Nürnberg
Neue Heimat mit alten Stoffen

Ein syrischer Schneider und eine junge Designerin aus Nürnberg verkaufen ihr eigene Kindermode

11.07.2018 | Stand 23.09.2023, 3:41 Uhr
Thomas Tijang

Nürnberg (epd) Er war einer von vielen, die im Sommer 2015 kamen. Heute hat Hamdi Alzinbarkij mit einer Deutschen eine Werkstatt für Kinderkleider auf den Weg gebracht. Dort sitzt er an der Nähmaschine.

Die Nähmaschine surrt, mit geschickten Fingern näht Hamdi Alzinbarkji die mintfarbenen Stoffteile zusammen. Mit dem Ergebnis ist der Syrer zufrieden, ebenso die Nürnberger Jungunternehmerin Sarah Seidel. Die Modeschneiderin hat im Nürnberger Kreativstadtteil Gostenhof das Modelabel "NKITH - New Kids in the Hood" aus der Taufe gehoben. "Wir profitieren beide von der Zusammenarbeit", sagt Alzinbarkji.

Flüchtling Alzinbarkji hat seit 2015 eine Aufenthaltsgenehmigung und bringt bei NKITH seine langjährige Berufserfahrung ein. Schon als Kind lernte er in seiner Heimat den Umgang mit der Nähmaschine. Nach der Schule fertigte er in einer Näherei Jeans, Hemden und T-Shirts. Nach einem Wirtschaft- und Handelsstudium arbeitete er dann gut 20 Jahre in der Textilproduktion eines Sportartikelherstellers, zunächst als Produkt- und später als Exportmanager. "Ich habe 1200 Personen geführt", erzählt er. Doch im brutalen syrischen Bürgerkrieg wird seine Fabrik geschlossen, er versucht, sich in Ägypten und der Türkei durchzuschlagen. Irgendwann entscheidet sich der vierfache Vater, zunächst selbst nach Deutschland zu fliehen. Für die damalige Balkanroute vom türkischen Izmir über Griechenland, Serbien und Ungarn nach Deutschland braucht er zwei Wochen. Im Sommer 2015 landet er im Aufnahmelager Zirndorf, wie der 58-Jährige erzählt.

Alzinbarkji wird als Flüchtling anerkannt, in einer Einrichtung nahe dem Nürnberger Stadtpark untergebracht, ist erst einmal zum Nichtstun verdammt. Um überhaupt irgendetwas zu tun, bietet er anderen Geflüchteten Nähkurse an. Sarah Seidel lernt er bei einer Ausstellung kennen, sie freunden sich an. "Hamdi hatte sehr gelitten", erinnert sie sich. Seidel, die ihr Studium der Sozialen Arbeit für ihr Kind unterbrochen hatte, fängt an, mit ihm zu nähen. Das habe sich einfach so ergeben. Es entstehen eine Hose für den Sohn und eine Stoffschlange zum Spielen. Zwar wollte die 34-Jährige immer etwas mit Kinderklamotten machen, "doch an ein Business hatte ich noch nicht gedacht". Der Impuls kam im letzten Jahr von Seidels Mann Florian Pohrer, der für eine Nürnberger Kreativagentur arbeitet: "Man könnte ein Geschäft daraus machen", war er sich sicher.

Die Idee von NKITH, die innerhalb eines Jahres entsteht, ist: in Nürnberg zu fertigen und alte Stoffen wie Bettlaken und -bezüge zu verarbeiten, also mit sogenanntem Upcycling auch nachhaltig zu arbeiten. "Slow fashion" nennt es die junge Frau, in Anlehnung an die Slow-Food-Idee. Ein Eckladen wird als Atelier mit viel Eigenleistung eingerichtet. "Ohne Hamdi hätte ich es nicht geschafft." Für Alzinbarkji ist die Fertigung in Nürnberg alles andere als vertraut. In der syrischen Fabrik kam der Stoff von der Rolle und die Stoffe wurden automatisch geschnitten. "Es ist viel mehr Handarbeit als in Syrien", erklärt er. Die formale Gründung der Firma laufe noch, ein Onlineshop soll an den Start gehen.

Einen Schwerpunkt sollten Caps für Kleinkinder sein. Seidel und Alzinbarkji tüfteln am Zuschnitt, um eine optimale Form zu finden. Dann ging es um Größen und Zwischengrößen, um auf viele Köpfe zu passen. Am Ende sind bunte Caps herausgekommen, auf denen vorn das Modelabel prangt. Der Verkaufspreis von 40 Euro im Laden sei durchaus stolz, räumen die beiden ein. Aber darin seien nicht einmal Entwicklung, Zuschnitt und Material enthalten. Im Wesentlichen sei es die "Arbeitszeit fürs Nähen", die die Kosten erhöht, sie soll auf 30 Minuten gedrückt werden.

Je nachdem, wie das Geschäft anläuft, wird der syrische Schneider und Betriebswirt möglichst schnell als Minijobber oder auf Teilzeit eingestellt. Denkbar sei auch eine freiberufliche Mitarbeit. Alzinbarkji bewegt sich im Geschäft nach Zeiten der Unsicherheit wie in einer neuen Heimat. Im Nürnberger Atelier sagt er: "Ich bin angekommen." Während er mit Seidel die Kollektion durchgeht oder Fertigungsschritte plant, schaut seine Frau kurz auf einen Plausch vorbei.
 

Thomas Tijang