Weihnachten daheim

23.12.2019 | Stand 23.09.2023, 9:57 Uhr
Hand in Hand wollen Jelena Rölz und Mirco Helmreich auch in Zukunft ihr Leben verbringen: In Indien hat Mirco seiner Freundin einen Heiratsantrag gemacht (oben). In Laos geht Jelena mit einem Elefanten auf Tuchfühlung (links). Das, was in Landkarten noch als Straße eingezeichnet ist, stellt sich wie hier nahe Tha Ton als üble Piste heraus. −Foto: Fotos: privat

Jelena Rölz und Mirco Helmreich haben sich auf dem Rad ihre Sehnsucht nach fremden Ländern und Kulturen erfüllt. Jetzt, nach ihrer 14-monatigen Reise durch 20 Länder, sind sie rechtzeitig zu Heiligabend wieder zu Hause - und werden heiraten.

Hilpoltstein - Es ist fast so etwas wie ein Last-Minute-Urlaub: Erst drei Wochen vor ihrem Flug nach Bangkok haben Jelena Rölz und Mirco Helmreich aus Altenhofen bei Hilpoltstein beschlossen, wo genau es hingehen soll. Mal schnell den Koffer packen und weg? Nein, es war deutlich aufwendiger, denn der Flug im Oktober vergangenen Jahres war nur der Startschuss, nur die erste Etappe. Ihre eigentliche Reise haben die beiden dann auf dem Rad zurückgelegt. 14 Monate waren sie ab Bangkok unterwegs, haben 21000 Kilometer durch 20 Länder bewältigt und die unglaublichen Strapazen von 160000 Höhenmetern überwunden. Jetzt sind sie rechtzeitig zu Weihnachten wieder zu Hause angekommen.

"Ich bin damals gerade mit meinem Referendariat für das Gymnasiallehramt Mathe und Sport fertig geworden und wir wussten nur, dass wir weg wollten", erzählt Mirco. Seine Freundin Jelena arbeitete als Architektin in Roth. Es war ihr gemeinsamer, lang gehegter Traum, fremde Länder, unbekannte Kulturen und neue Sprachen kennen zu lernen. Doch die Idee, sich diesen Traum auf dem Rad zu erfüllen, reifte eben erst kurz vor dem Start.

Beide sind Sportler mit Leib und Seele: Jelena finishte beim Challenge in Roth 2018 als Landkreisschnellste, einer der größten Erfolge von Mirco war ein Start auf Hawaii. Sie hatten also wenig Angst, eine solche Tour aus körperlicher Sicht nicht zu schaffen. Trotzdem: Sie will gut geplant sein. In den letzten Wochen passierte dann alles Schlag auf Schlag: Im Internet und Büchern lasen sie nach, was sie alles brauchten. Und was schließlich eingepackt wurde, reichte von einem Zelt über Schlafsäcke und Socken, Unterhosen und Kocher bis zu einem alten Laptop und zwei Fotoapparaten. "Wir haben einfach das genommen, was wir hatten, auch wenn sich bei Rädern und Ausstattung mit anderem Material viel Gewicht hätte sparen lassen", sagt Mirco. "Wir wollten nicht viel Geld ausgeben, es lieber für die Reise sparen", ergänzt seine 28-jährige Freundin. Denn Geld, nicht Zeit war der "limitierende Faktor", erzählt Mirco.

Die Kleidung war nicht das Problem, die Räder schon. Rennräder, Mountainbikes und sogar Zeitfahrräder hatten sie aus ihrer sportlichen Karriere zur Auswahl. Aber nichts, was sich für eine solche Tour mit schwerem Gepäck geeignet hätte. "Ich habe mir aus vier alten Rädern ein reisetaugliches Rad zusammengebaut und für Jelena haben wir bei meinem Bruder mein Rennrad gegen sein Reiserad getauscht." Er wird es wohl nicht mehr zurücktauschen wollen, vermutet Jelena. "Naja, es ist mittlerweile ziemlich Schrott", sagt sie lachend.

Nein, die beiden hatten keine Angst, dass es schiefgeht. "Wir haben uns darüber aber auch nie groß Gedanken gemacht", sagt Jelena. Dabei hatten sie noch vor ihrem Start mit Widrigkeiten zu kämpfen. Der gebuchte Flug nach Bangkok wurde kurzfristig gestrichen und zwei Tage nach hinten geschoben. Start war dann am 21. Oktober. Und es war das einzige feste Ziel der 14-monatigen Tour. "Wir wollten uns alles offen halten, wir hatten keine feste Route", erzählt Jelena. Deshalb stand natürlich auch nicht fest, dass sie jetzt zu Weihnachten wieder in ihrer Heimat Hilpoltstein ankommen.

