Nürnberg
Geordnete Unübersichtlichkeit

Metallener Grabschmuck, Sandstein-Särge und Rosenstöcke prägen die Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus in Nürnberg

14.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:04 Uhr
Jutta Olschewski
Der Friedhof von St. Johannis mit der gleichnamigen Kirche im Hintergrund in Nürnberg (oben); Das Grab von Albrecht Dürer ist beim Besuch auf dem Friedhof natürlich ein Muss (rechts). Erheblich kleiner ist der Rochusfriedhof. −Foto: Olschewski/epd

Nürnberg (epd) Die Reiseführer preisen sie. Sie gehören zu den schönsten Orten in Nürnberg und sind seit 500 Jahren Stätten des Gedenkens: die Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus ziehen Besucher an. Man kann sich dort aber auch begraben lassen.

Wo liegt er denn nun begraben, William Wilson, der Lokführer, der bei der ersten Eisenbahnfahrt in Deutschland 1835 die "Adler" lenkte? Als er 1862 in Nürnberg starb, legt man ihn in ein Grab hier auf dem berühmten Johannisfriedhof. Aber die Suche nach Grabstätten zwischen den markanten typischen Sandsteinblöcken, metallener Kunst und Rosenbüschen kann verwirren. Der Johannisfriedhof ist sehr unübersichtlich.

Das räumt auch Verwaltungsleiterin Elfi Heider ein. Von einem System, mit dem berühmte Gräber wie die von Veit Stoß oder Albrecht Dürer per App und GPS auffindbar wären, hält sie nichts. Sie befürchtet, dass dann Touristen auf dem Friedhof "nur noch auf ihr Handy starren, statt die Atmosphäre wahrzunehmen".

Und zwar die Atmosphäre, die ein Friedhof hat, der in 500 Jahren gewachsen ist. Im Jahre 1518 haben die Nürnberger ihre Friedhöfe St. Johannis und St. Rochus vor die Stadtmauern versetzt. Der Rat der Stadt hatte dies so beschlossen. Aus Angst vor der Ausbreitung der Pest sollten die Toten nicht mehr in den Kirchhöfen rund um die Kirchen beerdigt werden.

6500 Grabstätten befinden sich heute nach zahlreichen Erweiterungen auf dem Johannisfriedhof. Auf dem Rochusfriedhof, sozusagen dem Schwester-Friedhof im Stadtteil Gostenhof, sind es 3500. Beide sind geprägt von den liegenden Sandstein-Särgen in unordentlichen Reihen, aber nach Osten ausgerichtet. Egal, ob in einem Grab die Knochen eines Patriziers bestattet sind, eines einfachen Bürgers oder von Klosterschwestern - jedes Grab hat das gleiche Maß. Sechs "Nürnberger Werkschuh", das waren 1,67 Meter, durfte es lang sein und drei "Nürnberger Werkschuh" breit. Der Rat der Stadt wollte, dass im Tod keiner über den anderen gestellt wurde.

Nicht einmal für den großen Albrecht Dürer (1471-1528) machte man eine Ausnahme. "Was an Albrecht Dürer sterblich war, liegt unter diesem Grabhügel." Diese Inschrift auf einer Steinplatte mit Podest ist aber nicht mehr wahr. Die Gebeine des Malers wurden 1651 ausgeräumt, weil es keine Nachfahren mehr gab.

"Gegossene oder getriebene Tafeln" sind laut Friedhofsordnung auf dem alten Teil des Johannisfriedhofs die einzige Form, mit der Sterbedaten und Ornamentik auf einem Grab angebracht werden dürfen - das gilt auch heute noch. Schon bevor der Johannisfriedhof und der kleinere Rochusfriedhof 1518 eröffnet wurden, ist es wohl bei den Nürnberger Familien üblich gewesen, die Familiengräber mit aus Bronze gegossenen Reliefs zu verzieren, sagen Heimatforscher.

Die Nürnberger Rotgießer-Zunft schuf solche Skulpturen und Metallplatten nicht nur für die Bürger der Stadt, sondern lieferte in ganz Mitteleuropa. Rotgießer, wie die Familie Vischer, machten sich eine Namen. "Wer für die komplexen Bildhauerarbeiten die Entwürfe schuf, weiß man oft nicht", erklärt Stadtheimatpflegerin Claudia Maué.

"Hier ruht ein treuer Mensch - im Unglück groß - im Glück bescheiden" hat einer der unbekannten Modelleure für einen Verstorbenen auf ein Grabmal geschrieben. Darunter tummeln sich ein Wassermann mit Rauschebart, engelartige Figuren mit Armbrust und Erdkugel, ein Wappen mit Hirschgeweih unter einer Ritterrüstung: Die Bilder erzählen Lebensgeschichten. Touristen machen sich auch auf die Suche nach dem prächtigen Barockornament, das sich der Patrizier Paumgartner gießen ließ. Das Highlight ist hier ein Totenkopf mit beweglichem Unterkiefer.

Die Epitaphien auf den Friedhöfen St. Johannis und St. Rochus sind denkmalgeschützt und seit neuestem auch bayerisches immaterielles Kulturerbe. Viele der Grabmäler sind aber beschädigt. Daher will eine neue Stiftung die besonderen bronzenen Epitaphien retten. Die wertvolle Substanz der Friedhöfe sei gefährdet, warnt Sven Heublein, Vorsitzender des Stiftungsverein. "Wenn man noch länger redet und nicht endlich handelt, gehen noch weitere Epitaphien kaputt", betont auch der zweite Stiftungsvorstand, Georg Reichl.

"Wir sind kein Museum", stellt der für die Friedhöfe zustände evangelische Pfarrer von St. Johannis, Ulrich Willmer, klar. Anders als viele meinen, ist der Liegeplatz auf dem Nürnberger Johannisfriedhof schon lange nicht mehr ein Privileg der alteingesessenen Nürnberger Familien. Seit Jahren unternimmt die Friedhofsverwaltung große Anstrengungen, mehr Gräber zu verkaufen, um aus den roten Zahlen zu kommen. Für den Johannisfriedhof scheint das nun zu gelingen. Der Rochusfriedhof braucht allerdings noch etwas mehr Auslastung und Aufmerksamkeit. Nur dumm, dass dort nicht die großen Namen beerdigt sind, wie Albrecht Dürer, Veit Stoß oder Ludwig Feuerbach.

Am heutigen Samstag werden um 13 und um 15 Uhr Künstler von Bridging Arts unter dem Motto "Was bleibt - Wenn Atem zu Luft wird" über den Johannisfriedhof führen. Bei einem Festgottesdienst zum 500-jährigen Bestehen der Friedhöfe am 18. Oktober um 11 Uhr wird der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm predigen.

Jutta Olschewski