Eichstätt
Große Sehnsucht nach der Heimat

Der Eichstätter Robin Baumgartner lernte mit Studierenden der KU das Leben von Flüchtlingen in Jordanien kennen

30.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:49 Uhr
Über die Fußbälle vom VfB Eichstätt freuten sich der Gemeindepfarrer und Flüchtlingskinder in einer christlichen Gemeinde im nordjordanischen Mafraq. Von Al Salt aus besuchten Baumgartner und seine Mitreisenden eines von vielen Flüchtlingszentren im Land. −Foto: Baumgartner

Eichstätt (EK) Der Verlust von Heimat ist für Tausende Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen und in Jordanien eine sichere Bleibe suchen müssen, sehr schmerzvoll: Diese Erfahrung machten der Eichstätter Robin Baumgartner, Mitarbeiter im Zentrum Flucht und Migration der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (ZFM), und eine Gruppe Studierender vor Ort.

Finanziert durch das DAAD-Programm PROMOS und auf Einladung von Caritas International Jordanien und deren Partnerorganisationen, dem Arbeitskreis Internationale Jugendarbeit (AKIJA e.V.), Starkmacher e.V. und der italienischen NGO (Nichtregierungs- organisation) Non Dalla Guerra, besuchte Baumgartner mit sechs weiteren Eichstätter Teilnehmern zwei Wochen lang Flüchtlingslager und Flüchtlingsfamilien und lernte die Arbeit diverser Hilfsorganisationen kennen.

Ein kleines touristisches Programm als Einstieg - das war angesichts der Vielzahl interessanter Sehenswürdigkeiten in Jordanien Pflicht für die Reisegruppe: Auf dem Programm standen Petra, die berühmte Ruinenstätte im heutigen Jordanien, und das Tote Meer. Wegen ihrer monumentalen Grabtempel, deren Fassaden direkt aus dem anstehenden Fels gemeißelt wurden, gilt Petra als einzigartiges Kulturdenkmal und zählt zum UNESCO-Weltkulturerbe.

"Die Reise nach Jordanien war aber alles andere als eine Kulturfahrt", betonte Baumgartner, der sich seit vielen Jahren ehrenamtlich bei der Tun.Starthilfe engagiert und seit zwei Jahren im Zentrum Flucht und Migration (ZFM) der KU tätig ist. "Im Mittelpunkt standen der Austausch mit verschiedenen Ehrenamtlichen im Flüchtlingsbereich, Besuche von Flüchtlingsfamilien und Hospitationen in Vorschulen und Schulen für Flüchtlingskinder."

Al Salt im Nordwesten von Jordanien mit rund 150000 Einwohnern, nicht weit entfernt von der jordanischen Hauptstadt Amman, bildete den Dreh- und Angelpunkt des Besuchs der Eichstätter. Seit fünf bis sechs Jahren schon leben hier, wie in vielen Regionen Jordaniens, Tausende von Flüchtlingsfamilien - aus Syrien, Palästina und dem Irak: "In Jordanien mit seinen gerade einmal 89000 Quadratkilometern und 9,7 Millionen Einwohnern leben mehr als zwei Millionen Flüchtlinge, davon etwa 1,4 Millionen palästinensische und 770000 offiziell registrierte syrische Flüchtlinge", berichtet Baumgartner. Das kleine Land im Nahen Osten, dessen Bevölkerung sich auf Grund des hohen Wüstenanteils und hoher Landflucht sehr stark in Städten konzentriert und dessen Bevölkerungszahl sich von 1950 bis heute explosionsartig um das Zwanzigfache vergrößert hat, ächzt unter dem Druck der vielen Flüchtlinge aus den Nachbarländern: "Die Frage, wie ein so kleines Land wie Jordanien, das umgeben ist von so vielen Krisenherden, es schaffen kann, die Flüchtlingsversorgung zu stemmen, hat uns während des gesamten Aufenthaltes nicht losgelassen", erinnert sich Baumgartner.

Caritas International Jordanien ist eine von vielen Hilfsorganisationen, die schon seit vielen Jahren in der Flüchtlingshilfe aktiv ist. Für die Eichstätter Reisegruppe, die vor Ort mit einer internationalen Gruppe von 26 Teilnehmern die Caritas-Arbeit kennenlernte, war vor allem die Hospitation in der Vorschule für syrische Kinder eindrucksvoll. Ein sorgloser Platz zum Lernen, mit anderen Kindern in einem geschützten Raum spielen und Sicherheit im Alltag - das ist für Flüchtlingskinder oft ein unerreichbarer Traum: "Um vom Krieg betroffenen und oft traumatisierten Kindern eine Zukunftsperspektive zu bieten, legt Caritas in Jordanien den Fokus neben Nothilfemaßnahmen auf Bildungsprojekte für Flüchtlingskinder und Frauen", erklärt Baumgartner. Syrische Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren erhalten mit Hilfe der Caritas Jordanien in sechs Vorschulklassen Unterricht, bekommen eine gesunde Zwischenmahlzeit, lernen Lesen und Rechnen, drücken im Malen und Basteln ihre Gefühle und ihre Kreativität aus. Doch auch junge Mädchen, Frauen und Mütter seien bei der Caritas wichtige Zielgruppen, erläutert Baumgartner: "Sie können Kurse über Gesundheit, Hygiene, Sexualität besuchen, in denen zum Beispiel über Risiken früher Eheschließung und andere, für ihr Alter und ihre Situation essentielle Themen aufgeklärt wird."