Bevor es losgehen konnte, mussten sie nach ihrer Ankunft in Bangkok bei 30 Grad im Schatten und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit die für den Flug zerlegten Räder wieder zusammenbauen. Dann ging es 40 Kilometer mit dem Rad durch die Stadt, mitten im Berufsverkehr und teilweise auf achtspurigen Straßen. "Adrenalin pur", sagt Mirco.

Die Route, die darauf folgte, fasst Mirco später als "Schleife durch Südostasien" zusammen. Genauer ging es von Bangkok über Umwege zuerst nach Norden und von dort nach Laos. Und schon auf dieser Tour begegnete ihnen große Gastfreundschaft - etwas, das sie auf ihrer Strecke immer begleiten sollte. "Man kann kaum glauben, wie viel Gastfreundschaft es in all diesen Ländern gibt", sagt Mirco rückblickend "und das Fahrrad ist dabei das beste Fortbewegungsmittel, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen."

Übrigens auch kulinarisch war es eine Reise ins Ungewisse. "Man weiß nicht immer, was in den Töpfen schwimmt." Da gab es dann auch mal Schneckensuppe - oder frittierte Heuschrecken und Maden, "die gar nicht mal so schlecht schmecken", sagen beide.

Es ging für sie weiter in den Süden von Laos und schließlich am Mekong entlang zu den "viertausend Inseln". Hier feierten die beiden Weihnachten. Dass sie das nächste Weihnachtsfest zu Hause verbringen werden, war allerdings nicht nur gedanklich in weiter Ferne - und der Weg dahin sollte noch ungeahnte Höhen und Tiefen bereithalten.

Wie beispielsweise in Kambodscha - für Jelena und Mirco ein Land mit zwei Gesichtern - mit herrlichen Stränden und freundlichen Menschen auf der einen und grenzenloser Umweltzerstörung und touristischer Abzocke auf der anderen Seite. Der Bokor Nationalpark ist beispielsweise keiner mehr - auf einer riesigen Baustelle werden im Herzen des Parks Hotels nach oben gezogen.

Entlang der Küste Thailands landeten sie drei Monate später erneut in Bangkok, wo ihre Tour ihren Anfang genommen hatte. Und hier war ein wichtiger Scheidepunkt. "Wir haben uns gefragt, wohin es jetzt geht", sagt Mirco. "Entweder in Richtung Australien oder in Richtung Heimat." "Bei der Entscheidung, nach Australien weiterzufahren, hätten wir uns dort nach Arbeit umsehen müssen", sagt Mirco. Doch sie entschieden sich für den Weg in Richtung Heimat. Was sich jetzt bereits nach dem Ende der Reise anhört - dabei hatten die beiden den größten Teil ihrer Reise, nämlich rund 16000 Kilometer noch vor sich.

In knapp 30 Radtagen ging es von Thailand über Myanmar nach Indien. Und es wurde heiß: Bei 40 Grad im Schatten wurde das Strampeln schwer. "Dafür wurden wir in Myanmar mit strahlenden Gesichtern förmlich überschüttet und die burmesische Küche ist ein Traum", sagt Mirco. Dabei bewegten sich die beiden zum Teil in Regionen weit abseits touristischer Pfade. Manche Leute dort sind noch nie einem Ausländer begegnet. Und trotzdem oder gerade deshalb wurden die beiden mit offenen Armen empfangen. Zudem waren diese Länder sehr schonend für die Reisekasse: "Mit ein oder zwei Dollar pro Tag hatten wir alles, was wir brauchten."

Indien war dagegen ein Kulturschock. "Hass und Liebe zugleich", sagt Mirco. Einen der schönsten Momente ihrer Reise erlebten die beiden gleich zu Beginn in Indien: Mit einem Ring vom Basar machte Mirco Jelena einen Heiratsantrag. Heiraten wollen sie nach ihrer Rückkehr zu Hause.

