Identitätsstiftendes Erbe

15.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:37 Uhr
Schwester Maria Magdalena Zunker trat 1987 in das Kloster St. Walburg ein und legte 1993 die Ewige Profess ab. 2002 übernahm sie das Archiv der Abtei, das sie seitdem ordnet und wissenschaftlich aufarbeitet. −Foto: Redl

Die Benediktinerinnenabtei St. Walburg in Eichstätt zählt zu den wenigen Ordensgemeinschaften, die sich bei der Säkularisation nicht vertreiben ließen. Das Kloster verdankt sein Überleben dem Beharren seiner Nonnen seit seiner Gründung im Jahr 1053 bis heute. In der Reihe "Germania Sacra" der Akademie der Wissenschaften in Göttingen ist die Geschichte des Konvents nun auf 864 Seiten beschrieben. Verfasst hat das Werk Schwester Maria Magdalena Zunker.

Hinter Ihnen liegen zwölf Jahre intensiver Beschäftigung mit der Geschichte der Abtei. Sie sind zwar promovierte Archäologin, verstehen also Ihr Handwerk als Wissenschaftlerin, doch der Umgang mit mittelalterlichen und neuzeitlichen Quellen war Ihnen fremd. Wie haben Sie sich eingearbeitet?
Zunker: Nur langsam. Es war ein zäher Prozess. Ich konnte die Quellen ja überhaupt nicht lesen. Natürlich verstehe ich Latein. Aber das Lesen von Handschriften aus mehr als acht Jahrhunderten musste ich mir erst aneignen. Es hat einige Zeit gedauert, bis ich die Quellen lesen und verstehen konnte. Da danke ich Konrad Kögler für seine geduldige Unterstützung.

Wie haben Sie sich dem umfangreichen Material genähert? Liegt das meiste im klostereigenen Archiv und war beziehungsweise ist erschlossen, oder mussten Sie viele auswärtige Archive aufsuchen?
Zunker: Wir haben hier in St. Walburg sehr viel Material, was ja auch unserer ununterbrochenen Existenz zu verdanken ist. Das wenigste davon aber ist systematisch erschlossen. Da galt es viel Ordnungsarbeit zu leisten. Und eine Menge ist noch - kaum bearbeitet - vorhanden. Das werde auch ich in meiner Lebenszeit wohl nicht mehr schaffen.

Dennoch waren Besuche in anderen Archiven notwendig?
Zunker: Ja. Viel Schriftgut der Provenienz St. Walburg liegt im Staatsarchiv in Nürnberg, nachdem es aus dem Hauptstaatsarchiv München dort zusammengeführt wurde. Sie müssen wissen, dass wir zwar selbst noch im Besitz außergewöhnlich vieler Archivalien und Dokumente sind, dass uns aber bei der Säkularisation ein Teil des Archivguts weggenommen wurde und schließlich nach Nürnberg kam.

Dies gilt auch für die Zeit des späten Mittelalters?
Zunker: Die Mitte des 15. Jahrhunderts durch Bischof Johann III. von Eych vorgenommene Reform des Klosters sah man als zweite Gründung des Klosters an. Deshalb wurde nur wirtschaftlich relevantes Schriftgut überliefert, nicht jedoch die Dokumente, welche das geistliche und geistige Leben und die Personengeschichte betreffen. Die Menge ist also begrenzt.

Aber das Kloster ist nach wie vor im Besitz der Gründungsurkunde aus dem Jahr 1035?
Zunker: Die haben unsere Vorgängerinnen nie aus der Hand gegeben. Die ist und bleibt hier in Eichstätt.

Die erste "Chronik" entstand mitten im Dreißigjährigen Krieg. Erstaunlich, wenn man die Umstände damals bedenkt. Marodierende Soldaten in der Stadt und im Kloster, die Schwestern misshandelt, die Kirche teilweise abgebrannt.
Zunker: Für mich ist aus dem Erstehen dieser Chronik der Überlebenswille der Nonnen erkennbar. Während die frühesten Einträge vorrangig Rechenschaftsablegungen über den Vollzug der Liturgie waren, geben die späteren Einträge Hinweise auch auf die Geschehnisse außerhalb der Klostermauern. Die Verfasserinnen waren vermutlich so geschockt über die gewaltsamen Geschehnisse innerhalb und außerhalb des Klosters, dass sie ihre Zurückhaltung aufgegeben haben - wohl auch um die Ereignisse verarbeiten zu können.

Werden die zeitlich nachfolgenden Chroniken ausführlicher, was die Geschehnisse außerhalb des Klosters betrifft?
Zunker: Nicht wesentlich. Das Quellenmaterial aber wird durchwegs, vor allem ab dem 17. Jahrhundert, umfangreicher. Allerdings sind auch die früheren und spärlicheren, vor allem die wirtschaftlichen Belange des Klosters betreffenden Schriftstücke im Hinblick auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Zeit nicht zu unterschätzen. So lassen Rechnungen oder Ausgaben für Einkäufe beispielsweise für Fleisch oder Wein Schlüsse auf die Lebensweise der damaligen Zeit zu. Immerhin sind in diesen Akten auch die Beziehungen des Klosters nach außen zu Händlern, Handwerkern, Bauern, Fischern sichtbar. Und aus den Nachlassverzeichnissen, angefertigt vom Klosterrichter nach dem Tod eines Klosteruntertanen, sind Rückschlüsse auf die oft erbärmlichen Lebensverhältnisse der Menschen damals möglich.

