Hilpoltstein
Extremistische Tendenzen in der Gesellschaft: Auf der Suche nach dem richtigen Umgang

Der Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus beim Bayerischen Bündnis für Toleranz spricht in Hilpoltstein

21.10.2020 | Stand 23.09.2023, 14:55 Uhr
Wie stark das rechtsextremistische Gedankengut in der Bevölkerung verbreitet ist, zeigt Martin Becher in Hilpoltstein. So würden sich rund 30000 Menschen ganz offen in Parteien wie "Der III. Weg", der NPD oder auch der AfD engagieren. −Foto: Tschapka

Hilpoltstein - Wie stark rechtsextremistische Tendenzen in der Gesellschaft verankert sind, hat am Dienstagabend ein Vortrag im evangelischen Gemeindehaus in Hilpoltstein behandelt.

Eingeladen dazu hatten die Volkshochschule im Landkreis Roth, die katholische Erwachsenenbildung Roth-Schwabach sowie das evangelische Bildungswerk Schwabach im Rahmen ihrer gemeinsamen Reihe "3 für Demokratie". Referent war der Leiter der Projektstelle gegen Rechtsextremismus beim Bayerischen Bündnis für Toleranz, Martin Becher.

Ihm zufolge sei es schwer, diesen rechtsextremistischen Tendenzen, die sich in der Coronakrise noch einmal verschärft hätten, auf der politischen Bühne entgegenzutreten. Denn je mehr man öffentlich reagiert, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen laut Becher diejenigen Kräfte, die man eigentlich bekämpfen will. Allerdings sei das Ignorieren auch nicht der richtige Weg.

Das Bündnis mit Sitz in Bad Alexandersbad unweit von Wunsiedel, wo sich das Grab des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß befindet, habe genau diese Erfahrung mit dem jährlichen Besuch von Rechtsextremisten gemacht. "Auf einmal kamen dann mehr als 6000 Nazis aus ganz Europa".

Spätestens seit dem Film "Der Große Diktator" (1940) von Charlie Chaplin weiß man, das Nazis keinen Spaß verstehen. Darum habe man vor einigen Jahren den Aufmarsch der ewig Gestrigen in einen Spendenlauf umgewandelt, bei dem für jeden gelaufenen Meter Spenden von Unternehmen und Bürger an Projekte gingen, die sich gegen Neonazis engagieren. Auch die Verpflegestation unter dem Motto "Mein Mampf" dürfte den Teilnehmern nicht gefallen haben, "denn diese legen Wert auf symbolische Kommunikation".

Um so schlimmer sei es, dass rechtsextreme Gruppierungen bereits das Symbol für Demokratie und Freiheit, die Deutsche Flagge, für sich gekapert haben und in ein Symbol für nationale Einheit umgemünzt hätten. Unvergessen der Auftritt des AfD-Politikers Björn Höcke, der in der Talkshow von Anne Will eine Deutschlandflagge auf seinem Stuhl ausgebreitet habe, worauf die anderen Gäste, unter anderem auch der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas, wenig souverän reagiert hätten.

Das gelte auch für die Polizei oder den Verfassungsschutz, denen oft vorgeworfen werde, auf dem "rechten Auge blind" zu sein. Immerhin: der Verfassungsschutz würde inzwischen die sogenannte "Neue Rechte", eine Art intellektuelle Ausprägung des Rechtsextremismus wie zum Beispiel die "Identitäre Bewegung", beobachten. Diese sei nicht zuletzt deshalb gefährlich, weil sie sich auf die national-konservativen Bestrebungen in der späten Weimarer Republik berufen, "und daher sagen kann, sie habe mit dem Holocaust nichts zu tun". Tatsächlich würden viele junge Leute in rechten "Denkfabriken" geschult, und sitzen nun als Mitarbeiter von AfD-Abgeordneten in deren Büros.

Um all diesen Gefahren zu begegnen, müsse die Gesellschaft auf vielen Ebenen aktiv werden, wo immer es geht Prävention betreiben, und sich vor allem dürfe sie sich nicht spalten lassen. So stimme zum Beispiel der Vorwurf an die Polizei nicht, sie würde Nazis bei Aufmärschen vor Gegendemonstranten schützen. "Sie schützen nicht deren Meinung, sondern deren Recht auf Meinungsfreiheit", so Becher, dem aber trotzdem die "vermehrten Einzelfälle" in Polizei, Justiz und Bundeswehr beunruhigen.

Anhand einer Grafik machte Becher deutlich, wie stark rechtsextremistisches Gedankengut in der Bevölkerung verbreitet ist. So würden sich rund 30000 Menschen ganz offen in Parteien wie "Der III. Weg", der NPD oder auch der AfD, die Becher als "parlamentarischer Arm von Rechtsaußen" bezeichnete, engagieren. Rund eine Millionen würden durch rechtsgerichtete Musik, Sport (Stichwort Hooligans), soziale Netzwerke, Studentenverbindungen oder ähnliche Zusammenschlüsse ihr Weltbild festigen. "Und rund 20 Prozent der Bevölkerung stehen Umfragen zufolge bestimmte Gruppen wie zum Beispiel Juden, Sinti und Roma oder Homosexuellen ablehnend gegenüber. " Becher spricht dabei von "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit". Dabei sei es wichtig zu wissen, dass es keine vorurteilsfreie Menschen gäbe. "Daher sind wir alle erst Teil der Lösung, wenn wir anerkennen, dass wir Teil des Problems sind", so Becher.

Am Ende des Vortrags im evangelischen Gemeindehaus fragte jemand, ob man schon antisemitisch eingestellt sei, wenn man mit der israelischen Palästinenser-Politik nicht einverstanden ist. Diese Frage ließ Becher unbeantwortet. "Das ist ein schwieriges Thema, damit würden wir heute nicht mehr fertig werden".

HK

Tobias Tschapka