Roth/Nürnberg
Abstoßende Abgründe

Urteil nach Leichenfund in Roth: 34-Jährige muss elf Jahre in Haft - Anklage dreht sich im Prozess um 180 Grad

20.07.2020 | Stand 23.09.2023, 13:00 Uhr
Er war's, sie war's: Über die 20 Verhandlungstage hinweg beschuldigten sich die beiden Angeklagten gegenseitig, einen befreundeten Saufkumpanen im Februar 2019 in Nürnberg brutal ermordet zu haben. Am Ende ist das Gericht davon überzeugt, dass die 34-Jährige (rechts) für den Totschlag verantwortlich ist. −Foto: Karmann, dpa

Nürnberg/Roth - Eine elfjährige Haftstrafe soll eine 34-Jährige wegen der tödlichen Misshandlung ihres Zechkumpanen in Nürnberg verbüßen. Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah es am Montag als erwiesen an, dass die Frau ihr Opfer im Februar 2019 nach einem Streit habe verletzen, quälen und erniedrigen wollen. Dadurch habe sie sich des Totschlags schuldig gemacht. Einen 35 Jahre alten Angeklagten verurteilte die Kammer außerdem zu einer 13-monatigen Haftstrafe wegen unterlassener Hilfeleistung.

Für großes Aufsehen hatte der Fall im Landkreis Roth gesorgt, weil die Leiche des Opfers   an einer Böschung am Rother  Westring gefunden wurde.  Während des gesamten  Prozesses beschuldigten sich die  beiden Angeklagten  in den vergangenen Wochen gegenseitig, den befreundeten Saufkumpanen   brutal getötet und die in einen Koffer gestopfte Leiche nach der  Tat im Nürnberger Stadtteil Schoppershof an einer Böschung am Rother Rednitzufer entsorgt zu haben. 


 Mit einem Regenschirm soll das Trinker-Pärchen das spätere Opfer nach einem Streit in der gemeinsamen Wohnung derart malträtiert haben, dass der Mann über Nacht an seinen inneren Blutungen starb.   Über 20 Verhandlungstage hinweg versuchte das  Landgericht Nürnberg-Fürth herauszufinden, wer für den Totschlag verantwortlich ist. Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage noch davon ausgegangen, dass der 35-Jährige der Haupttäter war. Doch nachdem die Kammer zahlreiche Zeugen und Gutachter befragt, Handynachrichten und Chats ausgewertet hatte, ergab sich ein anderes Bild: Neben dem gemeinsamen Alkoholkonsum sei die Beziehung zwischen der Angeklagten und ihrem Trinkfreund davon geprägt gewesen, dass sie ihre Launen an ihm auslebte, sagte die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger. „Er wurde geschlagen, geschubst, in den Schwitzkasten genommen.“ Einmal habe sie ihm sogar ein Küchenmesser in die Seite gestoßen. Immer wieder musste die Polizei wegen lautstarker Schreie und Schläge zu der Wohnung der heute 34-Jährigen ausrücken, in der später das Opfer starb. Wenn sie Alkohol getrunken habe, sei sie aggressiv und gewalttätig geworden, sagten Zeugen laut Richter-Zeininger aus. 

Den Staatsanwalt Frank Beckstein, Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten, brachte besonders die überraschend ausführliche und seiner Meinung nach glaubwürdige Aussage des angeklagten Mannes zum Umdenken.   Während des langen Prozesses gelangte der Staatsanwalt zunehmend zu der Überzeugung,   dass nicht etwa der 35-jährige Autolackierer, sondern die 34-jährige geschiedene Hausfrau hauptverantwortlich für den Tod des Opfers sei.  Deshalb forderte Beckstein  am Ende  eine Haftstrafe in Höhe von  14 Jahren inklusive Entziehungskur für die alkoholabhängige Frau. Die Haftstrafe des Mannes hätte der Anklage zufolge nur vier Jahre betragen sollen. 