Auch die Möglichkeit, Flüchtlingsfamilien zu besuchen, die regelmäßig von der Caritas betreut werden, stand für die Eichstätter Teilnehmer offen: "Viele von ihnen haben dramatische Flucht- und Gewalterfahrungen gemacht und beginnen erst nach langer Zeit, über das Erlebte zu sprechen", so Baumgartner. Ehrenamtliche Mitarbeitende und Sozialarbeiter der Caritas Jordanien seien hier zuverlässig zur Stelle, um den meist in großer Armut lebenden Flüchtlingsfamilien zur Seite zu stehen. In kleinen Zwei- bis Dreizimmerwohnungen lebten nicht selten fünf bis sechs Personen, die Väter arbeiteten oft von früh bis spät für ein geringes Einkommen, die Frauenerwerbsquote sei hingegen sehr niedrig.

Bei den unterschiedlichsten Schicksalen, die die Familien erfahren haben, eint sie jedoch ein und derselbe Wunsch, wie Baumgartner und seine Reisepartner erfahren konnten: "Die große Hoffnung, bald wieder in die Heimat zurückzukehren und der Wunsch, einfach nur ein Leben in Frieden zu führen, sprach aus allen Flüchtlingen, die wir kennengelernt haben", so der Eichstätter. Viele der syrischen Familien hatten gehofft, dass der Krieg nur von kurzer Dauer sei, nun aber sind schon sieben Jahre vergangen, seit sie ihre Heimat verlassen mussten. Während die jüngeren Flüchtlinge versuchten, engen Kontakt nach Hause zu halten, gestalte es sich für die Generation der Vierzig- bis Fünfzigjährigen schwieriger, mit dem Verlust von Heimat fertigzuwerden: "Die Welt pausiert für uns. Wir kommen nicht wirklich an hier in Jordanien; es ist kein richtiges Leben", so formulierte es ein Flüchtlingsehepaar älteren Jahrgangs, die in der steten Hoffnung leben, in der Heimat wieder an ihr altes Leben anknüpfen zu können. Auch andere Begegnungen machten betroffen, wie Baumgartner berichtet, so die Unterhaltung mit einem jungen syrischen Friseur, der seine Freunde im Krieg und auf der Flucht hatte sterben sehen. Auf die Frage, wie er mit dieser traumatischen Erfahrung umgehe, antwortete er: "Arbeiten, arbeiten, arbeiten, sieben Tage die Woche, nur nicht zum Nachdenken kommen."

In der Stadt Mafraq, im Norden Jordaniens nahe der syrischen Grenze, wo sich die Einwohnerzahl durch 60000 Geflohene seit 2011 fast verdreifacht hat, erlebte Baumgartner in einer christlichen Gemeinde für wenige Stunden glückliche Gesichter von Flüchtlingskindern: Im Gepäck hatte der Eichstätter nämlich zwölf VfB-Fußbälle von Thomas Kerscher, Jugendspielbetriebskoordinator des VfB, die er mit den Kindern gleich in einem spannenden Fußballmatch einsetzte.

Was waren die nachhaltigsten Eindrücke der Eichstätter Gruppe? "Jordanien schafft es dank Caritas, verschiedener Hilfsorganisationen und UN-Unterstützung relativ gut, die immense Zahl an Flüchtlingen zu versorgen", konstatiert Baumgartner. Dies könne jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Großteil der Menschen ohne Perspektiven und Arbeit abgeschirmt in Camps leben. Für die Flüchtlinge, die in Deutschland ein neues Leben beginnen, empfindet Baumgartner nach seiner Rückkehr inzwischen Bewunderung und große Wertschätzung: "Es ist mir jetzt erst richtig klar geworden, welche enormen Integrationsleistungen Flüchtlinge hierzulande leisten." Denn die allermeisten von ihnen seien nicht bei uns, weil sie dies wollten, so Baumgartner: "Sie haben ihre Heimat verloren, und Heimat ist singulär."

 

Dagmar Kusche