Eichstätt
Endlich Namen für die klassischen Köpfe

Jetzt ist bekannt, wen die Gipsbüsten auf dem Hof des Schulzentrums Schottenau darstellen

16.04.2020 | Stand 23.09.2023, 11:38 Uhr
Vier der fünf Köpfe haben jetzt einen Namen. Mit Hilfe der Eichstätter Archäologieprofessorin Nadin Burkhardt lassen sie sich (von links) als Cicero, Homer, Sokrates und die Dichterin Korinna identifizieren. Rechts außen ein namentlich unbekannter Feldherr. −Foto: Graf

Eichstätt - Wer gelegentlich über die Pausenhofanlage des Schulzentrums Schottenau flaniert (respektive hetzt) oder Schüler im alten Willibald-Gymnasium im Ulmer Hof war, der kennt sie: Die fünf weißen Köpfe, die seit vergangenem Jahr vor dem Musiktrakt stehen. Mit Hilfe der Eichstätter Archäologieprofessorin Nadin Burkhardt ist es jetzt gelungen, die Köpfe zu identifizieren.

 

Dass eine ehemals humanistische Schule wie das Willibald-Gymnasium Figuren besitzt, die auf die römische und griechische Antike verweisen, ist wenig verwunderlich. Aber die Geschichte der Gipsköpfe ist durchaus bemerkenswert. Im 17. Jahrhundert wurden derartige Abgüsse von antiken Figuren in erster Linie für die Zeichensäle von Kunstakademien hergestellt. Auch wenn es sich dabei um Kopien handelte, wurden diese nicht zwingend als minderwertig eingeschätzt, weil die Oberflächen der Figuren aufgrund ihrer hellen weißen Farbe gut zu studieren waren und sie keine störenden Spiegelreflexe absonderten, wie es bei den Originalen aus Marmor der Fall war. Im Laufe des 19. Jahrhunderts etablierte sich der Besitz von antiken Figuren in Kopieform auch in den Unterrichtsräumen von Gymnasien.

Wann die Figuren für das Willibald-Gymnasium hergestellt wurden, ist nicht mehr zweifelsfrei zu klären. Fest steht aber laut einem alten Jahresbericht, dass der Korridor im ersten Stock des alten Gymnasiums im Schuljahr 1921/22 ausgestattet wurde: "Belebung der vorher ganz öden Gänge der Anstalt mit Gipsbüsten von Göttern und großen Männern des Altertums." Im Zusammenhang mit der Aufstellung wird aber darauf hingewiesen, dass die Figuren zu diesem Zeitpunkt schon vorhanden waren. Auch die damalige Position der Figuren ist noch nachzuvollziehen: Es existieren Fotos, auf denen zahlreiche im Abstand von etwa drei Metern aufgestellte Büsten den Gang zieren. Dort hingen sie auch bis zur Schulverlagerung Ende der 70er-Jahre, als das Willibald-Gymnasium in die Schottenau zog.

Ab hier teilt sich nun das Schicksal der Figuren: Einige wurden im Schulkeller zwischengelagert, einige auf einer Dachterrasse aufgestellt, einige gingen verloren. Der berühmte Zeus lagert im Haus eines Lehrers.

Im vergangenen Jahr haben fünf Figuren eine Art Auferstehung erfahren: Auf Initiative von Schulleiter Claus Schredl und Ralf Fährmann vom Landratsamt Eichstätt wurden sie vor dem Musiktrakt wieder aufgestellt und grüßen dort jeden, der das Schulzentrum von östlicher Seite her betritt.

Die Identifizierung war immer schwierig, ist aber jetzt mit Hilfe der Eichstätter Archäologieprofessorin Nadin Burkhardt, die seit 2017 an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt forscht und lehrt, wieder möglich geworden. "Durch Vergleiche mit Skulpturen und Abgüssen in Museen und Sammlungen ist es in der Regel möglich, den Dargestellten und das zugrundeliegende Original zu bestimmen und damit die Figuren zu identifizieren", sagt Burkhardt. Demnach ergibt sich folgende Personenkonstellation: Ganz links Cicero, rechts davon Homer, Sokrates, Korinna (eine antike griechische Dichterin) und ein namentlich unbekannter Feldherr.

Im Einzelnen lässt sich laut Burkhardt zu den Figuren Folgendes sagen: Die Büste von Cicero ist wahrscheinlich nach einem Original gestaltet, das sich heute im Museo Chiaramonti in den Vatikanischen Museen befindet. Ein Tipp für alle, die sie suchen: Man findet sie dort oder in archäologischen Bilddatenbanken unter der Inventarnummer 1359.

 

Die Homer-Büste ist eine römisch-kaiserzeitliche Kopie nach einem hellenistischen Original. Das Vorbild des Eichstätter Kopfes steht im Archäologischen Museum in Neapel, Inventarnummer 6023. Sie zeigt Homer als blinden Greis, mit tief in den Höhlen liegenden, blicklosen Augen. Homer im Blindentypus wird oft in Schulbüchern und auf Webseiten zur Antike abgebildet.

Auch Sokrates' Original stammt wohl aus Italien, und zwar aus der Sala dei Filosofi in den Kapitolinischen Museen in Rom. Der Gipskopf ist einer römischen Kopie nachempfunden, deren Original vom Ende des 4. Jahrhunderts vor Christus stammt und damit dem frühhellenistischen Zeitalter zuzuordnen ist.

Korinna war eine griechische Lyrikerin und lebte wohl um 200 vor Christus. Die Lebenszeiten der Dichterin sind umstritten, aber sie ist wie die griechische Dichterin Sappho sehr bekannt. Ein spätklassisches attisches Bronzeporträt ist nur schriftlich überliefert. In der Portikus Pompei in Rom wurde ein Bildnis gefunden, das ihr über den Vergleich mit einer beschrifteten Statuette zugeordnet wird, mit starker Angleichung an Musendarstellungen. Der Kopf vor der Schule wurde wohl nach demjenigen kopiert, der sich in der Galeria dei Candelabri in den Vatikanischen Museen befindet.

Die Büste rechts außen stellt einen unbekannten Feldherrn dar; er galt lange als Solon. Dass es sich um einen Feldherrn handelt, erkennt man am Schwertgurt der Büste. Der Standort des Originals ist unbekannt. Es ist möglich, dass der Kopf vor der Schule nach einem Abguss in der Abgusssammlung Mannheim gebildet ist. Das Original muss dem Stil nach späthellenistisch sein und kann etwa auf 100 vor Christus datiert werden.

Doch auch wenn die fünf Persönlichkeiten jetzt einen Namen haben, werden sie derzeit von niemandem begrüßt. Schaut man in ihre Gesichter, könnte man fast meinen, dass sie sich schon auf die Rückkehr der Schülermassen freuen.

EK

 

Andreas Graf