Zum Finale des Prozesses an diesem Montag hatten  zunächst die beiden Verteidiger das Wort. Stoisch verfolgte das ehemalige Pärchen auf der Anklagebank die Plädoyers. Erst ganz zum Schluss ergriff die 34-jährige Angeklagte selbst das Wort, um sich mit schluchzender Stimme direkt an die im Gerichtssaal sitzende  Tochter des Opfers zu wenden. „Ich habe deinen Vater nicht umgebracht“, versicherte die Angeklagte und versprach, mit dem Trinken endlich aufhören zu wollen. Weniger dramatisch nutzte dagegen der Angeklagte sein Schlusswort. Dem Autolackierer tue es leid, dass er nicht bemerkt habe, dass das Opfer durch die gewaltsamen Misshandlungen der Frau in akuter Lebensgefahr schwebte. 
Zunächst präsentierte  jedoch Petra Leingang als  Anwältin der Angeklagten ihre Sichtweise auf den Tathergang. Die Strategie der Verteidigerin lief darauf hinaus, ihre Mandantin als Opfer von Falschaussagen darzustellen. Die trinkfreudige Hausfrau sei keine brutale Mörderin. Vielmehr seien die Angeklagte und das spätere Opfer „beste Freunde“ gewesen. Die beiden hätten gerne gemeinsam getrunken und manchmal wohl auch gerne gemeinsam gestritten. Die Frau mit den blondierten Haaren habe den Getöteten sogar als Mitbewohner aufgenommen, als dieser seine eigene Wohnung verloren habe. Ein Motiv, den Saufkumpan  zu töten,  konnte die Verteidigerin nirgendwo erkennen.


Franz Heinz, der Verteidiger der Mannes, sah die Dinge genau umgekehrt. Heinz zeichnete das Porträt einer teuflischen Frau, die in alkoholvernebelten Parallelwelten lebte. Kurz vor der Tat habe die Frau erfahren, dass der „beste Kumpel“ die eigene Tochter vergewaltigt haben soll. Daraufhin habe die Frau das Opfer attackiert und mit dem Regenschirm regelrecht „gepfählt“. Mit versteinerter Miene und gelegentlich schwer atmend folgte die Frau den Ausführungen des Strafverteidigers, die  in abstoßende Abgründe führten.
Nach Auffassung der Gerichts  habe sie ihrem Opfer zunächst  Bier und Chilipaste über den Kopf geschüttet, Geschirrspülmittel in die Nase gestopft, ihm eine Geldmünze in den Mund gesteckt und diesen mit Klebeband zugeklebt. „Dazwischen schlug sie immer wieder auf ihn ein“, sagte Richterin Barbara Richter-Zeininger. Als der Mann am Boden lag, sprang sie der Richterin zufolge  wiederholt auf seinen Brustkorb. Dann rammte sie ihn mehrmals mit einem Regenschirm und schlug ihn mit einem Gürtel. „Die Angeklagte beabsichtigte bei ihren Handlungen den Geschädigten zu verletzen, zu quälen, zu erniedrigen“, sagte die Richterin. 


Das Opfer  starb an schweren inneren Verletzungen –  in der Badewanne der Wohnung. Der 35 Jahre alte Angeklagte hatte nach eigenen Angaben dem Verletzten noch dorthin geholfen, sich aber nicht weiter um ihn gekümmert. Im Prozess sagte der 35-Jährige aus, dass er erst am nächsten Tag bemerkt habe, dass der andere tot sei. Später half er nach Ansicht des Gerichts der Angeklagten dabei, die Leiche verschwinden zu lassen. Er holte einen Reisekoffer aus seiner Wohnung. Gemeinsam verpackten sie darin den Toten und warfen ihn in der Nacht zum 20. Februar in Roth eine Böschung hinab, wo ihn eine Spaziergängerin fand.
Die Richterin  verurteilte die Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe in Höhe von elf Jahren plus Entziehungskur. Der Angeklagte wurde zwar vom eigentlichen Vorwurf des Totschlags freigesprochen,  wurde aber für andere Vergehen  sowie wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer  Freiheitsstrafe in Höhe von 13 Monaten verurteilt.  

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Nikolas Pelke, dpa