Eichstätt
Enzyklopädie mit komplizierter Überlieferung

Zu Konrad Vollmanns posthumer Edition der lateinischen Natur-Enzyklopädie des Thomas von Cantimpré

17.01.2019 | Stand 02.12.2020, 14:49 Uhr
  −Foto: Buckl

Eichstätt (buk) Die einzelnen Glieder des Menschen, der Kosmos der Planeten und Gestirne, die Welt der Vierfüßer, der Fische, Vögel und des Gewürms, die Vielfalt der Sträucher, Bäume und Pflanzen oder jene der Edelsteine: Sie alle werden in eigenen Kapiteln behandelt im spätmittelalterlichen "Buch von den natürlichen Dingen" des Konrad von Megenberg (1309-1374).



Lange Zeit war unbekannt, welche exakte lateinische Quelle er als Vorlage für seine deutsche Übersetzung der Natur-Enzyklopädie benutzte. Aufklärung schafft nun eine Textedition dieser lateinischen Quelle, die seit vielen Jahren an der Katholischen Universität Eichstätt erarbeitet worden ist: Es geht um eine spezielle Redaktion des lateinischen "Liber de naturis rerum" des Thomas von Cantimpré, die Redaktionsstufe "Thomas III".

Konrad von Megenberg, ein Geistlicher und Kleriker aus dem Raum der Diözese Eichstätt, gebürtig aus Mäbenberg im heutigen Landkreis Roth, wie auch der um ein Jahrhundert ältere belgische Augustinerchorherr und spätere Dominikaner Thomas von Cantimpré (um 1201 bis um 1270), der seine lateinische Naturenzyklopädie im 13. Jahrhundert verfasste, gehörten viele Jahre lang zu den Forschungsschwerpunkten der Fächer Altgermanistik und Mittellatein an der Katholischen Universität Eichstätt. Hier wurden beide Autoren ab 1985 beziehungsweise 1989 im Rahmen des Sonderforschungsbereichs (SFB) 226 über "Wissensvermittlung im Mittelalter" intensiv erforscht, Thomas durch den Eichstätter Mittellateiner Benedikt Konrad Vollmann und sein Team. Der Eichstätter Forscher kann die Edition, als deren Herausgeber er firmiert, nun leider nicht mehr erleben, er starb nach kurzem schweren Leiden überraschend bereits am 25. Oktober 2012.

Mit seiner Edition haben sich Vollmann und sei Team, unter anderem Angelika Strauß und Helgard Ulmschneider, später Janine Déus und Rudolf Weigand, der von Vollmann 2012 die Leitung übernahm, große Meriten erworben. Das Verhältnis des Thomas von Cantimpré und Konrads von Megenberg und ihrer Enyzklopädien ist nämlich nicht leicht zu verstehen: Die Überlieferung der lateinischen Enzyklopädie des Thomas ist äußerst kompliziert, denn diese wurde mehrfach bearbeitet tradiert. Konrad von Megenberg wählte als Vorlage für sein deutsches Werk zudem verschiedene Handschriften aus der von einem späteren Anonymus angelegten Redaktionsstufe "Thomas III", welche Vollmann und seine Mitarbeiter zwischen 1989 und 2011 erschlossen und ausarbeiteten. Dabei ging es um die Erstellung eines "kritischen Textes" dieser Stufe, herausgefiltert auf der Basis der Kollation, also des Wort-für-Wort-Vergleichs zahlreicher mittelalterlicher Handschriften.

In einem Einführungskapitel informiert Vollmanns frühere Mitarbeiterin Helgard Ulmschneider detailliert über die handschriftliche Überlieferung der Redaktionsstufe "Thomas III", die sich ihrerseits in verschiedene Zweige auffächert; dann geht es darum, die Hauptquelle für Konrad von Megenberg aufzuspüren. Ergänzend teilt sie viele Details über die geographische Distribution der Handschriften, über deren Schreiber, Auftraggeber und Leser mit. Zu den überraschenden Ergebnissen der Studie gehört, dass vieles, was bislang als Eigenleistung des Konrad von Megenberg galt, sich nun als vorlagenbedingt und Übersetzung des Thomas-Werkes erweist, denn es stand schon in manchen der bislang unbekannten konkreten Quellenhandschriften, derer er sich bediente.

Sowohl die lateinische wie die deutsche Enzyklopädie sind, wie Vollmann noch in einem Beitrag zu Lebzeiten ausführte, ein Zeugnis für das sich im Spätmittelalter regende "lebhafte Bedürfnis nach Weltwissen, das aus antiken, aber auch aus zeitgenössischen Quellen gestillt wird". Vollmann führt damals aus, warum es sich lohnt, sich heute noch mit dem Werk von Thomas und Konrad zu beschäftigen: Deren Ansichten über die Natur, etwa die Sicht der Taube (als Friedenssymbol) oder über den Vogel Strauß, über Pelikan und Pfau, über Elefant oder die Symbolik der Blumen, leben bis heute fort.

Thomas von Cantimpré: "Liber de naturis rerum". Band I: Kritische Ausgabe der Redaktion III (Thomas III) eines Anonymus, herausgegeben von Benedikt Konrad Vollmann (+), ergänzt und für den Druck eingerichtet von Janine Déus und Rudolf Weigand. Dr. Ludwig Reichert Verlag Wiesbaden 2018, 688 Seiten, zum Preis von 110 Euro.