Eichstätt
Weibliche Kleidung für Vogelscheuchen

Im Ersten Weltkrieg: gefangene französische Soldaten und italienische Zivilisten in Eichstätt

02.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:48 Uhr

Vor 100 Jahren: Französische Kriegsgefangene vor ihrer Unterkunft in der Willibaldsburg. Reproduktion: je

Eichstätt (EK) Bei allem tödlichen Ernst des Krieges brachte er doch manch Kurioses mit sich. So lautete vor 100 Jahren eine Anweisung an die Landwirte: „Den Vogelscheuchen darf nur weibliche Kleidung angezogen werden.“

Der Grund war, dass so mancher geflohene Kriegsgefangene diese in den Feldern aufgestellten Scheuchen als „Kleiderladen“ missbraucht hat. Unterbringung, Verpflegung und Beschäftigung von gefangenen feindlichen Soldaten war vor 100 Jahren ein heikles Thema.

Aber auch große Gruppen von Zivilisten fremder Nationen waren in Eichstätt unterwegs und beschäftigten den Magistrat (Stadtrat) sowie die Bevölkerung. Dies erinnert an die Flüchtlingsströme nach dem Zweiten Weltkrieg und an die heutige Zeit mit dem Zuzug von Asylbewerbern. Schon im August 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, wandte sich Bürgermeister Eduard Mager an die Eichstätter: „In allernächster Zeit werden etwa 100 Italiener, deren Heimfahrt infolge des Krieges abgeschnitten ist, hierher kommen. Wollen wir sie als Söhne eines verbündeten Volkes freundlich behandeln.“

ANNO DAZUMAL

Im Stadtarchiv wird ein Brief des Bürgermeisters an das Innenministerium in München verwahrt, in dem Mager erklärt: „Für eine vorübergehende Unterkunft der Italiener ist gesorgt.“ Er fügte aber hinzu, ein längeres Verweilen wäre ein Unglück für die Stadt, deren Lebensmittel nur knapp drei bis vier Wochen reichen. Sie als Erntehelfer unterzubringen sei schwierig, da noch ältere polnische Feldarbeiter in Verwendung stünden. Zum Schluss bat er, der Stadt die Verpflegungskosten für die Italiener zu erstatten.

Mitte August 1914 ging ein Schreiben der Regierung mit dem Vermerk „vertraulich“ an den Bürgermeister ein. Darin wurde angekündigt, dass aus der Stadt Straßburg im Elsass ein Teil der Einwohner evakuiert und in Bayern verteilt werden soll. Es liege kein Grund zur Beunruhigung vor und der einheimischen Bevölkerung solle davon nichts bekannt werden.

In der Regierungsanweisung wurde bestimmt, dass die Straßburger am sogenannten Hauptbahnhof bei Wasserzell den Zug verlassen, 200 Personen zur Willibaldsburg, weitere 200 in das Arbeitshaus Rebdorf gebracht werden sollen. Sobald der Zeitpunkt genannt würde, müsse die Stadt sechs bis acht Leute und das Arbeitshaus zehn Aufseher zum Bahnhof zur Übernahme schicken. Räume und Betten seien vorzuhalten. Extra ist vermerkt: „Familienangehörige dürfen nicht getrennt werden.“ Diese Anordnung wurde ohne Nennung von Gründen später aufgehoben. Über eine tatsächliche Einweisung von Elsässern findet sich nirgends eine Nachricht.

Im Mittelpunkt einer Information des Innenministeriums an die Bezirke (Landkreise) und Städte vom 15. Oktober 1914 standen die russischen landwirtschaftlichen Saisonarbeiter und -arbeiterinnen. Aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen könnten sie nach den Ernte- und Feldarbeiten nicht heimbefördert werden und müssten den Winter über im Land bleiben. Dies auch deshalb, da Deutsche in Russland festgehalten seien. Die Russen seien zwischen 17 und 45 Jahre alt und könnten auf ihren Arbeitsstellen weiter beschäftigt werden. „Da einheimische Knechte zu den Fahnen gerufen sind, wird sich für die Russen schon eine Arbeit finden lassen“, heißt es wörtlich. Ihnen musste ein bescheidener Lohn bezahlt werden, für Unterkunft und Verpflegung sollen sie Ersatz leisten, wobei das Ministerium einen täglichen Satz von 50 Pfennig empfahl.

Die Garnisonsverwaltung Eichstätt wandte sich im November 1914 an die Stadtverwaltung mit dem Betreff: „Beschäftigung von Kriegsgefangenen“. Ausdrücklich wurde vermerkt, dass dadurch heimische Arbeitslose nicht benachteiligt werden dürfen. Im Allgemeinen kämen Arbeiten wie Instandsetzung von Wegen, Abholzungen, Rodungen, Einebnungen, Anpflanzungen, Entwässerungen, Steinklopfer- und Steinbrucharbeiten infrage. Einschließlich Marsch von der Unterkunft zur Arbeitsstätte solle die tägliche Arbeitszeit acht bis zehn Stunden betragen. Die Arbeitsstelle solle nicht weiter als sechs bis acht Kilometer von der Willibaldsburg entfernt sein, in der das Gefangenenlager war.

Das Königliche Hüttenwerk Obereichstätt beschäftigte in den Kriegsjahren französische Gefangene zur Herstellung von Granaten. Wie dem Buch „Eisengießer und Erzschürfer“ zu entnehmen ist, waren unter den 25 Männern, die täglich nach Obereichstätt marschierten, Eisengießer, Former und Schlosser. Das war insofern problematisch, da nach der Genfer Konvention die Verwendung von Gefangenen zur Waffenproduktion untersagt war. Die Franzosen beschwerten sich. Ein deutscher Major hörte ihre Klage an und gab ihnen recht. Künftig wurden die Gefangenen zu Arbeiten eingesetzt, die nicht mit Waffenfertigung zu tun hatten.

Im Dezember 1914 befanden sich in Bayern bereits 43 153 Kriegsgefangene. Die für Bayern im Sommer 1915 herausgegebenen Zahlen verdeutlichen, dass die Versorgung der Männer eine gewaltige Herausforderung war. In Eichstätt waren vier Offiziere und 806 Unteroffiziere und gemeine Soldaten festgehalten, in Ingolstadt 77 Offiziere und 6776 Soldaten. Die Zahlen für 1915 bayernweit: 72 285 Kriegsgefangene aus Frankreich, England, Belgien und Russland.

Im nächsten Beitrag zum Ersten Weltkrieg berichten wir unter anderem über den Plan, durch Kriegsgefangene zwischen Willibaldsburg und Frauenbergkapelle einen Bergeinschnitt graben zu lassen.