Gremsdorf
Eine Werkstatt im WM-Fieber

Menschen mit Behinderung in Gremsdorf produzieren exquisite Tischkicker

18.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:17 Uhr
Christoph Renzikowski
Die besondere Elf von Gremsdorf. −Foto: Foto: Barmherzige Brüder

Gremsdorf (KNA) Herzogenaurach gilt als Hauptstadt der Sportartikelindustrie.

Im benachbarten Gremsdorf steht die Nobelschmiede des Tischfußballs. Zur WM in Russland haben beide alle Hände voll zu tun.

Handarbeit ist im Fußball verboten, Torwart und Einwürfe einmal ausgenommen. Beim Tischkickern geht nichts ohne sie. Freunde der gehobenen Spielkultur an vier und auch mehr Stangen schätzen schon länger die hochwertigen Produkte aus der Benedikt-Menni-Werkstatt der Barmherzigen Brüder im mittelfränkischen Gremsdorf. Das Standardgerät ist für 800 Euro zu haben, die Sonderedition zur Weltmeisterschaft in Russland kostet glatt das Doppelte. Ist aber eben auch alles Handarbeit.

Seit 1999 gibt es in der kleinen Schreinerei der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen eine eigene Elf, die nichts anderes macht: Der eine sägt, der andere fräst, bohrt, schleift, verleimt oder lackiert. Jeder ein Spezialist auf seiner Position. Wobei zum Team auch ein Ingenieur für Holztechnik und ein Heilerziehungspfleger zählen.

Das jüngste Produkt der eingespielten Truppe kann sich sehen lassen: Den Anstoßkreis schmücken die bunten Zwiebeltürme der Basiliuskathedrale in Moskau, wo Russland am 14. Juni das Turnier gegen Saudi-Arabien eröffnet. Auf der Außenwand prangt das originale Logo der WM, die Bande säumen die Flaggen aller Champions mit der dazugehörigen Jahreszahl.

Die Fußballverrückten von Gremsdorf leben und arbeiten ihre Leidenschaft in höchst exquisiter Form aus. Vom russischen WM-Kicker stehen gerade einmal zwei zum Verkauf, zwei weitere Exemplare werden in den nächsten Wochen verliehen - an Fan-Stammtische, zur Ergänzung von Public-Viewing-Events. Wer sich ein solches Gerät noch rechtzeitig zum Turnierstart sichern will, sollte sich beeilen. Denn mit drei Spieltischen pro Woche ist die Produktion ausgelastet. Und die ersten Bestellungen zu Weihnachten sind bereits eingegangen.

Wie im Profifußball ist auch das Leihgeschäft für den Gremsdorfer Betrieb wichtig. Nicht jeder, der seinen Geburtstagsgästen oder auch bei Schlechtwetter in den Ferien seinen Kindern etwas Abwechslung mit einem Kicker bieten will, stellt sich gleich einen Tisch ins Haus. Deshalb zählt ein Hol- und Bringservice zum Angebot der Behindertenwerkstatt.

Mit Sondereditionen zu großen Fußballfesten haben die Gremsdorfer reichlich Erfahrung. Zur Heim-WM 2006 in Deutschland fabrizierten sie den damals längsten Tischkicker der Welt: Das mehr als zwölf Meter lange Gerät mit seinen 270 Männchen konnte gleichzeitig von 40 Spielern bedient werden. Das verschaffte vorübergehend einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde.

Wer in Gremsdorf ein Tischfußballspiel ordert, kann höchst individuelle Wünsche in die Ausführung einbringen: Die eigenen Vereinsfarben, Spielfiguren mit weiblichen Rundungen, es gibt Kicker mit Politikern, Prominenten, Musikern, Ordensleuten, Versionen für nur zwei oder auch für acht Spieler. Ein Modell hat niedrigere Tischbeine und ist damit für Rollstuhlfahrer geeignet. Veredelt werden die Produkte durch Autogramme von Stars, von Uschi Glas bis Fußballkaiser Franz Beckenbauer und den "Helden von Bern". Die ersten deutschen Weltmeister von 1954 trafen 2005, also 51 Jahre nach ihrem historischen Erfolg, auf ihre einstigen Rivalen aus Ungarn. Wo? In Gremsdorf.

Spezialanfertigungen wie die zur WM haben nur eine zeitlich befristete Konjunktur, was die Produktion auf Vorrat riskant machen würde. Auch beim Modell mit den Spielern des Hamburger Sportvereins sind die Gremsdorfer froh, "dass wir den schon verkauft haben", wie ein Mitarbeiter sagt. So ein Abstieg wirkt sich sofort nachteilig auf die Gewinnspanne aus. Dafür kann man den Spieltisch in den Farben des frisch gebackenen Rekordaufsteigers aus Nürnberg jetzt teurer anbieten, freuen sich die Mittelfranken.

Christoph Renzikowski