Eichstätt
"Das Maß ist voll"

An der Basis der SPD wie der CSU ist der Unmut über die Regierungsparteien nicht zu überhören

20.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:08 Uhr
Hermann Redl
Auf Ruhe und sachorientierte Politik ohne dramatisierte und aufgebauschte Themen hoffen viele Bürgerinnen und Bürger nach der Landtagswahl in Bayern. −Foto: Redl

Eichstätt (EK) Die Einigung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer sowie SPD-Vorsitzender Andrea Nahles in der "Causa Maaßen" löst bei vielen Parteimitgliedern an der Basis heftiges Kopfschütteln aus: "Unfassbar", "nicht nachvollziehbar" oder einfach "unmöglich", lauten die Reaktionen bei einem Stimmungsbild, das der EICHSTÄTTER KURIER gestern einzufangen versuchte.

Vor allem bei der SPD stößt die Einigung, den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen zum Innenstaatssekretär zu befördern, auf kein Verständnis. Das Ergebnis des Dreiergesprächs zwischen Merkel, Seehofer und Nahles sei eine "einzige Katastrophe", erklärt Eichstätts SPD-Alt-Oberbürgermeister Arnulf Neumeyer. Wie, so fragt er, soll man den Bürgerinnen und Bürgern sowie der SPD-Parteibasis erklären, "warum ein SPD-Innenstaatssekretär aller Voraussicht nach in den vorzeitigen Ruhestand versetzt wird, nur um dem Wunsch von CSU-Chef Horst Seehofer nachzukommen"? Das von SPD-Parteichefin Andrea Nahles zu dieser Einigung gegebene Votum sei "nicht nachvollziehbar" und "nicht erklärbar", wettert der SPD-Mann gegen die eigene Bundesvorsitzende: "Vorher eine so große Klappe, und danach ein Einknicken vor Seehofer." Er, Neumeyer, "kapiere die Welt nicht mehr". Der großen Koalition gebe er kurzfristig keine Überlebenschance mehr. Irgendwann demnächst "platzt die GroKo", so Neumeyer. Und er fordert: "Lieber eine Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende."

Auch die Vorsitzende der Jungsozialisten (Jusos) im Landkreis Eichstätt, Josephine Harris, glaubt nicht, dass die große Koalition bis zum Ende der Wahlperiode durchhalten werde. Es sei ja im Koalitionsvertrag festgeschrieben, nach der Hälfte der Regierungszeit eine Zwischenbilanz zu ziehen, ruft sie ins Gedächtnis. Doch diese Bilanz, so stellt sie bereits jetzt fest, "kann nur negativ ausfallen". Sie selbst jedenfalls gibt "der Koalition nicht mehr den Ausblick, die Periode fertig zu machen". Der Druck, so Harris, werde nach dieser "völlig unverständlichen Personalentscheidung" immer stärker werden. Dies habe sich auch am Mittwochabend bei einer Versammlung der Jusos gezeigt.

Nicht ganz so eindeutig legt sich der SPD-Unterbezirksvorsitzende Sven John fest, bei dem allerdings der "Unmut der Basis schon heftig aufschlägt". Das ganze Verfahren um den Verfassungsschutzpräsidenten sei "unglücklich gelaufen", versucht er die Gemüter zu beruhigen. Schließlich habe der Fortbestand der Koalition auf der Kippe gestanden. Alle drei Parteivorsitzenden hätten um eine Lösung gerungen, was aber als Ergebnis herausgekommen sei, sei "nicht optimal". Für die Haltung der bayerischen SPD-Vorsitzenden Natascha Kohnen, die das Ergebnis ihrer Vorsitzenden Nahles strikt ablehnt, hat er Verständnis, allerdings gibt er zu bedenken, ob die SPD mit ihrer strikten Forderung, Maaßen abzulösen, nicht etwas vorschnell und vorlaut vorgeprescht sei. John hofft auf eine Fortsetzung der Koalition: Nach der Landtagswahl in Bayern werde "alles wieder in ruhigeren Bahnen laufen", hofft er. Die Koalition solle jetzt endlich durch Arbeit die Bürgerinnen und Bürger überzeugen.

Das tue sie zwischenzeitlich, sagt SPD-Ortsvorsitzender Stefan Schieren, der der Koalition auch weiterhin eine Chance gibt. Erst am Mittwoch sei das neue Kindergartengesetz verabschiedet worden, das Familien und soziale Belange berücksichtige, und in Sachen Wohnungsbau könne man nicht wieder ein halbes Jahr lang Wahlkampf machen und dann neu wählen, gibt er zu bedenken. Die Regierung sei für ein Volk mit mehr als 80 Millionen Menschen zuständig und trage auch international Verantwortung. Falsch allerdings sei es gewesen, die "Personalie Maaßen" so hoch zu hängen und mit dem Fortbestand der Koalition zu verknüpfen. Diese "Dramatisierung" sei nicht notwendig gewesen, kritisiert er die SPD-Bundespartei. Das Problem sei jedoch nicht die SPD, sondern Innenminister Horst Seehofer, so Schieren abschließend: "Ich gehe davon aus, dass es nach der Landtagswahl in Bayern eine Kabinettsumbildung in Berlin geben wird."

Selbst bei der CSU ist man nicht gerade begeistert über das Ergebnis des Dreiergesprächs zwischen Merkel, Seehofer und Nahles. Der Eichstätter Ortsvorsitzende Josef Grienberger "akzeptiert" die gemeinsame Entscheidung der Parteivorsitzenden: "Ich habe Verständnis, dass die Aussagen von Herrn Maaßen in der öffentlichen Wahrnehmung sehr umstritten sind und auch die scheinbare ,Beförderung' für Unmut sorgt", teilt er mit. Er gehe davon aus, dass die Parteivorsitzenden auf der Basis der Tatsachen nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hätten. Sein Appell: "Wir müssen uns auch in der Öffentlichkeit wieder den wichtigen Themen widmen, wie Pflege, Unterstützung für Familien oder Wohnungsbau."

Als "schwierig" bezeichnet Mörnsheims Bürgermeister Richard Mittl, Mitglied des erweiterten Vorstands der Kreis-CSU, die Lösung des Konflikts um die Person Maaßen. Der Kompromiss sei "sicherlich nicht ideal" gewesen, allerdings habe er keine Alternative gesehen. Mittl: "Dass dies aber zum Unmut bei der Bevölkerung führt, ist nachvollziehbar."

Eine ähnliche Wortwahl trifft auch die Denkendorfer Bürgermeisterin und Vorsitzende der Frauen Union im Landkreis Eichstätt, Claudia Forster. Der innerhalb der Bevölkerung gärende Unmut, der auch an sie herangetragen werde, sei "absolut nachvollziehbar". Die CSU im Landkreis habe sich auf einen ruhigen Wahlkampf eingestellt, um ihr Programm vorzustellen. Und nun "wird alles auf das Thema Migration" reduziert, bedauert sie. Ein Ende der großen Koalition würde sie sich nicht wünschen. Im Koalitionsvertrag seien viele Punkte enthalten, die auch von der Frauen Union gefordert worden seien. Wichtig sei jetzt, die "Personalie und das Hickhack wieder aus dem Fokus zu bringen und sich auf die Sachthemen zu besinnen".

Hermann Redl