Eichstätt
Eine Art Eigentherapie

Norman Kevin Kwoba Munyendo hat sich das Fotografieren autodidaktisch beigebracht

07.08.2020 | Stand 23.09.2023, 13:24 Uhr
  −Foto: Hecker

Eichstätt - In knapp zwei Metern Entfernung kniet ein Mann vor einer jungen Frau, hat sie fest ins Visier genommen.

Konzentriert fokussiert er sie, ein Auge zugekniffen - dann drückt er ab. Volltreffer, er lächelt zufrieden. Auf dem Bildschirm seiner Kamera erscheint das Miniaturmotiv, das er gerade fotografiert hat. Norman Kevin Kwoba Munyendo steht am Parkplatz der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, es ist die erste Station seines heutigen Fotoshootings.

Nürnberg, Stuttgart, Berlin, Regensburg, Munyendo hat schon in vielen Städten gelebt, gerade hat es ihn nach Eichstätt verschlagen, wegen der Verwandtschaft. So bunt die Ortswahl des gebürtigen Kenianers ist, so bunt auch sein Lebenslauf. Ob er eine Ausbildung zum Fotografen gemacht habe? Nein, sagt er lächelnd, er sei ein Autodidakt. Wenn man Munyendo bei der Arbeit beobachtet, verwundert es jedoch wenig, warum es bei ihm geklappt hat, warum er "self-made" ein erfolgreicher Fotograf wurde.

Bevor er seine Welt durch die Linse der Kamera sah, machte er in Nürnberg eine Ausbildung zum Metallgürtler, eine Mischung aus Schlosser und Goldschmied, wie er selbst sagt. Mit den Händen Kunst zu erschaffen, das ist ihm auch damals schon wichtig. Das filigrane Handwerk gefällt ihm, füllt den ruhelosen Geist jedoch nicht aus. Von seinem ersten Gehalt kauft er sich schließlich eine Kamera.

Seitdem hat sich sein Blick auf seine Umwelt verändert. "Wenn ich durch die Stadt gehe, halte ich Ausschau nach passenden Locations, konzentriere mich auf Linien und Formen, die ich mit dem menschlichen Körper in Kontrast setzen kann", sagt Munyendo. Am liebsten spielt er mit Tiefe, mit Kanten und Ecken, "ich will den Charakter zeigen". Noch während seiner Ausbildung begann er in Richtung Street- Art zu fotografieren. Wie ziehen sich Menschen an, wenn sie das Haus verlassen? Und warum gehen sie genau so vor die Haustüre? Diese Fragen standen im Zentrum seiner ersten Fotoprojekte.

Mehr und mehr konzentriert sich der 28-Jährige auf kommerzielle Fotografie, eines Tages wird er von Agenturen entdeckt. "Sie sahen in meinen Projekten ein Konzept, das ich selbst zu diesem Zeitpunkt noch nicht entdeckt hatte", sagt er heute. Plötzlich wird aus dem Hobby Beruf, Munyendo wird von Designern gebucht. 2012 spezialisiert er sich auf die Fashion-Fotografie und fährt zum ersten Mal zur Mercedes-Benz Fashion Week nach Berlin. "Auf dem roten Teppich war ich erst ein Niemand, aber wenn man zum neunten Mal in Folge anreist, wird man irgendwann wahrgenommen. "

Wahrgenommen wird Munyendo spätestens, seit er vor einem Jahr seine aktuelle Homepage freigeschaltet hat, erhält der Fotograf zahlreiche Buchungsanfragen. "Die Shootings nutzen die Models für ihre Mappen und ich, um meine Homepage zu erweitern", sagt er. So, wie es auch bei der 17-jährigen Gabriela Allgäuer der Fall ist, die extra aus Regensburg angereist ist, um bei Munyendo vor der Linse zu stehen. Um ihre starke Seite zu betonen, macht der Fotograf Bilder von unten. "Meine Fotos sind auch feministisch, weil ich die Models nicht weich oder verspielt zeige, sondern als kraftvolle Frauen, die emanzipiert sind. "

Seine eigene Stärke, beruflich und charakterlich, habe er ebenfalls durch die Fotografie entdeckt. Sie habe ihm jedes Mal dabei geholfen, wenn er in einer Stadt neu angefangen habe. "Es funktioniert wie eine Eigentherapie. Meine Persönlichkeit spiegelt sich in meinen Bildern wieder", sagt Munyendo. Ob er es schwer hatte, seit er 2003 nach Deutschland kam? Manchmal ja, Rassismus habe er indirekt erlebt, in Eichstätt sei dies kein Problem, in größeren Städten schon. "Man muss sich anpassen", sagt der Fotograf und lächelt geheimnisvoll.

Nicht nur von den Menschen in Eichstätt hat Munyendo in der kurzen Zeit einen positiven Eindruck gewonnen, auch die Fotografie in einer Kleinstadt ist ganz anders als gedacht. "Hier habe ich wesentlich mehr Freiheiten, mit dem Model kann ich mich ohne Bedenken durch die Stadt bewegen. " Damit spielt der Fotograf auf überfüllte Plätze in Großstädten an, an denen oft die Ruhe fehlt. Auch werde dort viel öfter nach Genehmigungen gefragt oder misstrauisch beäugt, wenn er seine Kamera auspackt. Der Kontrast zu diesen Erlebnissen wird am zweiten Ort des heutigen Shootings deutlich. Am Schulzentrum Schottenau hat Munyendo ein Treppengitter und einen gelben Hintergrund entdeckt, die ihn zu Motiven inspirierten. "Schulgelände sind in Großstädten oft abgesperrt, aber hier ist man viel weniger misstrauisch. Ich störe ja niemanden während meiner Arbeit, also haben die meisten kein Problem, wenn ich komme, um Fotos zu machen. "

Seit März ist die Fotografie offiziell sein Haupterwerb, doch Norman Kevin Kwoba Munyendo träumt groß. Allein die Fotografie soll es in Zukunft nicht bleiben. Am liebsten wäre ihm ein "place to be", der sich wie ein Wohnzimmer anfühlt. Ein Ort, wo sich Kunden fotografieren lassen können, aber auch gemütlich an einer Bar sitzen, während im Hintergrund ein Musiker Jazz auf dem Piano spielt. "Ich wünsche mir einen Wohlfühlort, wo Menschen gerne zusammenkommen und ihre Zeit genießen. Die Fotografie zeigt die Schönheit der Menschen, aber erst das Miteinander macht sie zu einem greifbaren Erlebnis. Kein toter Ausstellungsraum, sondern Teil der Fotografien zu sein. "

EK

Anna Hecker