Roth
Von Doggn, Kuddeln und leeren Filmrollen

Beim Rother Erzählcafé erinnern sich die Besucherinnen an ihre Kindheit

18.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:42 Uhr
Diese Aufnahme aus dem Jahr 1910 zeigt spielende Kinder in der Rother Zeughausgasse. −Foto: Schloss Ratibor

Roth (HK) Wie sich Kinder aus Roth früher beschäftigten, ist derzeit in einer Ausstellung mit alten Fotos im Rother Schloss Ratibor zu sehen. Ergänzend zu dieser Ausstellung fand ein Erzählcafé im Offenen Haus in Roth statt, bei dem Museumsleiter Guido Schmid eine Einführung in die Thematik gab. Brigitte Reinard, die Seniorenbeauftragte der Stadt Roth, moderierte den Erzählnachmittag, bei dem elf Frauen berichteten, was sie in ihrer Kindheit erlebt haben.

Guido Schmid berichtete, dass in der Ausstellung im Schloss überwiegend Fotos von 1880 bis 1940 zu sehen sind, die aus privaten Fotoalben, aus Sammlungen und aus Museumsbeständen stammen. "Wir haben festgestellt, dass sich die Kindheit dramatisch geändert hat", betonte Schmid. Früher hätten zig Kinder auf der Straße gespielt, heute dagegen beschäftigten sich die meisten Kinder mit ihren WhatsApp-Freunden.

"Kindheit ist ein spannendes Thema, weil sich die meisten positiv an ihre Kindheit erinnern", so der Museumsleiter. "Vor 1914 war Roth durch den Gegensatz zwischen arm und reich geprägt - die einen gingen aufs Gymnasium in Schwabach, die anderen gingen in die Fabrik." Doch man wolle nicht nur mit Fotos arbeiten, sondern auch Erinnerungen an und Geschichten über die Kindheit aufbewahren, betonte Schmid. Deshalb wäre es schön, wenn der eine oder andere seine Erinnerungen aufschreiben würde.

Was wurde früher gespielt, fragten sich daraufin die Besucher. Die Zuhörerinnen erinnerten sich an Versteck spielen, an Gummihüpfen, das sogenannte Kästlershüpfen, Schussern, Ballspielen, Seilspringen, Hüttchen bauen, Fußball spielen, aber auch an Lesen von "Nesthäkchen-Büchern". Auf dem Dorf hätten die Kinder wenig Gelegenheit zum Spielen gehabt, weil sie in der Landwirtschaft mithelfen mussten. Sie mussten beim Kartoffel klauben mithelfen, beim Hopfenzupfen mitarbeiten, Holz aufschlichten, Tabakblätter zum Trocknen aufhängen und die Mädchen mussten der Mutter bei Hausarbeiten helfen. Zudem stellten viele Kinder Christbaumschmuck in Heimarbeit her.

Gespielt wurden damals aber auch einige Brettspiele wie Mühle, Halma, Mensch ärgere dich nicht und Kartenspiele wie "Schwarzer Peter". Auch "Topfschlagen" oder "Die Reise nach Jerusalem" waren beliebt.

"Das Fotogeschäft Mörtel hatte einen kleinen Filmprojektor und mit dem hat er an Vorweihnachten immer Filme laufen lassen, die wir Kinder anschauen konnten", erzählte eine Besucherin. Zudem habe der Inhaber den Kindern die leeren Filmrollen geschenkt.

Eine Zuhörerin erzählte, dass sie während des Krieges im Kindergarten war. Da lernten sie das Lied "Panzer, roll' gegen Engeland vor". Doch irgendwann habe es dann geheißen: "Das singen wir jetzt nicht mehr!" Doch mit welchen Spielsachen spielten die Kinder im Krieg? Die Mädchen hätten oft mit Puppen und Puppenstuben und mit Figuren aus Holzmasse, meist Soldatenfiguren, gespielt. Nach dem Krieg verschwanden die Massefiguren, die auch in Roth hergestellt worden waren.

