Eichstätt
Wie europäisch ist Russland eigentlich?

Leonid Luks sprach über das schwierige Verhältnis des Landes zu Europa

10.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:52 Uhr
Hofft, dass Russland seinen Weg zu Europa hin wieder aufnehmen wird: der ehemalige Inhaber des Eichstätter Lehrstuhls für mittel- und osteuropäische Geschichte, Leonid Luks. −Foto: Luff

Eichstätt (rlu) Er ist gebürtiger Russe und ein Kenner der russischen Geschichte par excellence. Im Rahmen der Vortragsreihe zum Semesterthema "Europa" des Forums K'Universale sprach nun der ehemalige Inhaber des Eichstätter Lehrstuhls für mittel- und osteuropäische Geschichte, Leonid Luks, über die Zugehörigkeit Russlands zum alteuropäischen Kontinent. Dabei spannte er einen historischen Bogen von annähernd 900 Jahren.

Die Debatte über Russlands Verhältnis zum abendländischen Europa und seine Kultur wurde und wird stets emotional geführt. Das riesige Land, das sich von Europas Osten über ganz Asien erstreckt, ist nämlich schon immer dem Westen verwandt und zugleich von ihm getrennt gewesen. Dabei nahm das russische Volk, vor allem aber die führenden Herrscher und Politiker, eine durchaus variable Position zum janusköpfigen Wesen Europa ein, das sowohl als Modell betrachtet als auch verteufelt wurde. Und auch die Europäer nahmen den russischen Bären zeitweise gerne im gemeinsamen Haus auf oder verbannten ihn daraus.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die Ostkirche, die nach dem Untergang von Byzanz an Russland gekoppelt war und sich stets den weltlichen Zaren unterordnete. Während jedoch im frühen Mittelalter dynastische Beziehungen zwischen russischen und europäischen Fürsten an der Tagesordnung waren, verebbten diese ab etwa 1240, als die Tartaren für annähernd 250 Jahre die Herrschaft in dem riesigen Reich an sich rissen. Erst in der frühen Neuzeit wurde Russland wieder durch europäische Reisende neu entdeckt und in zahlreichen Reiseberichten thematisiert. Darin schilderten die erstaunten Europäer häufig die rückständige russische Sklaverei und die Allmacht der Zaren.

Das negative Bild der orientalischen Despotie darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch der Zar nicht allmächtig war, sondern sich an sittliche Maßstäbe halten musste, erklärte Luks. Gleichwohl dominierte im 16. und 17. Jahrhundert ein Überlegenheitsgefühl des Westens gegenüber Russland, das sich seinerseits selbstbewusst nach dem Untergang Roms und Konstantinopels als "drittes Rom" bezeichnete und die Orthodoxie wie eine Festung bewahren wollte.

Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts öffnete Peter der Große das Fenster nach Europa und vollzog Reformen, die Russland aus seiner Rückständigkeit holten. Russland wurde in der Folge wieder Teil der europäischen Heiratspolitik und verlässlicher Bündnispartner, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts sogar Napoleon aufzuhalten vermochte. Kontroverse Diskussionen innerhalb Russlands, an denen unter anderem prowestliche und slawophile Strömungen beteiligt waren, schufen im 19. Jahrhundert ein diffuses Bild davon, in welche Richtung sich das riesige Land entwickeln sollte.

Als weitere Etappen Russlands auf dem Weg zu Europa nannte Luks den verlorenen Krimkrieg 1853-56 und die Reformen Alexanders II, die auch als zweite Welle der Europäisierung gelten und endlich ersten demokratischen Strukturen den Weg ebneten. Die bolschewistische Revolution von 1917 und die sogenannte Eurasier-Bewegung ab 1921 untermauerten dann jene strikte Abgrenzung vom Westen, die etwa 70 Jahre lang anhielt und Russland von Europa isolierte, erklärte Luks den Zuhörern.

Erst die Generation von Michail Gorbatschow und deren Sehnsucht, nach Europa zurückzukehren, schufen ab 1989 völlig neue Verhältnisse. Gorbatschows Idee vom gemeinsamen europäischen Haus ist inzwischen freilich wieder durch isolationistische Kräfte zurückgedrängt worden, seit Wladimir Putin das Ruder übernahm. Luks äußerte dennoch am Ende seines Vortrags die Hoffnung, dass Russland seinen unterbrochenen Weg zu Europa wieder aufnehmen wird. Denn Russland ist, wie bereits Katharina die Große betonte, "eine europäische Macht".