Hilpoltstein
"Ich bin froh, wenn es abgerissen wird"

07.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:59 Uhr

Berühmter Motor: Klaus Elsbett (links) und Jens Krawzinski im Jahr 2006 mit dem von Erfinder Ludwig Elsbett entwickelten Dreizylinder Diesel mit Direkteinspritzung. ‹ŒArch - foto: R. Münch

Diesel-Pionier Günter Elsbett blickt mit Wehmut auf die heruntergekommene
Hilpoltsteiner Hightech-Schmiede: Der Rundbau in der Industriestraße soll abgerissen werden. Ein Supermarkt wird entstehen, wo einst der erste moderne Pkw-Diesel erfunden wurde.

Hilpoltstein (HK) In dem legendären Rundbau in der Hilpoltsteiner Industriestraße wurde der weltweit erste Dieselmotor für Kleinwagen erfunden und gebaut, bis die Firma Elsbett in Turbulenzen geriet. Jetzt soll hier ein Einkaufszentrum entstehen. Ex-Chef Günter Elsbett blickt auf die Geschichte seiner Firma und des Rundbaus zurück.

"Grauenhaft, grauenhaft", sagt Günter Elsbett beim Anblick der Ruine. Die Scheiben sind eingeschlagen, auf dem Boden rollen leere Flaschen, die Wände sind voller Graffiti, auf dem blanken Beton liegt eine herausgerissene Tür, von der Decke bröselt der Putz. Aus dem Dach wachsen junge Birken. "Grauenhaft", sagt Elsbett wieder. Seit zehn Jahren war er nicht mehr hier. Er steht vor den Resten einer der vielen demolierten Motorenprüfstände, der Wind bläst durch die fensterlosen Scheiben, vom ehemaligen Messgerät ist nur noch ein verbeulter Metallrahmen übrig. "Das habe ich alles selbst konstruiert und gebaut. Ich kenne hier jede Schraube."

Der 76-jährige Ingenieur und Erfinder lebt heute mit seiner Frau Ulrike in einer Penthouse-Wohnung am Hilpoltsteiner Bahnhof. Eine schöne Wohnung. Doch wenn Elsbett von der Terrasse aus auf den Altstadtring blickt, wird er immer wieder an die Vergangenheit erinnert. Denn von hier aus sieht man das alte Firmengelände. "Das waren einmal schöne Gebäude", sagt er. Aber seit 20 Jahren verkommen sie."

Für Günter Elsbett jedes Mal ein trauriger Anblick. Er hat die Statik für den Rundbau selbst berechnet. Bei einem Rundgang erklärt er die immer noch hochmoderne Architektur. Im Inneren liegen die Büros, darum herum gruppieren sich Produktion und Montage. Dahinter liegen damals die Motorenprüfstände und das hauseigene Kraftwerk. Jetzt baumeln hier abgeschnittene Kabel von der Decke, auf dem Boden liegen Glasscherben. Schlanke Leimbinder tragen das nach innen gewölbte Dach mit 40 Metern Durchmesser. Eine Rampe führt nach oben. Hier fahren in den 1970er Jahren die Autos mit den berühmten Elsbett-Motoren im Kreis. "Mehr ein Showeffekt für Fernsehen und Presse", sagt Günter Elsbett und schmunzelt.

Wirklich getestet wird auf der Straße. Vor allem der berühmte Dreizylinder-Turbodiesel mit Direkteinspritzung und 90 PS bei einem Verbrauch von rund vier Litern. Damals eine Revolution. "Damit haben wir alle Spar-Rallyes gewonnen", erzählt Elsbett stolz. Damals, 1970, gibt es solche Dieselmotoren nur für Lastwagen. Die Experten winken ab. "Der Elsbett spinnt ja, haben sie gesagt. Aber wir haben nachgewiesen, dass es geht", sagt Elsbett. "Und wir haben alles selbst konstruiert und hergestellt: Kolben, Nockenwellen, Zylinderkopf."

Elsbett fräst die ersten Kolben aus Stahl, mit einer Kugelkammer in der Mitte, in der das Luft-Dieselgemisch verwirbelt wird. Ein Prinzip, das Ludwig Elsbett, Günters Vater, für MAN in Nürnberg entwickelt hatte. Mit dem Geld für die Lizenzen kauft er 1964 das Grundstück für die eigene Firma in Hilpoltstein. "Das war reiner Zufall." Denn in der Industriestraße steht gerade ein Betrieb für Holzspielzeug und Weihnachtsschmuck zum Verkauf. Die Elsbetts ziehen gleich mit ein und werden in Hilpoltstein heimisch.

