Heuberg
Sorgen loslassen wie Bäume die Blätter

Beim Waldbaden nahe Heuberg finden Teilnehmer zu sich selbst - Naturkreisläufe lassen eigenes Leben neu verstehen<?ZE>

25.10.2020 | Stand 02.12.2020, 10:17 Uhr
  −Foto: Leykamm

Heuberg - Im Mai ist die Premiere des Waldbadens bei Heuberg noch coronabedingt ausgefallen.

Aber das Warten auf den Herbst wurde nun mit einem Wetter belohnt, das dem Begriff "Goldener Oktober" alle Ehre machte. Beste Voraussetzungen also, um "in die Tiefe des Waldes und vielleicht auch in die eigenen Tiefen vorzudringen", so Therapeutin Sabine Jaeschke zu Beginn der gut zweistündigen Veranstaltung mit bewusst wenigen Teilnehmern.

Angeboten hat sie die Stadt Hilpoltstein und so ist auch Silvia Wittmann vom dortigen Amt für Kultur und Tourismus mit dabei, ebenso wie sieben weitere Frauen, zu denen sich ein einzelner Mann gesellt. Treffpunkt bildet der von Jaeschke betriebene Pferdehof, wo sich auch ihre Rothee-Alpakas tummeln. Doch die kommen heute nicht zum Einsatz. Vielmehr geht es gemächlichen Schrittes zu einem Waldstück in der Nähe.

Die Runde will den Geheimnissen des "Shinrin-Yoku" auf die Spur kommen, das in Japan als Methode zur Gesundheitsförderung längst anerkannt ist und sich in Deutschland unter dem Namen "Waldbaden" immer größerer Beliebtheit erfreut. Unter anderem sollen zwischen den Bäumen das Immunsystem gestärkt und Stresshormone abgebaut werden. "Der Wald hat den Menschen schon immer gut getan", erklärt Jaeschke. Vor allem natürlich dann, wenn man sich bewusst auf ihn ein- und als Radler oder Jogger die Ohrstöpsel mal zuhause lässt.

Genau zu diesem bewussten Wahrnehmen fordert die Therapeutin auf, während die kleine Schar gemächlich die Waldwege entlangschreitet. Dabei sollen die Waldbadenden kleine Schätze aufsammeln, bei denen der Einzelne spürt: "Das hat etwas mit mir zu tun! " Ein solch bewusstes Stöbern lässt dabei vieles in völlig neuem Licht erscheinen. Ein entwurzelter Baum erzählt da plötzlich eine ganz eigene Geschichte. Ebenso wie der eigenwillige Torbogen, den zwei junge Gehölze bilden.

An einer Lichtung mit Karpfenteich angelangt, dürfen die Funde präsentiert werden. Das macht auch gleich richtig Appetit: Maronen oder Waldfrüchte treten da zutage. Gewürze wie den wilden Majoran liefert die Natur gleich mit. "Wir können von ihr viel empfangen, sie gibt und schenkt gerne", weiß Jaeschke. Viele fühlen sich an die eigene Kindheit erinnert. An die Zeiten voller Körbe mit gesammelten Brombeeren oder kunstvoll zurechtgeschnitzten Ästen, wie sie einst Dieter Spindler aus Roth anfertigte. Als Student schon habe er den bewussten Waldlauf für sich entdeckt, wie er sagt. Nun hat er vor einigen Monaten sein Rentnerdasein begonnen und nutzt nach einem Arbeitsleben im Vertrieb die Chance des Waldbadens, "um die Stille zu hören, den Wald zu riechen und einfach neu geerdet zu werden. "

Auf die Veranstaltung hingewiesen hat Spindler aber erst seine Ehefrau Susanne, die ebenso mit an den Bäumen entlangstreift. Auch Marina Lerzer aus Mörsdorf ist fasziniert. Erst vor zwei Wochen sei sie zufälligerweise im gleichen Waldstück unterwegs gewesen, erlebe es aber nun auf eine ganz neue Weise. Mit Jaeschke kommt Carolin Kolsch auf die gleiche Idee. Beide haben flugs je ein Wasserfahrzeug gebastelt. Die Therapeutin setzt mit einem Ahornblatt die Segel, die Heideckerin zaubert ein schmuck dekoriertes Floß. Als Symbol für das Gefühl, auf einem solchen förmlich "durch den Wald getragen zu werden. " Weiches Moos unterstützt etwa genau diesen Eindruck.

Immer mehr finden die Teilnehmer in eine innere Ruhe, öffnen neu die Sinne für die Naturkräfte. "Ohne Natur kann nichts heilen", bekräftigt Jaeschke. Ein ganzes Sammelsurium an Funden präsentiert Stephanie Kratzer aus Sondersfeld bei Freystadt. Die unterschiedlichen Lebenssituationen lässt sie sich in den Waldmaterialien widerspiegeln. Eine tolle Vorlage für Jaeschke, die in einer Meditation dazu ermuntert, dem Kreislauf der Natur im eigenen Leben nachzuspüren: Dort einen guten Stand wie ein Baum zu finden; die Sorgen und Nöte wie Blätter abfallen zu lassen; die Jahreszeiten aus der Baumperspektive zu erleben. Einige Schritte weiter ermuntert Jaeschke noch mehr zum Spüren. Gegenseitig sollen sich die Teilnehmer Funde aus der Waldschatzkiste in die Hand geben, worauf der Empfänger ohne hinzusehen erkennen soll, um was es sich handelt. Eichelfruchtbecher, Schneckenhaus oder Rohrkolben werden schnell benannt, anderes braucht etwas länger.

"Wer sich mit solchem Erspüren beschäftigt, der vergisst ganz von selbst den Alltagsstress und kann das Gedankenrad anhalten", so der Tipp von Sabine Jaeschke, bevor sie noch einen Schritt weitergeht und dazu ermuntert, "die äußeren Augen zu schließen und die inneren zu öffnen". Und bewusst zu atmen: Frische, neue Lebensenergie, angereichert mit den von Bäumen verströmten ätherischen Ölen, gilt es einzusaugen, während "alles Verbrauchte abgegeben werden darf. "

Die Therapeutin schickt auf eine Fantasiereise, bei der die Teilnehmer einem Waldtier begegnen, mit einer bestimmten Nachricht für sie. Es ist nicht nur diese, sondern eine wohltuende Gesamterfahrung, die die Teilnehmer schließlich mit nach Hause nehmen.

lkm