Ingolstadt
Aufbruch in eine Neue Welt

Vor 35 Jahren stürzte sich Michael Zöpfl ins Abenteuer und eröffnete die gleichnamige Kleinkunstbühne

02.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:33 Uhr
Beim Kramen in den Erinnerungen und den Unterlagen förderte Michael Zöpfl viele Plakate von damals ans Tageslicht, unter anderem die Ankündigung der Eröffnung am 3. Oktober 1983. Die Einrichtung für die Neue Welt in der Griesbadgasse (hier ein Bild vor der Renovierung 2008) hatten er und Freunde auf Flohmärkten von Berlin bis Wien zusammengesammelt. −Foto: Hauser, Eberl, DK-Archiv

Ingolstadt (DK) An diesem Mittwoch vor 35 Jahren wurde Ingolstadt um einen inzwischen unverzichtbaren Farbtupfer reicher, als die Kleinkunstbühne Neue Welt ihre Türen öffnete. Der Gründer Michael Zöpfl erfüllte sich im zarten Alter von 22 Jahren einen damals schon lange gehegten Traum. Dass es auch ein großes Wagnis war, wurde ihm erst viel später bewusst.

"Heute heißt so was wohl Start-up." Nur dürfte ein junger Unternehmensgründer dank vielerlei Unterstützung durch Institutionen und Mentoren ganz anders auf den Einstieg in die Welt der Selbstständigen vorbereitet sein, als es Michael Zöpfl seinerzeit war. Damals, als er einen Tag vor seinem 23. Geburtstag das heruntergekommene Lokal Neue Welt nach einer grundlegenden Sanierung als Heimat für Kleinkunst eröffnete. Weit und breit gab es nichts Vergleichbares.

Nun, nicht ganz: In Mendorf war der Jazzclub des viel zu früh verstorbenen Klaus Ehrnthaler, dem Mendorf-Klaus, in dem auch Michaels Zöpfls Weg in die neue Welt eine entscheidende Wende erfahren sollte. Dort traf der junge Mann aus Ingolstadt auf den gastierenden Willy Michl, der ihn danach mit zum Studieren nach München nahm. Zwar kam Zöpfl physisch dort an, doch die Kommunikationswissenschaften blieben für ihn ein unvollendetes Kapitel, da er sich mit Willy Michl bald auf Tour machte und "für zwei, drei Jahre" dessen damals legendären blauen "Ois is Blues"-Truck quer durch Deutschland chauffierte und als Roadie ganz tief in eine Szene schnupperte, die ihn mehr und mehr faszinierte. "Unzählige Kleinkunstbühnen" sah Zöpfl, der auch am Studienort in München mit dem Fraunhofer und viele anderen "die Liebe zur Kleinkunstszene entdeckte".

Den Floh hatte ihm daheim schon der ehemalige Oberspielleiter des Ingolstädter Stadttheaters, Peter Fieber, ins Ohr gesetzt, der bereits in den 1970ern eine Kleinkunstbühne im Kreuztor errichten wollte. Stattdessen kam dort damals die Glock'n. Abiturient Zöpfl tingelte 1979 schon zu den Brauereien, um auch eine der verfügbaren Wirtschaften ("Die hätte es gegeben") für seinen Plan zu erhalten. Doch er habe nur zu hören bekommen: "Lern' erstmal was, du junger Hupfer!"

Das sagten seine Eltern zwar auch so und hätten es am liebsten gesehen, wenn der Bua dann fertig studiert hätte. Doch schließlich unterstützte die Familie den Sohn mit 20000 Mark, als dieser dann - auf eine Ausschreibung von Ingobräu hin - die Neue Welt auftat. Für 60000 Mark bürgte sie noch bei der Bank, damit der Umbau der arg heruntergekommenen Boazn laufen konnte.

Zöpfl hätte zwar was anderes vorgeschwebt. "Ich wollte das Union-Kino haben. So ein Saal, das wäre der Wahnsinn gewesen." Für die inzwischen ebenso längst in Ingolstadt verschwundene Mennonitenkirche an der Münzbergstraße hatte er bereits einen Mietvertrag in der Tasche. Doch das zerschlug sich doch noch. Blieb die Neue Welt in der Griesbadgasse, die er von der Brauerei pachten konnte. Im Obergeschoss zog die junge Familie ein. Frau Sabrina war mit dem ersten Sohn schwanger. Mit Freunden machte sich der Gründer daran, seinen Traum zu verwirklichen. Im heißen Sommer 1983 lieferten sie "Knochenhypothek", wie er sagt, und schufteten ohne Ende. "Wir haben zehn Schichten Farbe von den Türen runtergemacht", beschreibt er den desaströsen Zustand des Lokals. Die neue Einrichtung sammelten Zöpfl und Unterstützer auf Flohmärkten von Berlin bis Wien zusammen. Dann kam am 3. Oktober die Eröffnung und das erste Konzert mit Rudi Trögl. Ingolstadt brach tatsächlich in eine neue Welt auf, wie man heute nur zu gut weiß.

Die Gäste kamen, füllten das Lokal immer wieder und erlebten den ersten Auftritt von Chris Böttcher mit "Slip33" oder die "Nachprobenschoppen" von United Cervelat mit Günter Grünwald, Dackel Hirmer und allen anderen. BAP schneiten bei ihm rein. Raimund Frick veranstaltete die ersten Ingolstädter Jazztage. Legendäre Abende kamen und folgten. Zöpfl wuchtete für jedes Konzert die gefühlt 100 Kilo schweren Holzverschläge auf die Fensterbänke, damit die schallschutzlosen Fenster in dem alten Haus doch etwas Schallschutz für die Nachbarn boten. "Eine wilde, eine schöne Zeit", sagt der Gründer.

Sie bedeute für ihn und die Familie aber auch Tage mit 16 Stunden Arbeit ("Wir haben ja anfangs alles selbst gemacht: eingekauft, gekocht, ausgeschenkt, gebucht") und irgendwann eine Ernüchterung. "Am Ende vom Jahr war nichts verdient." Bei jedem Konzert habe man quasi draufgezahlt. Wenn die Bude voll war, hatte man die Kosten gerade so gedeckt. Irgendwelche Kulturfördertöpfe, wie heute üblich, waren noch nicht verfügbar oder unbekannt. "Ich wollte ja nie Wirt werden, ich wollte Kleinkunst machen", sagt Zöpfl. "Doch die Alltagsarbeit hat mich irgendwann aufgefressen." Er schaute sich nach einem Partner um und sprach als Ersten Walter Haber an, der tatsächlich mit einstieg. Doch die Zusammenarbeit der beiden unterschiedlichen Charaktere, wie Zöpfl es beschreibt, brachte ihn selbst dazu, Ende 1986 aus der Neuen Welt auszusteigen. "Ich hätte es mir auch nicht vorstellen können, das 30 Jahre zu machen." Sein "Baby", wie Zöpfl sein "Start-up" nennt, gibt es heute noch. Das erfüllt ihn dann doch mit Stolz.

Christian Rehberger