Der erste Pkw-Diesel mit Direkteinspritzung löst einen Boom in der kleinen Denkfabrik aus. Die Industrie interessiert sich für diese Technologie, nicht zuletzt aufgrund der Energiekrise 1973, die Deutschland autofreie Sonntage beschert. Der spätere VW-Chef Ferdinand Piëch kommt immer wieder nach Hilpoltstein. Damals ist er noch Hauptabteilungsleiter für Sonderaufgaben in der technischen Entwicklung bei Audi in Ingolstadt. "Er hat oft direkt mit uns verhandelt", erinnert sich Elsbett. Er selbst geht für ein Jahr zu Audi nach Heilbronn, um dort einen TDI-Motor zu konstruieren und zu entwickeln. "Der so genannte TDI stammt zu 100 Prozent von Elsbett", sagt Elsbett. Mit einem kleinen Nachsatz: "Nur mit der Schummelsoftware habe ich nix zu tun." Bis der Dieselskandal auffliegt, ist der TDI eine einzige Erfolgsgeschichte für Volkswagen.

Volkswagen baut zu dieser Zeit noch Modelle mit Heckmotoren - in alter Käfer-Tradition. Erst 1974 kommt der erste Golf auf den Markt. Sechs Millionen Mark zahlt Volkswagen am Ende für eine Lizenz von Elsbett. Die Firma in Hilpoltstein boomt, zu den Hochzeiten sind bis zu 90 Mitarbeiter engagiert. Günter Elsbett stellt die Konstruktion auf CAD-Technik um, zu einer Zeit, als es kaum Computer gibt. Friedl Salbaum, der Chef der Fertigung, fräst mit modernsten CNC-Maschinen jedes noch so komplizierte Teil, das Ludwig und Günter Elsbett entwickeln. "Alles, was ich konstruiert habe, hat er fantastisch umgesetzt und verbessert", schwärmt Günter Elsbett. Es entstehen viele Prototypen, das verlangen die Kunden aus der Autoindustrie. "Wir haben nichts produziert, nur Lizenzen verkauft", sagt Günter Elsbett. Über 400 Patente meldet die Firma an.

Seniorchef Ludwig Elsbett ist auch der erste, der mit Pflanzenöl als Treibstoff experimentiert. Denn die Dieselmotoren lassen sich leicht umrüsten. Und weil der natürliche Treibstoff beim Wachsen Kohlendioxid benötigt, entsteht kein zusätzliches Treibhausgas.

Elsbett will die Technik an die Natur anpassen, nicht umgekehrt. In einem umgebauten Mercedes 180 fahren Ulrike und Günter mit einem Elsbett-Pflanzenölmotor durch die Welt. Dank des 100-Liter-Zusatztanks unter der Motorhaube geht es im Urlaub in die Bretagne und zurück - ohne zu tanken. Der französische Bauer, bei dem sie wohnen, staunt, als er den Namen Elsbett auf dem Auto liest und holt eine Fachzeitschrift für Landwirte hervor. Die Überschrift: Der Motor frisst alles. "Was ist der toll gefahren", schwärmt Ulrike Elsbett noch heute. Kürzlich hat sie ihren Golf verschrotten lassen, einer der letzten mit einem Elsbett-Motor. Im Deutschen Museum München steht noch ein Exemplar.

In den 1990er Jahren gerät die Firma in finanzielle Turbulenzen. "Wir haben uns auf Geschäfte mit einer südamerikanischen Bank eingelassen", erzählt Günther Elsbett. Die fordert einen Kredit über 20 Millionen Mark zurück. Elsbett muss die Firma 1993 verkaufen. "Es lag nicht an der Technik, sondern an unserer geschäftlichen Dummheit", sagt er. Ein Weißenburger Unternehmer steigt ein, meldet zwei Jahre später aber Konkurs an. Seither steht der Rundbau leer. Nur Ulrike und Günter Elsbett wohnen noch zehn Jahre lang auf dem verfallenden Gelände - zur Miete. "Ich habe gehofft, ich kann das halten und vielleicht irgendwann zurückkaufen", sagt Elsbett heute. Es bleibt ein Traum.

Günter Elsbett hat mit diesem Kapitel abgeschlossen. Er arbeitet ein Drittel des Jahres in China, wo er als Professor einen Lehrstuhl an der Jiangsu-University hat und einige chinesische Firmen berät. Dort sei man an seinem Know-how interessiert. "Ich bringe ihnen bei, wie sie Euro 6 schaffen." Hoffentlich erfolgreich. "Denn wenn die Chinesen alle unsere Fehler machen, dann gnade uns Gott", prophezeit Elsbett eine ökologische Katastrophe.

Die will er unbedingt vermeiden. "Ich brenne nach wie vor für die Sache", sagt er. Auch wenn es vor über 20 Jahren schief ging mit der eigenen Firma und einer revolutionären Technik, deren Prinzipien heute in fast jedem Auto zu finden sind. Zumindest der schmerzende Blick auf den Rundbau ist bald Geschichte. Im Frühjahr soll die Ruine abgerissen werden und Platz für einen Supermarkt machen.