Kanne für Kanne vom Hof zur Molkerei

05.12.2018 | Stand 02.12.2020, 15:06 Uhr

Die Schrift ist gestochen scharf und ein Buchstabe sieht aus wie der andere: Das Kassenbuch der Firma Keim ist ein Archiv, in dem alle Veränderungen bei Einnahmen und Ausgaben genau festgehalten sind.

Aber die Ziffern geben nicht nur Aufschluss über Soll und Haben, sondern erzählen zugleich auch eine Geschichte: die des Milchtransports von den Bauernhöfen zur Molkerei. Und diese Geschichte begann in Offenau im November 1938, nachzulesen am Eintrag "360 Mark Milchgeld Molkerei".

Wichtige Erinnerungspunkte liefern aber auch die alten Aufnahmen, die Paul Keim hütet wie einen Schatz. Sie zeigen den Wandel bei den Milchautos vom klobigen Kleinlastwagen bis hin zu Hightechgeräten mit GPS und automatischer Entnahme von Milchproben. Noch aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg stammt das Foto, das Paul Keims Großmutter zeigt, die stolz vor dem ersten Milchauto posiert. Dieser kleine Lastwagen war ein immenser Fortschritt bei der Aufgabe, Waren von A nach B zu bringen. Ende des 19. Jahrhunderts, auch das belegen Fotografien, wurden die Güter vom Land mit Planwagen und Pferdefuhrwerken nach Nürnberg gebracht. Und weil sich keiner der Händler traute, diese Tour alleine anzutreten, sammelten sich die Fuhrwerke und gingen gemeinsam auf die Fahrt in die Großstadt.

Da waren Lastwagen, und waren sie auch noch so klein, ein großer Fortschritt. Mit ihnen wurde die Milch in Kannen zur Molkerei nach Thalmässing gebracht. "Damals war noch jeder Hof ein Milchlieferant", erzählt Paul Keim, der sich derzeit intensiv der Erforschung seiner Familiengeschichte und untrennbar damit verbunden seiner Firmengeschichte widmet. Die einzelnen Bauernhöfe mussten ihre Kannen jede Früh zu einer Sammelstelle im Dorf bringen. Auf den hölzernen Rampen standen die Kannen einträchtig nebeneinander und warteten darauf, abgeholt zu werden. Kanne für Kanne musste auf den Lastwagen gehievt werden. War die Ladefläche voll, ging es zur Molkerei. Dort wurde die Milch umgefüllt, die Kannen wurden gewaschen und wieder zum Bauern zurückgebracht. Allerdings ging es schon wenige Jahre später zurück zu den Pferdefuhrwerken: Die Lastwagen wurden im Krieg beschlagnahmt und für militärische Zwecke genutzt.

Nach dem Krieg verlor das Unternehmen die Lizenz für den Milchtransport, weil Paul Keims Großvater - wie viele Unternehmer in der damaligen Zeit - Mitglied bei der NSDAP gewesen war. Die Milchtransporte gingen an einen Unternehmer Schröder in Offenbau und danach an Peter Back in Kleinhöbing. Paul Keims Vater Richard bewarb sich immer wieder bei der Molkerei, um wieder in sein altes Geschäft einsteigen zu können. Er wurde jedoch immer wieder mit dem Hinweis abgewiesen, dass alle Touren vergeben seien und man niemanden brauche. Erst nachdem Peter Back bei einem Unfall mit einem Langholztransport gestorben war, wurde Richard Keim als Milchtransportunternehmer eingestellt, berichtet Paul Keim.

Seine Tour führte damals von Offenbau über Lohen, Dixenhausen, Schwimbach und Appenstetten zur Molkerei nach Thalmässing. Dazu kam dann einige Jahre später die Gredinger Tour, nachdem die Firma Schuster diese Aufgabe aus gesundheitlichen Gründen abgegeben hatte.

Die Fahrzeuge waren immer mit zwei Mann besetzt. Einer hob die Kannen von der Rampe auf die Bordwand und der zweite schlichtete sie auf die Ladefläche. Um die Arbeit zu erleichtern, kaufte die Firma Keim von der Firma Klingele einen Lastwagen und ersetzte die Bordwände durch ein Eisengeländer.

Der tägliche Gang zur Rampe mit den Milchkannen im Schlepptau war für die Bauern eine willkommene Abwechslung. In Zeiten, in denen man ohne Handy, Smartphone, Facebook und Whats App auskommen musste, wurden hier alle Nachrichten "umgeschlagen" und einfach ein wenig getratscht.