Ganz früher, so erinnerte sich eine Frau, gab es an Weihnachten für die Mädchen eine "Doggn", wie man früher die Puppen nannte. Wunschzettel ans Christkind waren damals unbekannt.

Spielzeug wurde von den Eltern oft selbst hergestellt und als Kinder hat man mit Kastanien und Streichhölzern gebastelt. Die Jungs bauten sich aus Astgabeln und Weckgummi Steinschleudern. Die Buben durften Fußball spielen. Das war Mädchen allerdings verboten, weil es " nicht schicklich" war. Sie sollten lieber mit Puppen spielen und sich auf ihre spätere Rolle als Mutter und Hausfrau vorbereiten.

Einig waren sich die Besucherinnen, dass sich mit dem Aufkommen des Fernsehens der Familienalltag veränderte. So habe es am Samstagabend große Shows gegeben, für die sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelt hat.

Ein weiterer Aspekt des Erzählnachmittags war das Thema "Vertreibung, Flucht und Kindheit". Vor allem auf dem Land seien Flüchtlinge einquartiert worden. "Wir waren ursprünglich sieben Familienmitglieder, aber als Flüchtlinge bei uns einquartiert wurden, waren wir plötzlich 14 Personen im Haus", berichtete eine Zuhörerin. Es wurde gehungert, doch alle mussten verköstigt werden. Das sei für die Mutter keine leichte Aufgabe gewesen. "Mit den Flüchtlingskindern kamen wir als Kinder aber gut aus und spielten gerne mit ihnen." Wer selber keinen Wald hatte, der ging zum "Krageln": Mit langen Stangen wurden dürre Äste von Bäumen geschlagen, die dann klein geschnitten und als Brennholz verwendet wurden. Auch Laub wurde gesammelt und beim Hochreuther holte man Sägespäne zum Anschüren der Öfen. Auch die konfessionelle Trennung sei früher sehr stark gewesen, erzählten die Zuhörerinnen. Durch die Flüchtlinge seien viele Katholiken in das überwiegend evangelische Roth gekommen. Gemeinschaftsschulen habe es erst seit Anfang der 1970er Jahre gegeben.

Es gab zudem besondere Sonntagskleider, die man werktags nicht anzog. Schon im Kindergarten habe es Kittelschürzen gegeben. "Die Kleider wurden immer etwas größer gekauft, damit wir Kinder in sie hinein wuchsen und damit die Klamotten möglichst lange hielten", berichtete eine weitere Zuhörerin. Zum Kleiderkauf ging man in Roth meist zum Wöhrl.

"Am Samstag wurden wir Kinder in einer Blechwanne nacheinander gebadet", erzählte man sich, "aus Ersparnisgründen hat man das Wasser nicht gewechselt und wir wurden alle in der gleichen Brühe gebadet."

Auch an das Essen erinnerten sich die Besucherinnen: "Die Lebensmittel waren mehr wert als heute. Und was auf den Tisch kam, musste gegessen werden", erzählte eine Frau. Oft gab es Suppe, "Kuddln", Kartoffeln, Salat, Sauerkraut, Erbsenpüree und Grießbrei - das meiste aus dem eigenen Garten. Wenn es einmal Schokolade gab, habe man die Tafel gerecht an alle Geschwister teilen müssen. "Wir haben nur Schokolade gekriegt, wenn wir krank waren", erinnerte sich eine Zuhörerin, "aber die Amerikaner gaben uns Kinder 1945/46 Schokolade und Kaugummi." Fahrräder seien in den Jahren 1946/47 etwas ganz Wertvolles gewesen. Oft sei es vorgekommen, dass sie gestohlen wurden.

Das Thema Kinderkriegen und Sexualität sei früher ein Tabu gewesen. "Es gab das Gerede vom Klapperstorch, der die Kinder bringt, man traute sich nicht darüber zu sprechen", so die Besucherinnen. "Mein Sohn hat Würfelzucker auf das Fensterbrett gelegt, weil er sich ein Geschwisterchen wünschte", erzählte eine Frau. Und "jetzt hat mir der Storch in die Wade gebissen", sei ein weit verbreiteter Spruch gewesen.

Robert Unterburger