Nürnberg
"Der gute Ruf ist entscheidend"

Wirtschaftswissenschaftler Ulrich Walwei macht sich Gedanken über die Zukunft traditioneller Handwerksberufe

18.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:03 Uhr
Ulrich Walwei. −Foto: Foto: Murr

Nürnberg (HK) Ulrich Walwei hat sich Gedanken über 100 Jahre Handwerk in Bayern gemacht. Wir haben mit dem renommierten Wissenschaftler und Vize-Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg über die Geschichte und die Zukunft der traditionellen Handwerksberufe gesprochen.

Ging es dem Handwerk im Freistaat schon einmal besser als heute?

Ulrich Walwei: Unterm Strich kaum. Die Auftragsbücher sind voll, die Gewinne gut. Das größte Risiko ist derzeit die Frage der Rekrutierung. Heute müssen Kunden auf Handwerker warten. Aber natürlich gab es in den letzten 100 Jahren schon immer erfolgreiche Handwerker. Generell kann man das Handwerk in Bayern als Erfolgsgeschichte beschreiben. Handwerk steht für Qualität. Und viele Menschen haben eine starke Präferenz für hochwertige Arbeit.

Früher gab es im Handwerk die Angst vor der Industrialisierung. Heute gibt es die Furcht vor der Digitalisierung. Welche Faktoren haben das Überleben des Handwerks gerettet ?

Walwei: Das Thema Qualität habe ich gerade schon genannt. Es gibt zudem eine wachsende Vorliebe der Kunden für das Lokale und Regionale. Gleichzeitig ist die Flexibilität der Handwerker immer sehr groß gewesen. Hinzu kommt die Kraft zur Spezialisierung. Vor 100 Jahren gab es zum Beispiel viel mehr Produktion im Handwerk. Heute wird mehr repariert. Dienstleistungen werden stärker angeboten. Es gibt natürlich fließende Übergänge. Aus vielen Handwerksbetrieben sind Industriebetriebe geworden. Aus vielen Handwerkern sind Händler geworden. Denken Sie an große Bäckereibetriebe, die heute mehr Caféhaus-Ketten als Brötchenbäcker sind. Handwerker gehen traditionell sehr stark auf Kundenbedürfnisse ein. Im Gegensatz zu Konzernen gehört der Kundenkontakt zum täglichen Brot. Man kennt und verlässt sich auf seinen Handwerker. Der gute Ruf ist entscheidend.

Welche Branchen haben Ihrer Meinung nach eine rosige Zukunft. Und welche Handwerksberufe könnten bald schon vor dem Aussterben stehen?

Walwei: Ein Aussterben bestimmter Branchen sehe ich heute nicht. Ich glaube, dass kreative Handwerker ihre Nischen finden werden. Denken Sie an einen guten Schuster. Oder die engagierte Hutmacherin. Wachstumschancen haben in der Zukunft beispielsweise viele Handwerksbetriebe im Gesundheitsbereich durch die alternde Gesellschaft. Auch das Thema Klima und Umwelt wird langfristig wichtiger werden.

Und die Digitalisierung?

Walwei: Die Digitalisierung kann eine große Chance für das Handwerk sein. Die Digitalisierung kann die Arbeit einfacher und attraktiver machen. Handwerker können heute mit Hilfe des Computers Dinge machen, die früher so nicht möglich waren. Durch die Digitalisierung können sie ihre Arbeit außerdem noch effizienter und produktiver gestalten.

Heute ist beim Handwerk viel von Nachwuchsproblemen die Rede. Gab es in der Geschichte schon etwas vergleichbares?

Walwei: Vor allen Dingen nach den beiden Weltkriegen hatte das Handwerk nicht nur dramatische Materialengpässe, sondern auch enorme Personalprobleme. Das waren aber schlechte Zeiten. Neu ist heute, dass Nachwuchsprobleme in absoluten Boomzeiten existieren. Das liegt nicht nur daran, dass heute wegen des demografischen Wandels weniger junge Leute auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Früher haben sich Kinder viel stärker verpflichtet gefühlt, den Handwerksbetrieb und damit das Lebenswerk der Eltern weiter zu führen. Heute hört man von vielen Familienbetrieben, dass die Kinder die Nachfolge nicht mehr antreten wollen. Handwerksberufe gehören in der heutigen Wissensgesellschaft nicht zu den Trendberufen.

Woran liegt das?

Walwei: Das ist die Frage. Zumal erfolgreiche Handwerker heute sehr viel verdienen können. Sie müssen dafür aber persönlich einen großen Einsatz bringen. Sie müssen selber Hand anlegen. Die hocken nicht wie ein Manager nur im Büro. Die viele Arbeit der Handwerker schreckt heute vielleicht ab. Die Menschen suchen heute mehr Freiraum. Obwohl die Chancen gut stehen, mit einem Handwerk in aller Welt erfolgreich zu sein. Denken Sie an deutsches Brot und bayerisches Bier. Als Bäcker oder Brauer könnte man in der ganzen Welt tätig sein. Aber man muss eben sehr viel geben, um es am Ende auch zu schaffen.

Kann sich dieser Zeitgeist ändern?

Walwei: Es gibt einen Trend zum Lokalen und Regionalen. Die Frage ist nur, wer sich das leisten kann. Sicherlich viele ältere Menschen, die bereit und in der Lage sind, für regionale Handwerksprodukte tiefer in die Tasche zu greifen. Dieser Trend wird leider nicht flächendeckend sein. Die Mehrheit wird auch in Zukunft beim Discounter und nicht beim Bäcker Brot kaufen. Einfach aus Bequemlichkeit und um Geld zu sparen.

Kann Zuwanderung die Nachwuchsprobleme des Handwerks lösen?

Walwei: Leider nur bedingt. Denn gerade beim Handwerk spielt die Ausbildung eine entscheidende Rolle. Wenn jemand Schreiner in Berchtesgaden gelernt hat, kann er auch als Tischler in Flensburg arbeiten. Dafür haben wir mit der dualen Ausbildung ein funktionierendes Qualitätssiegel in Deutschland. Diese duale Ausbildung gibt es in anderen Ländern aber kaum. Deshalb ist es für Zuwanderer schwierig, bei uns einen Zugang in diesen stark regulierten Bereich des Handwerks zu finden. Es gibt Gott sei Dank positive Beispiele, dass Handwerker jetzt Flüchtlinge ausbilden. Aber Ausbildung ist die Voraussetzung. Ohne Ausbildung werden die Zuwanderer den Standard kaum erreichen, den das Handwerk hierzulande ausmacht.

Das Gespräch führte

Nikolas Pelke