Der Transport mit dem Milchauto ging aber nicht nur in eine Richtung: Milch wurde abgeholt, Molkereiprodukte wie Butter, Sahne oder Käse, die die Bauern zuvor bestellt hatten, mitgebracht. Auch die Magermilch, die die Bauern als Tierfutter brauchten, wurde mit dem Milchauto von der Molkerei zu den Höfen transportiert. Dieses Futter konnte auch recht unkompliziert abbestellt werden. Paul Keim muss heute noch lachen, wenn er an den kleinen Zettel denkt, den die alte Dixenhausener Wirtin einst an die Kannen geheftet hatte: "Ab morgen keine Magermilch mehr. Schwein tot. "

Das Milchauto transportierte aber nicht nur die Milch, sondern öfter auch Fahrgäste. Die Leichenbitterin aus Schwimbach nutzte zum Beispiel gern das Milchauto als Taxi, wenn sie im Auftrag einer Trauerfamilie von Ort zu Ort unterwegs war, um Verwandtschaft und Freundschaft vom Tod eines Angehörigen zu verständigen. Als Lohn gab es dafür zum Beispiel eine Wurst, einen Löffel Fett oder sehr oft Eier. Diese Gaben stapelte die Leichenbitterin in ihrer Kerm und passte deshalb wie ein Luchs auf, dass der Milchautofahrer die auch ganz vorsichtig behandelte.

Der 1. September 1977 war ein bitterer Tag für einen Teil der Milchfahrer. Zu diesem Zeitpunkt stellte die Molkereigenossenschaft vom Kannentransport auf Sammelwagen um. Da von den neuen Fahrzeugen nur noch vier Stück gebraucht wurden, hieß das für einige Fahrer, die diese Arbeit oft schon vom Vater übernommen hatten, Abschied zu nehmen. Bei der letzten Tour waren die Milchautos, bei denen bis zu drei Kannenlagen übereinander gestapelt waren, mit Blumengirlanden geschmückt, manche aber auch mit Trauerflor.

Auch die neuen Sammelwagen, die von 6 bis 12 Uhr im Einsatz waren, waren mit zwei Mann besetzt. Der eine saugte die Milch mit einem Schlauch aus den Kannen, der andere druckte die abgeholte Milchmenge jedes Hofes, die auf einer Stempeluhr angezeigt wurde, auf eine Karte. Das Einzugsgebiet der Molkerei Thalmässing war damals auf vier Unternehmen aufgeteilt. Jedes Fahrzeug fuhr zwei Touren und es wurden rund 80000 Liter Milch am Tag zur Molkerei gebracht. Nachmittags wurde die Milch, die nicht in Thalmässing verarbeitet wurde, zu den Milchwerken nach Ingolstadt gebracht.

Nach einigen Umstrukturierungen, unter anderem hat die Firma Keim 19 Jahre lang die Milch der Privatmolkerei Schwaiger in Riedenburg gefahren, fährt sie heute jeden Tag 120000 Liter Milch mit zwei Sammelwagen und zwei Fahrern nach Thalmässing in die Molkerei, früher waren vier Autos mit acht Mann Besatzung notwendig, um 80000 Liter Milch zu transportieren, rechnet Paul Keim nach. Heute kann ein Tankwagen 700 bis 800 Liter pro Minute ansaugen. Keim erinnert sich noch gut an die Milchmengen von früher. "Ab 300 Liter Milch sind wir direkt zum Hof gefahren. " Ein Bauer aus Offenbau habe damals gleich 600 Liter Milch am Tag geliefert - eine Riesenmenge. Heute müsse ein Hof mit dieser geringen Milchmenge um seine Existenz kämpfen. "Früher hat das Milchauto allein in Alfershausen zwölfmal gehalten, heute holen wir dort nur noch von einem einzigen Bauern Milch. "

Dafür sind die Tankwagen heute hochmodern. Dank GPS "weiß" das Auto, auf welchem Hof gerade Milch geholt wird. Und es wird automatisch jeden Tag von jeder Charge, die aufgenommen wird, eine Probe gezogen und an den Milchprüfring in Wolnzach geschickt. Bei den neuen Wagen wird der Aufbau elektrisch betrieben, so dass der Motor des Lastwagens auf dem Hof ausgeschaltet werden kann. Die Pumpe, die die Milch einsaugt, wird mit einer Batterie betrieben, die bei der Fahrt zum nächsten Lieferanten über die Lichtmaschine wieder aufgeladen wird. "Ein Beitrag zum Umweltschutz", so Keim.

Bei allen Veränderungen in den vergangenen 80 Jahren - gleich geblieben ist der Einsatz der Milchfahrer, die zuverlässig ihren Dienst tun, egal ob Werktag oder Feiertag. Angst macht Paul Keim diese Veränderung nicht: "Milch wird's immer geben. "