Zurück zu den Schwestern: Sie haben am Ende Ihres Bandes ein umfangreiches Personenregister angefügt. Wie nahe sind Sie den Menschen gekommen?
Zunker: Teilweise recht nahe. Durch Taufscheine, Totenroteln und den Angaben im Personalregister ist ab dem 17. Jahrhundert die Erstellung von Biogrammen der Nonnen möglich. Darin enthalten sind zuweilen auch Berufungsgeschichten. Aus denen wird deutlich, dass das Kloster nicht, wie immer behauptet, eine "Verwahranstalt" für den niederen Adel war, oder dass arme, kinderreiche Familien mit dem Eintritt eines ihrer Mitglieder einen Esser weniger zu versorgen hatten. In vielen Fällen war die individuelle Berufung, nach der Benediktsregel zu leben, die einzige Motivation für den Eintritt in das Kloster.

Was war für Sie besonders beeindruckend bei Ihrer Arbeit an der Historie des Klosters?
Zunker: Die Beschäftigung mit Primärquellen ist immer faszinierend. Wenn man sich mit den Handschriften unterschiedlichster Persönlichkeiten auseinandersetzt, mit deren Denken und Handeln, kommt man dieser Person näher. Es erschließen sich dann Lebenswelten. Wenn beispielsweise Äbtissin Cordula Lüzerin einem Soldaten, der 1704 zur Bewachung des im Spanischen Erbfolgekriegs zerstörten Guts Gempfing eingesetzt wird, zu seinem Sold noch "zwei hemeter" und "4 schnupfdicher" überreicht, dann sieht man darin das Bestreben der Äbtissin, sich dankbar zu erweisen. Oder auch die Sterbens- und Leidensgeschichten einfacher Nonnen. Welche Qualen die ohne Schmerzmittel aushalten mussten, das ist schon bedrückend. Geradezu faszinierend ist für mich der Namensindex aller Personen am Ende des Werks. Die Auflistung ist wie eine Art Totentanz. Da wird niemand hervorgehoben, da steht der Kaiser neben dem einfachen Bauern aus Wasserzell, eine Äbtissin neben einem Tagelöhner, ein Klosterdiener neben einem Papst.

Was nehmen Sie aus dieser umfangreichen Arbeit für Ihr eigenes Klosterleben mit?
Zunker: Es sind die Berufungsgeschichten, die mir nahegegangen sind. Es ist der unbändige Durchhaltewillen, den die Schwestern von der Gründung bis zur Reform, vom Schwedenkrieg bis zur Säkularisation bewiesen haben. Das geht ohne Berufung nicht. Und es ist die Treue zur Regel des heiligen Benedikt, die Treue zum täglichen Chorgebet, die dieses Durchhalten in wirklich schweren Zeiten erst ermöglicht hat. Die benediktinischen "Vorfahren" am Grab der heiligen Walburga sind für mich und sicherlich auch für meine Mitschwestern Vorbild und Motivation, unsere Berufung zu leben. Dieses Erbe ist identitätsstiftend für die jetzigen und die künftigen Schwestern und muss bewahrt werden.

Das Gespräch führte Hermann Redl

 Ununterbrochene Hüterinnen des Grabes der heiligen Walburga„Die Abtei St. Walburg gehört nicht unbedingt zu den herausragenden der im Mittelalter gegründeten Benediktinerinnenabteien Süddeutschlands“, schreibt Autorin Maria Madalena Zunker im Vorwort. „Besitzausstattung und soziale Stellung waren und blieben eher bescheiden. Im politischen Bereich spielte das Kloster nie eine bedeutende Rolle. Auch mit namhaften literarischen und künstlerischen Werken haben sich die St. Walburger Nonnen nicht hervorgetan.“ Die Bedeutung der Abtei liege vielmehr darin begründet, dass seit der  Gründung am 24. Juli 1035 durch Graf Leodegar von Graisbach-Lechsgemünd bis heute – also seit  fast 1000  Jahren – ununterbrochen Benediktinerinnen in St. Walburg leben. 

Weder bei der Säkularisation im Jahre 1806 noch in der fast drei Jahrzehnte dauernden Aufhebung der Abtei ließen sich die Nonnen vertreiben. Bei der Wiedererrichtung des Klosters durch König Ludwig I. von Bayern im Jahre 1835 lebten noch 13 Schwestern in St. Walburg, heute sind es 29. Der steten Präsenz der Benediktinerinnen sei es auch zu verdanken, dass ein Großteil der Kunstschätze und der Inneneinrichtung, des historischen Buchbestands und nicht zuletzt die Archivalien vor Ort erhalten blieben, so Zunker. 
 Eine weitere  Besonderheit der Abtei ist dem Buch zufolge die von ihr wahrgenommene Aufgabe als Hüterin des Grabes der heiligen Walburga. Das Kloster am Grab der Heiligen war und ist Wallfahrtsstätte. „Durch alle Jahrhunderte blieb der Walburgakult ein prägendes Element der Klostergeschichte und nahm eine zentrale Stellung im Leben der Eichstätter Benediktinerinnen ein“, so die Verfasserin.
Der Germania-Sacra-Band „Die Benediktinerinnenabtei St. Walburg in Eichstätt“ ist ein Handbuch, das vor allem Kirchenhistoriker, aber auch Heimatforscher ansprechen dürfte.

Die Benediktinerinnenabtei St. Walburg in Eichstätt. Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz. Das Bistum Eichstätt 2, De Gruyter Akademie Forschung, 2018, 864 Seiten, ISBN-10: 3110596407, Preis: 169,96 Euro.