Aber wir werden das soziale Leben ja wieder hochfahren, da wird ja was passieren. Und die Frage ist, kommen wir dann in eine zweite Welle hinein, die vielleicht genauso milde verläuft wie jetzt, oder sie verläuft schwerer, das wissen wir nicht.

Das heißt, die derzeitigen Maßnahmen noch länger beizubehalten, wäre wirklich wichtig?

Menzel: Unbedingt.

Es gibt ja immer noch Leute, die vergleichen Covid mit einer Grippe. Wo ist der medizinische Unterschied. Was macht das Coronavirus so gefährlich?

Menzel: Es hat eine viel größere Dynamik und eine viel größere Varianz der Symptome. Eine Grippe, eine Influenza, da hab ich Fieber, da hab ich Gelenkschmerzen, Husten, Schnupfen, vielleicht auch mal kleinere Bereiche mit einer Lungenentzündung. Beim Coronavirus habe ich gesunde Menschen, die liegen gesund im Bett, husten vielleicht ein bisschen, haben Fieber, und wenn ich mir das Röntgenbild anschaue, dann ist die gesamte Lunge betroffen. Und ich habe Menschen, die haben ein normales Röntgenbild, die haben Fieber, Husten, einen positiven Abstrich und die sind völlig unbelastbar. Das heißt, wenn die aus dem Bett aufstehen, um sich die Zähne zu putzen, dann haben sie eine Atemfrequenz, die liegt bei 40. Es gibt ein normales Röntgenbild mit schwerer Symptomatik oder ein schlechtes Röntgenbild mit fast keiner Symptomatik. Was wir gelernt haben in diesen sechs Wochen, in denen wir die Patienten dort oben gesehen haben: Es gibt welche, die verschlechtern sich in ganz kurzer Zeit ohne Warnsignale. Das heißt, wir brauchen Ärzte und Schwestern, die erkennen, der Patient braucht bald die Intensivstation. Und unsere Intensivstation ist hervorragend darauf eingerichtet und darauf vorbereitet. Bei den meisten Fällen ist es Gott sei Dank so, dass die meisten Patienten sich sehr sehr schnell erholen, keine Beschwerden mehr haben, und die gehen dann in die häusliche Überwachung.

Wie ist der Ablauf, wenn jemand über die Notaufnahme kommt?

Menzel: Der Patient kommt mit der Symptomatik in die Notaufnahme. Da hört man sich das alles an, macht die Anamnese, die körperliche Untersuchung, man nimmt Blut ab, macht einen Ultraschall von der Lunge und eine Computertomographie. Dann kommt der Betroffene als Verdachtspatient oben in den achten Stock. Das Ergebnis des Rachenabstrichs dauert in der Regel acht Stunden, kann auch mal, wenn viele Tests sein müssen, 44 Stunden dauern. Und wenn wir den Test außerhalb von Ingolstadt machen, in Regensburg etwa, wie bei den Abstrichen, die die Hausärzte machen, dann kann das ein paar Tage dauern. Solange läuft der Patient als Verdachtsfall. Er bleibt im achten Stock als Einzelpatient in einem Zimmer. Alleine. In dem Moment, wenn das Ergebnis da ist und er negativ ist und alle anderen Befunde passen dazu, dass wir sagen können, er ist bestimmt kein Covid-Patient, dann wird er ins Haus verlegt. Wir haben also ein ständiges Umschieben der Patienten. Wir haben reine Covid-Bereiche, wo gar keine Verdachtspatienten sind, wir haben eine Mischung, wo Covid und Verdachtsfälle sind und wir haben freie Bereiche. Das ist eine logistische Meisterleistung, die die Schwestern, die Ärzte in diesem Bereich machen. Und nebenbei müssen sie erkennen, das sind gesunde Patienten, die lassen wir nach Hause, auch wenn sie Covid-positiv sind. Und da muss ich sagen, funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt, gerade mit dem Gesundheitsamt Ingolstadt, hervorragend.

 

Wie hoch ist die Gefahr für die Mitarbeiter und auch für andere Patienten, sich in der Klinik anzustecken?

Menzel: Na ja, das ist ein bisschen schwierig zu sagen. Wir wissen aus den Ergebnissen aus Italien und aus China, dass das Risiko für die Mitarbeiter höher ist, aber es ist nicht so dramatisch viel höher, als dass man sich die Infektion auch draußen holen könnte. Es gibt ja Patienten, die sind asymptomatisch, Virusträger, und können andere infizieren. Das kann natürlich draußen auf der Straße auch passieren. Das kann auch im Krankenhaus passieren. Und für die Mitarbeiter, die in diesen Hochrisikobereichen, also bei uns auf der Infektionsstation, arbeiten, ist das Risiko zwar erhöht, aber nicht so dramatisch. Und, das muss man auch sagen, wir haben Gott sei Dank für eine wirklich kluge und frühzeitige Materialwirtschaft gesorgt, die schon im letzten Jahr angefangen hat. Wir haben ausreichend Schutzmaßnahmen und Schutzmöglichkeiten. Wobei ich schon sagen muss, dass die Herausforderung, dass der Nachschub gewährleistet wird, das ist schon ein Problem. Da ist viel Engagement drin, nicht nur von der Verwaltung, die läuft regional über die Stadt, über den Krisenstab, aber auch über die Ministerien. Alle ziehen an einem Strang.

Gibt es am Klinikum gegenwärtig Mitarbeiter, die sich mit Covid-19 infiziert haben?

Menzel: Ja, da gibt es Mitarbeiter, die sich infiziert haben. Aber da gibt es ganz klare Regeln vom Robert-Koch-Institut: Wenn jemand symptomatisch ist, dann wird großzügig die Diagnostik gemacht, und wenn er positiv getestet wird, dann ist der Mitarbeiter für zwei Wochen in häuslicher Quarantäne.

Sie sind vermutlich einer der dienstältesten Chefärzte am Klinikum. Es gab schon die Schweinegrippe, die Vogelgrippe. Haben Sie so eine Situation wie jetzt mit Corona schon erlebt?

Menzel: Corona ist eine ganz andere Dimension, weil es das gesamte Krankenhaus betrifft. Die Situation ist insofern noch mal anders, dass es nicht nur das Krankenhaus, sonder auch alle anderen Bereiche betrifft. Wir haben ja planbare Untersuchungen und Operationen runtergefahren auf Anweisung des Ministeriums. Es gibt aber auch noch ein Leben ohne Corona. Es gibt Geburten und es gibt andere Krankheiten. Ein Magengeschwür oder ein Herzinfarkt passiert auch ohne Corona. Und wir sehen zunehmend mehr Leute, die kommen sehr sehr, sehr spät ins Krankenhaus. Und deshalb ein dringlicher Appell: Wenn Patienten eine Beschwerdesymptomatik haben, die nichts mit Corona zu tun hat, diese Patienten sollen auch wirklich ganz normal zu ihrem Hausarzt oder ins Notfallzentrum kommen. Wir haben die Kapazitäten allein aufgrund der Größe, dass wir die Patienten getrennt behandeln können, Unsere Sorge ist, dass manche Patienten einfach zu spät kommen.

Das Telefoninterview führte Ruth Stückle