Der lange Weg bis zum Piks
Freitagnachmittag am Ingolstädter Impfzentrum: Ein Erfahrungsbericht

27.11.2021 | Stand 23.09.2023, 22:02 Uhr
Für die Impfungen stehen am Ingolstädter Impfzentrum am Donau City Center derzeit die zwei Vakzine von Biontech und Moderna zur Verfügung. So lange es noch beide Impfstoffe gibt, hat der Impfwillige die freie Wahl. −Foto: Sven Hoppe/dpa

Ingolstadt - Einmal boostern, bitte. Dass ich an einem Freitagnachmittag nicht der Einzige sein würde, war mir klar. Aber immerhin hatte ich einen festen Termin im Ingolstädter Impfzentrum im Donau City Center (DCC). Zu lange sollte es also nicht dauern. Dachte ich.

Meine ersten beiden Impfungen bekam ich im April und Juni dieses Jahres im Impfzentrum in Mühlried, mit Anmeldung über die Onlineseite des bayerischen Impfzentrums. Die Zweitimpfung ist in einer Woche genau sechs Monate her. Fast minutengenau war ich damals an der Reihe. Alles lief sehr strukturiert und geordnet ab. Wenige Wochen danach sollte sich die Corona-Lage beruhigen - so hatte es jedenfalls den Anschein. Wer noch nicht geimpft war, sah wohl nicht unbedingt noch einen Sinn darin, dies nachzuholen. Nach und nach wurde alles gelockert, das Leben lief weitgehend wieder in normalen Bahnen.


Die wiederentflammte Pandemie, die erneuten Corona-Beschränkungen, 2G, 3G und Co. sorgen wenige Monate später dafür, dass sich nun auch Zauderer und Impfskeptiker aufgerafft haben. Die langen Schlangen vor den Impfzentren zeugen davon.

Mein Termin war am Freitag um 16.15 Uhr. Gebucht erneut übers Internet. Um halb vier befuhr ich das Parkhaus des DCC. Erstaunt darüber, dass sich gegenüber, an der Eingangstür des BRK, gleich zwei lange Schlangen formiert hatten.

An der linken Schlange warten Menschen mit Unterlagen der vorherigen Impfungen. "Habt ihr auch einen Termin?", frage ich die ganz vorn Stehenden. Haben sie, antworten einige, lachen dabei und deuten nach hinten. Die Schlange ist mindestens 50 Meter lang. Und die Frau ganz vorn an der rechten Schlange führt die Reihe derjenigen an, die auf gut Glück hierher gekommen sind, ohne Termin. Wie lange sie da schon stehe, frage ich sie. "Fast vier Stunden", sagt sie, "seit Mittag". Es ist einer dieser feuchtkalten Novembernachmittage, ein paar Grad über Null.

Schlangen wie einst am ersten Verkaufstag des iPhone

In beiden Schlangen trippeln frierende Zeitgenossen von einem auf den anderen Fuß, versuchen, sich warm zu halten. Die Szenerie erinnert mich an die ersten Verkaufstage der neuen iPhone-Modelle. Als sich Hipster und Technikfreaks schon Stunden vor Ladenöffnung die Beine in den Bauch gestanden haben, um dann, ein paar hundert Euro leichter und ein paar hundert Gramm Smartphone schwerer, mit einem breiten Grinsen den Apple Store zu verlassen. Mit dem Unterschied, dass es heute sogar etwas umsonst gibt, und dass das vielleicht sogar einen kurzen Schmerz verursacht. Trotzdem wollen es plötzlich ganz viele haben. Kurz vor 16 Uhr werden die Ersten aus der linken Schlange mit einem Termin für 15 Uhr aufgerufen. Die Frau an der Spitze der Terminlosen in der anderen Schlange und neun hinter ihr Wartende begleitet eine BRK-Mitarbeiterin ins Impfzentrum.

Das Schauspiel wiederholt sich immer wieder: Menschen kommen pünktlich zu ihrem Impftermin an den Haupteingang, um dort zu erfahren, dass sie noch lange nicht dran sind. Ein älterer Herr marschiert schnurstracks auf die Glastür zu, er hätte einen Termin für jetzt. "Sie müssen trotzdem warten wie alle anderen", erklärt ihm der Security-Mitarbeiter mit Blick auf die Schlange. "Für was mach' ich dann einen Termin?", antwortet der Senior gereizt und trottet zurück zu seinem Auto. Es geht zu wie auf einer Auktion. "15 Uhr 15, wer hat einen Termin um 15 Uhr 15?", ruft der Security-Mitarbeiter in die Menge. Seine Stimme ist bereits ramponiert. Er klappt für Sekunden seine FFP2-Maske nach vorne, holt tief Luft, geht ein paar Schritte nach vorn und versucht, auch die 50 Meter entfernt Stehenden zu erreichen. "Wer's nicht gehört hat, ist selber schuld", fügt er etwas leiser hinzu. In die linke Schlange kommt daraufhin Bewegung, von weit hinten machen sich einige strammen Schrittes auf zum Eingang. Wo sie dann wiederum warten müssen. Es werden immer nur so viele reingelassen, dass es sich im Vorraum des Impfzentrums nicht staut. Rein dürfen aus der Schlange derjenigen mit Terminen nur jene, die ihren Termin vorzeigen können. Die meisten tun dies per Handy, andere haben einen Ausdruck dabei. Ein kleiner Zettel mit einer Nummer, ausgehändigt von einem der Security-Mitarbeiter, ist dann das Ticket für drinnen.

