Eichstätt
Wirkung über mehr als ein Jahrtausend

An der Katholischen Universität startet die "Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike"

24.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:46 Uhr
Stolz auf den ersten Band der neuen "Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike": Professor Bardo Gauly (links), Mitherausgeber der Reihe, und Friedrich Heberlein, der mit dem Macrobius-Kommentar den ersten Band beisteuerte. −Foto: Schulte Strathaus/upd

Eichstätt (buk) Er gilt als einer der wirkmächtigsten Texte der lateinischen Spätantike, die Überlieferung einer enorm hohen Zahl an Handschriften und Frühdrucken bis zum Beginn der Neuzeit zeigt, dass er viel gelesen wurde, sein Verfasser Macrobius genoss im Mittelalter den Ruf eines Traumexperten schlechthin.

Da ist es verwunderlich, dass der "Kommentar zu Ciceros ,Somnium Scipionis'" ("Der Traum des Scipio") des Macrobius Ambrosius Theodosius trotz dieser enormen Wirkung über mehr als ein Jahrtausend hinweg bis heute noch nie in einer deutschen Übersetzung publiziert wurde.

Nun legt der Eichstätter Altphilologe Friedrich Heberlein erstmals eine solche vor: Sein soeben erschienener Band bildet zugleich den Auftakt einer "Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike". Herausgeber dieser ambitionierten Reihe ist (zusammen mit Alexander Henry Arweiler in Münster) Professor Bardo Gauly, der an der Katholischen Universität (KU) den Lehrstuhl für Klassische Philologie innehat. Seine Intention, die er mit dieser neuen Reihe und speziell dem Macrobius-Band verbindet, erläutert er so: "Sie wendet sich an Leser, denen die Einarbeitung in Macrobius' vom klassischen Latein doch ein gutes Stück entfernte Sprache zu viel Zeit und Mühe abverlangen würde, die sich aber gleichwohl für den anspruchsvollen und für die Kultur der Zeit grundlegenden Text interessieren".

Der Editor dieses ersten Bandes, Friedrich Heberlein, hatte Gräzistik, Latinistik, Mittellateinische Philologie und Indogermanistik in Erlangen studiert und war wissenschaftlicher Mitarbeiter dort, wissenschaftlicher Assistent in Würzburg, zuletzt Akademischer Direktor und Honorarprofessor an der KU. Sein Forschungsschwerpunkt ist die lateinische Linguistik.

Seine deutsche Erst-Übersetzung des Kommentars macht den um 430 nach Christus entstandenen Text einem breiteren Publikum zugänglich. Der spätantike Verfasser, als Prätorianerpräfekt ein hochrangiger römischer Politiker, wollte im Jahr 430 mit dem Werk eine philosophische Einführungsschrift für seinen Sohn Eustathius, dem späteren Stadtpräfekten von 461, und andere philosophisch interessierte Leser bereitstellen: Es war gedacht als Kompendium der wichtigsten Gebiete der Philosophie, worunter im fünften Jahrhundert neuplatonische Philosophie zu verstehen ist. Behandelt werden Traumtheorie, Arithmologie (die Lehre von den magischen Eigenschaften der Zahlen), Astronomie, Geographie und Musiktheorie der Antike. Macrobius wählte sich den Text Ciceros zur Kommentierung, weil er, wie er gegen Ende seines Werks selbst schreibt, in diesem knappen Text eine Summe der gesamten Philosophie mit ihren drei klassischen Gebieten Physik, Ethik und Logik erblickte.

Der Prätorianerpräfekt traf damit voll ins Schwarze: Sein im Kommentar geriet zu einem Bestseller noch durch das ganze Mittelalter hindurch. Den Grund für Macrobius' Erfolg sieht Heberlein in dessen "Fähigkeit zur didaktischen Vereinfachung komplexer Vorstellungen und Sachverhalte". Die "immense Wirkungsgeschichte" mache den Text, so Heberlein, "für jeden philosophie- und wissenschaftsgeschichtlich Interessierten weiterhin lesenswert".

Im Kommentar stützt sich Macrobius in erster Linie auf den Begründer des Neuplatonismus und dessen Schüler, Plotin und Porphyrios; er wählt diejenigen Passagen aus Ciceros Text, die ihm als Basis zusammenhängender Traktate geeignet scheinen, wobei der Zusammenhang mit Ciceros Text dabei auch recht lose werden kann, gelegentlich wird Cicero sogar auf die Funktion eines Stichwortgebers reduziert, etwa im Kapitel über die Numerologie, wo eine knappe Bemerkung Ciceros zu den "sieben mal acht" Lebensjahren seines Protagonisten eine umfängliche und mit dem "Somnium Scipionis" in gar keinem Zusammenhang stehende Erörterung dieser beiden Zahlen und ihrer Bestandteile drei und vier hervorruft. Den Kern des Kommentars bildet die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, um den sich eine breite Palette damit zusammenhängender Themen gruppiert.

Die Sprache des Macrobius ist weit vom klassischen Latein entfernt. Wer sich dennoch an der eigenen Übersetzung des Original-Wortlauts versuchen will, bekommt mit dieser Edition einen lateinischen Lesetext beigefügt, der auf einer früheren Ausgabe von Mireille Armisen-Marchetti beruht. Zudem enthält der Band einen einführenden Essay des renommierten Platonismusforschers Christian Tornau, der eine grundlegende Orientierung über den Charakter des Werks bietet.

Macrobius Ambrosius Theodosius: Kommentar zum Somnium Scipionis. Lateinisch/ deutsch von Friedrich Heberlein. Bibliothek der lateinischen Literatur der Spätantike Band 1, Franz Steiner Verlag Stuttgart 2019, 478 Seiten, Preis 54 Euro.