Wie das Erwachen nach einem Albtraum

17.12.2010 | Stand 03.12.2020, 3:20 Uhr

Nur etwa 30 Minuten nach seinem Freispruch besuchte Michael Kreitmeir das Gefängnis Monaragala, in dem er selbst acht Tage lang inhaftiert war. Er löste damit sein Versprechen ein, die Insassen nach Wiedererlangung seiner Freiheit zu besuchen und um ihnen zu sagen: "Gebt die Hoffnung nie auf." - Foto: kx

Eichstätt/Koslanda (EK) Sein erster Weg führt ihn in das Gefängnis, in dem er selbst acht Tage verbringen musste. "Ich will meine damaligen Leidensgenossen wissen lassen, dass ich frei bin und dass ich meine Zusage einhalten werden, in Freiheit mit ihnen zusammen Weihnachten zu feiern," sagt ein völlig erschöpfter Michael Kreitmeir.

Für den 54-jährigen gebürtigen Eichstätter ist am Freitagvormittag ein Albtraum zu Ende gegangen: Bei der letzten und für ihn entscheidenden Verhandlung gab es nichts mehr, was von den monatelang erhobenen Vorwürfen übrig geblieben wäre – keine Anschuldigung mehr, er habe Drogen besessen, nichts mehr davon, er habe illegal Kulturgut in seinem Besitz gehabt.
 
"Sie können gehen, es wird keine Anklage erhoben." Ohne Angabe von Gründen, ohne Erklärung, einfach so, sagt Kreitmeir via Handy gegen 9 Uhr unserer Zeit. Da liegt die Verhandlung nur wenige Minuten zurück.

Auf Sri Lanka fällt die Entscheidung fünf Minuten vor Zwölf. Und wie bei den vergangenen acht Terminen vor Gericht dauerte die Verlesung erade mal 30 Sekunden: er erhalte als freier Mann seinen Pass wieder zurück und könne das Land verlassen. Es gebe, so heißt es im überfüllten Gerichtssaal von Monaragala, "keinerlei Verdachtsmomente, die ein weiteres Verfahren oder gar eine Anklage rechtfertigten", wie Kreitmeir mitteilt.

Für ihn eine "unwirkliche Situation". Seine Stimme am anderen Ende der Welt hört sich erschöpft an – immerhin hat der gebürtige Eichstätter während der vier zurückliegenden Monate 15 Kilogramm Gewicht eingebüßt. Übergroße Freude klingt anders. Jetzt auf einmal heißt es: War alles nur ein Versehen.

Vier Monate Albtraum liegen hinter dem Eichstätter. Vier Monate, in denen er acht Tage im Gefängnis saß, in denen er Drohungen, Erpressungsversuchen ausgesetzt war, in denen das – oft durch Einschüchterung beschleunigte – Misstrauen gegenüber seiner Person und seiner Arbeit selbst bei engeren Mitarbeitern nach und nach wieder aufflackerte, das er durch sein Werk eigentlich beseitigt glaubte. Hinzu kamen Morddrohungen, Razzia im Kinderdorf, insgeheim bereits die Aufteilung der Besitzungen des Kinderdorfs unter seinen Gegnern, die ihm den Erfolg neideten ihn und sein Lebenswerk zerstören wollten. Vor allem der für das Dorf zuständige Provinzminister setzte ihn unter Druck und versuchte ihn zu erpressen. Kreitmeir sollte Geld bezahlen, um in Ruhe weiter arbeiten zu können. Dagegen setzte er sich hartnäckig zur Wehr. Dass die Folgen so verheerend sein würden, daran wollte er nicht glauben.

Begonnen hatte der Albtraum für Michael Kreitmeir am 17. August. Er war zusammen mit seinem Sohn Manuel und drei Begleitern mit dem Auto auf dem Weg von einem anderen, ebenfalls von ihm ins Leben gerufenen Hilfsprojekt in das Kinderdorf Little Smile, als er von Milizeinheiten gestoppt wurde. Der Wagen wurde durchsucht, Drogen beschlagnahmt. Um 1,8 Gramm Heroin, so wurde ihm darauf hin erklärt, habe es sich bei dem Fund gehandelt. Er habe niemals Drogen besessen noch selbst konsumiert – letzteres konnte er auch über eine Haarprobe beweisen, die ein Reporterteam des Fernsehsenders Stern TV, das ihn nach den Vorwürfen besuchte, mit nach Deutschland brachte. In insgesamt drei Verhandlungen wurde die Substanz nie als Heroin identifiziert oder lag gar dem Gericht vor. Für Kreitmeir dennoch eine beinahe aussichtslose Situation.

Gleichzeitig lief gegen ihn ein Verfahren wegen des Besitzes von Kulturgut. Mehrere kleine und eine größere Buddha-Statuen waren bei einer Durchsuchung seines Kinderdorfes von Milizionären entdeckt worden. Illegal sei der Besitz gewesen, hieß es, und darauf stehen in Sri Lanka hohe Gefängnisstrafen. Doch auch hier konnte Kreitmeir nachweisen, dass er nicht Besitzer war: Die große Statue hatte ihm ein Mönch zur Aufbewahrung überlassen, die kleinere Statuen dienten der Religionsausübung im Kinderdorf. Doch auch hier galt: Immer leben mit einem Fuß im Gefängnis und der schrecklichen Aussicht auf lange Haftzeiten.

Nun ist der Spuk vorbei. "Eigentlich war es ein Sieg", sagt Kreitmeir. Eigentlich? "Weil ich jetzt meine Arbeit fortsetzen kann, doch der Provinzminister nach wie vor im Amt ist."

Ein Sieg, weil er nun auch erfahren hat dürfen, dass innerhalb der Landesregierung sein Projekt gerne gesehen wird, wie sein Sohn Manuel in Gesprächen mit den Generalkonsul von Sri Lanka in Deutschland erfahren hat und wie auch dessen Eingabe an den Präsidenten von Sri Lanka und dessen in Auftrag gegebene Untersuchung des Falles Kreitmeir gezeigt hat: "Hätte sich die Regierung von Sri Lanka nicht meines Vaters angenommen, dann wäre er jetzt nicht frei", ist sich der 24-jährige Manuel sicher. Auch die Unterstützung durch die Medien in der Heimat Kreitmeirs habe einen großen Teil zur Freilassung beigetragen: "Hätte es die nicht gegeben, dann wäre die Sache 100-prozentig anders und sehr böse ausgegangen."

Jetzt aber kann sich Sohn Manuel zusammen mit seinem Bruder und seiner Mutter Elke in Eichstätt freuen: Das Ergebnis von Freitag sei "eine Supernachricht: Unsere innigsten Wünsche wurden noch vor Weihnachten erfüllt". Auch Elke Kreitmeir ist "sehr, sehr erleichtert" und freut sich "total", auch wenn Michael Kreitmeir sicherlich nicht Weihnachten in Eichstätt verbringen wird.

"Ich mache hier weiter und fange zwar nicht wieder von vorne, aber doch irgendwie neu an", sagt er über Handy. Jetzt gehe es darum, dass sein Visum, das im Frühjahr abläuft, verlängert wird.

Weihnachten aber wird der 54-Jährige zusammen mit seinen Kindern im Kinderdorf und mit den Gefangenen feiern, deren Schicksal er acht Tage teilen teilen musste. Er will ihnen Mut machen, denn: "Nur wer sich selbst aufgibt, ist wirklich verloren."