Das könne verbessert werden beim Impfzentrum

Man muss allen Menschen danken, die hier arbeiten und oftmals Ziel verbalen Unmuts sind, trotzdem immer freundlich bleiben. Man darf aber auch Verbesserungsvorschläge anbringen. So könnte es hilfreich sein, wenn auf den ersten Blick zu erkennen wäre, dass links diejenigen mit einem festen Termin stehen und rechts die ohne. Das kleine Pappschild ganz vorn an beiden Schlangen geht unter. Hilfreich wäre außerdem, wenn am Kopf der "Termin-Schlange" ein großes Display wäre mit dem Termin, der gerade an der Reihe ist. Und vier Plastikstühle im Innenbereich der dort Wartenden sind zu wenig - schließlich stehen in den Schlangen auch etliche ältere Menschen, die nicht mehr gut zu Fuß sind.

Kurz vor fünf ziehen zwei junge Männer mit ihren Handys in der Hand von dannen. Soeben haben sie erfahren, dass es keinen Sinn mehr macht, sich in die Schlange der Terminlosen einzureihen. Um 17.02 Uhr kippt dann die Stimmung. Die BRK-Mitarbeiterin, die vorher noch jene ohne Termin in Zehnerreihen nach innen begleitet hat, schickt jetzt die in der Kälte Wartenden - es mögen wohl noch etwa 50 Personen sein - nach Hause. Vorbei ist's mit der geduldig ausharrenden Menschenmenge, die angestaute Wut bricht sich Bahn. Einige drängen nach vorn, es staut sich vor dem Eingang des Impfzentrums. Der Ton wird rau. "Ich habe stundenlang gewartet", sagt eine etwa 35-jährige Frau. Immer wieder sucht sie das Gespräch mit den Security- und BRK-Mitarbeitern, fleht sie fast an. Ein ergrauter Mann um die 60 gibt sich bockig. Bis 19 Uhr, sagt er, habe das Impfzentrum geöffnet. Also noch zwei Stunden. Er hat recht. Aber da die Schlange derjenigen mit Termin noch wesentlich länger ist als die andere, ist absehbar, dass nun etliche Impfwillige unverrichteter Dinge den Nachhauseweg antreten müssen. Das Problem ist, dass es derzeit auch schwierig ist, in Bälde an einen Termin zu kommen. "Vor Ende Dezember geht wahrscheinlich nichts mehr", beantwortet ein Security-Mitarbeiter der Impfstation die entsprechende Frage einer Frau.

Impftermine in Ingolstadt finden Sie hier. - Link zum bayerischen Impfzentrum.

Die Diskussionen gehen noch einige Zeit weiter vor der Eingangstür. Fast alle tragen diszipliniert ihre FFP2-Maske, aber nun stehen die Menschen dicht an dicht. Die Terminlosen sind sauer, ein paar von ihnen nutzen den Augenblick, als sich der Security-Mitarbeiter mit jemandem unterhält, um sich an ihm vorbei in den inneren Vorraum des Impfzentrums zu stehlen. Sie reihen sich einfach dort ein, ohne einen Zettel in der Hand - und werden nach kurzer Zeit höflich, aber bestimmt vor die Tür bugsiert. Eine ungute Stimmung liegt in der Luft, für kurze Zeit ist die Lage unübersichtlich. Doch BRK- und Security-Mitarbeiter finden den richtigen Ton in dieser angespannten Situation. Das Zwischenmenschliche spielt eine große Rolle hier.

"Moderna ist der Rolls Royce"

Wer es bis zur kleinen, etwa zehn Personen langen Schlange im Innenraum geschafft hat, ist einen großen Schritt weiter. Wir stehen in aufgezeichneten Vierecken, in den Vierecken sind Pfeile eingelassen. Abstand halten ist die Devise, das ist im Innenbereich noch wichtiger als draußen. Die Frau hinter mir muss um 19 Uhr ihren Zug nach Hamburg erreichen. Ich lasse sie vor. Es ist kurz vor halb sechs, als ich schließlich vor einem der Schalter stehe. "Wollen Sie mit Biontech oder Moderna geimpft werden?", fragt mich die BRK-Mitarbeiterin. Ich erzähle ihr kurz meine Vorgeschichte. "Moderna ist der Rolls Royce", antwortet sie, und ich weiß, dass sie diesen von Gesundheitsminister Jens Spahn vor wenigen Tagen hinausposaunten Satz wohl schon hundert Mal zum Besten gegeben hat. Ich finde auch den von Spahn als "Mercedes" titulierten Impfstoff von Biontech in Ordnung und entscheide mich für ein kurzes Gespräch mit dem Arzt.