Wenig später dann eine der schlimmsten Erfahrungen der Reise: Mirco fing sich eine schwere Magen-Darm-Infektion ein. Er war drei Tage im Krankenhaus irgendwo auf dem Land, mit Kühen und Ziegen im Flur und wurde mit Antibiotika vollgepumpt. Die dadurch entstandenen Probleme sollten die folgenden drei Monate immer wiederkehren und die beiden über Nepal und Kasachstan bis Kirgistan begleiten. "Wir wussten einfach nicht, dass sie mit ihrer Behandlung die komplette Darmflora kaputt gemacht haben", erzählt Jelena. Erst eine komplette Nahrungsumstellung vor allem ohne Zucker und mit viel Joghurt hat geholfen. "Ich war froh, dass mir Jelli dabei geholfen hat. Aber Radfahren ohne Zucker macht definitiv keinen Spaß", sagt Mirco. Zwar kamen in dieser Zeit manchmal Zweifel, ob sie die Reise wirklich bis zum Ende durchstehen würden. "Irgendwie war aufzuhören trotzdem keine Option für uns", sagt Mirco. Kaum hatte er seine Krankheit überstanden, erwischte es auch Jelena. So hatte sie über einige Wochen mit einem Parasitenbefall zu kämpfen.

In Kirgistan und Tadschikistan fuhren sie durch atemberaubende Landschaften und hohe Pässe. Über den Pamir Highway, die zweithöchste Straße der Welt, bis auf 4655 Meter über dem Meer. Für die beiden waren hier der Kauf und das Transportieren von Lebensmitteln und Wasser für mehrere Tage am schwierigsten. Manchmal musste jeder 15 Kilogramm extra durch die unwirtliche Landschaft schleppen.

Weiter ging es anschließend über Usbekistan und zur Grenze nach Turkmenistan. Hier mussten sie sich damit herumschlagen, dass genehmigte Visa von den Grenzbeamten ignoriert wurden. Mit einem Fünf-Tages-Transitvisum mussten sie schließlich über 500 Kilometer bis in den Iran zurücklegen.

Dort angekommen, fühlten sie sich wie in einer anderen Welt. "Überall verschleierte Frauen, eine Schrift die wir nicht lesen können und die freundlichsten Menschen der Welt", beschreibt Mirco das neue Land. Frauen haben im Iran laut Gesetz Verschleierungspflicht und so musste Jelena auf dem Fahrrad trotz der Hitze ein Kopftuch und lange Klamotten tragen. Dafür wurden sie mit Geschenken überhäuft, zum Tee, zum Essen oder gar für mehrere Tage nach Hause eingeladen. "Die muslimische Gastfreundschaft sprengt alle Dimensionen."

Als nächstes führte sie ihr Weg in die Türkei. Kurz vor Istanbul trafen sie auf Mircos Eltern, die sie im Wohnmobil in den kommenden Wochen und Monaten immer wieder stückweise auf ihrem Heimweg begleiteten. Nach einem kurzen Urlaub am schwarzen Meer wurden die beiden von Freunden zwischen Istanbul und Thessaloniki in Griechenland mit dem Rad begleitet. Der weitere Weg führte sie über den winterlichen Balkan.

Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und zum Teil dichtem Nebel machten schließlich in Serbien beide Räder fast zeitgleich schlapp. Bei Jelena riss die Felge, Mircos Schaltung war nicht mehr zu gebrauchen. Rettung kam durch Mircos Eltern, die ihre eigenen Fahrräder im Wohnmobil dabei hatten. "Insgesamt hat das Material trotzdem gut mitgemacht. Wenn man von den weit über 60 Platten mal absieht ", erzählt Mirco lachend.

Am Mittwochmorgen haben die beiden von Österreich kommend schließlich wieder deutschen Boden betreten. Zum ersten Mal nach über 14 abenteuerlichen Monaten.

"Wir haben auf unserer Reise unglaubliche Gastfreundschaft, Armut, Umweltsünden und unglaubliche Landschaften erlebt", sagt Jelena . "Mirco und ich haben vieles gelernt, von fremden Ländern und Kulturen, aber auch über uns selbst."

"Uns gehen die Ideen sicher nicht aus - aber jetzt wäre ein bisschen Geld verdienen auch nicht schlecht", antwortet Jelena lachend auf die Frage nach ihren Plänen für die kommende Zeit. "Aber irgendwann sind wir ganz sicher wieder unterwegs."

Auf ihrer Homepage www.eatridelove.de finden sich viele weitere Fotos und Berichte ihrer Reise.

HK

Kai Bader