Nach den Schaltern folgt ein weiterer, jetzt ziemlich großer Wartebereich. Hier hätten auch vier Kegelbahnen Platz. Die Menschen sitzen auf orangefarbenen Stühlen. Diejenigen, die zum ersten Mal im DCC sind, füllen den Amnesiebogen und weitere Formulare aus. "Schwanger bist du nicht?", fragt eine etwa 60-jährige Frau ihre betagte Mutter. Die Stimmung ist hier drin, so kurz vorm Ziel, doch deutlich besser als draußen in der Kälte. Nochmal 20 Minuten warten. Aufgerufen wird nach Nummern. Es geht nun flott voran. Um 17.52 Uhr sind noch zwölf Personen vor mir. Kurz nach 18 Uhr dann: 709. Meine Nummer.

Der Piks zwei Stunden nach dem Termin

Impfraum 2. Im Raum neben mir bekommt die Frau ihre Spritze, die heute noch nach Hamburg reist. Sie hat es eilig und verzichtet auf das 15-minütige Warten nach der Impfung. Sie wird ihren Zug erwischen. Der Arzt - jung, souverän und trotz der Hektik um ihn herum freundlich und gelassen - meint, der Moderna-Impfstoff wirke nach neuesten Erkenntnissen etwas länger. Es spreche aber auch gar nichts gegen Biontech. Schon gar nicht dann, wenn ich das Vakzin bei den ersten beiden Impfungen gut vertragen hätte. Ich entscheide mich wieder für Biontech. Ein kurzer Piks, der Arzt spritzt gut - kein Schmerz. Die Angst davor ist also unbegründet. Er fragt mich, welchen Termin ich gehabt hätte. Der liegt nun ziemlich genau zwei Stunden zurück: Es ist kurz nach sechs, mein Termin war um 16.15 Uhr. Das eigentliche Prozedere hat gerade einmal drei, vier Minuten gedauert. Ich bin geboostert, habe alle erforderlichen Unterlagen, die ich benötige. Es fühlt sich gut an.


Im Ruheraum, der erneut kegelbahntauglich wäre, sitzen weit verstreut zwei Handvoll Frischgeimpfte. "Bei mir war's schon die Dritte", erzählt eine Frau Anfang 40. "Bei mir nicht", grummelt der etwa 60-Jährige ein paar Meter von ihr entfernt. "Ich hatte die Erste." Jetzt erst? Egal, denke ich mir. Es ist nie zu spät. Zwei bayerische Infektiologen sind davon überzeugt, dass es sich nach wie vor lohnt zu impfen. Der erste Impfschutz trete bereits zwölf Tage nach der ersten Impfdosis ein. Sicher geht es nicht allen vordergründig um ihre Gesundheit oder darum, einen Beitrag zu leisten, damit sich die derzeit extrem angespannte Situation in den Kliniken möglichst rasch bessert. Immerhin raffen sie sich auf und tun es - eineinhalb Kilometer vom Impfzentrum entfernt findet tags darauf eine große Kundgebung von Impfgegnern statt, in der auf dem Platz vor dem Stadttheater aggressive Parolen geschwungen werden. Viele lassen sich jetzt auch impfen, um im Zuge von 3G wieder ohne die Testerei ihrer Arbeit nachgehen zu können oder dank 2G ein Lokal auch mal wieder von innen zu sehen. Die wiedergewonnene Freiheit ist sicher ein Argument. Vielleicht hat auch die erst an diesem Vormittag bekannt gewordene neue Corona-Variante Omikron etliche zum Umdenken bewegt. Nach zehn Minuten gebe ich Schreibunterlage, Stift und das Formular mit der Unterschrift des Arztes ab und verlasse das Impfzentrum. Die Schlange davor ist noch immer beträchtlich.

Kurz vor halb sieben bin ich zurück bei meinem Auto. Eigentlich ist im Donau City Center das Parken nur für die erste Stunde kostenfrei. Weil hier das Impfzentrum untergebracht ist, hat man diese Zeit auf drei Stunden ausgeweitet. Und das ist gut so: Eine Minute vor dem Ablauf der drei Stunden passiere ich die Schranke des Parkhauses. Und habe zum zweiten Mal an diesem frühen Freitagabend ein gutes Gefühl.

DK


Uwe Ziegler