Eichstätt
Die Fußball-WM als spannendes Forschungsfeld

28.05.2010 | Stand 03.12.2020, 3:59 Uhr

 

Eichstätt (EK) Passend zur Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika startet an der Katholischen Universität die Vortragsreihe "Fußballkulturen und Geschichte". Ab kommenden Dienstag, 1. Juni, bis 14. Juli befassen sich verschiedene Wissenschaftler mit dieser Sportart als Massenphänomen. x

 Im Falle einer Trennung oder gar Scheidung sind bei jedem Beteiligten große emotionale Verletzungen vorhanden, die vergessen lassen, dass es darum gehen müsste, was für das Kind das Beste ist. "Leider erleben wir solche Auseinandersetzungen immer wieder", erzählen Christa Dietz und Christine Bothe vom Fachdienst Trennung und Scheidung im Amt für Familie und Jugend des Landkreises Eichstätt.

Herr Professor Fischer, Ihr Forschungsfeld ist die Geschichte Lateinamerikas, wo dem Fußball ja beinahe schon eine religiöse Bedeutung zugemessen wird. War das auch eine Motivation dafür, diese Vortragsreihe auszurichten?

Fischer: Ja, bestimmt. Es fällt auf, dass zwei Dinge die Menschen dort in ganz anderer Form als in Europa bewegen: Fußball und Musik, respektive Tanz. Ohne sie können Lateinamerikaner den oftmals schwierigen Alltag nicht bewältigen, nicht glücklich sein. Es gibt unzählige jugendliche Straßenkicker, wobei sich darunter weniger Mädchen als Jungs befinden. Und es gibt viele professionell geführte Fußballschulen – ähnlich wie bei uns. Die Gesellschaften mögen aufgrund der Schere zwischen Arm und Reich, Bürgerkriegen, Drogenhandel und Alltagskriminalität zerrissen sein; aber wenn die Nationalmannschaft spielt, dann fiebern alle mit. Lateinamerika ist ein spiritueller Kontinent, und die Begeisterung für den Fußball kennt keine Grenzen.

Wie wirkt sich das auf die Verehrung der Fußballer aus?

Fischer: Wir befinden uns im Jahr des Bicentenario, des zweihundertsten Geburtstags der lateinamerikanischen Republiken. In diesem Zusammenhang sehen wir wieder einmal, wie stark die Nationen dieser Weltregion dazu neigten und immer noch neigen, komplexe historische und gesellschaftliche Vorgänge auf die glorreichen Taten einzelner Menschen – meistens Männer – zusammenzuschmelzen: auf Bolívar, San Martín oder Hidalgo. . . Auch im Fußball werden Einzelne in den nationalen Kosmos erhoben: Maradona, Pele, Hugo Sánchez . . . Sie sind mehr als nur Idole, sie sind die neuen Helden der Masse der Bevölkerung.

Welche Bedeutung hat der Fußball tatsächlich in Ihrer wissenschaftlichen Betrachtung Lateinamerikas? Ist er eher eine unterhaltsame Randnotiz oder wirklich auch kulturell prägend?

Fischer: Fußball ist ein neues Forschungsfeld, das nicht mehr ausschließlich von Sportwissenschaftlern bearbeitet wird. Seit einigen Jahren nehmen die Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften sowie die Wirtschaftswissenschaften Fußball in all seinen Facetten in den Blick. Wer sich mit Populärkulturen auseinandersetzt, kommt um dieses Thema nicht herum. Fußball ist für die meisten Menschen viel wichtiger als etwa Politik. Deshalb sollten ihn Sozial- und Kulturwissenschaftler als Forschungsgegenstand ernst nehmen – wenn sie die Mechanik der Gesellschaften verstehen wollen. Kurzum, die Untersuchung von Fußballkulturen ist ebenso relevant wie etwa die Erforschung von Verfassungen. Das Eine sollte das Andere nicht ausschließen. Das gilt für Europa und noch viel stärker für die meisten lateinamerikanischen Länder.

Was sind die wesentlichen Unterschiede zum Erleben des Fußballs zwischen Lateinamerika und Europa?

Fischer: Innerhalb Europas gibt es auch große Unterschiede – wenn Sie etwa Deutschland mit Italien, England oder Spanien vergleichen! Fußball ist eine englische Erfindung, es ist spannend zu erforschen, wie der Fußball nach Lateinamerika gebracht wurde und dort als konstitutives Element nationaler Kulturen eine neue Heimat fand. Das verbindet Lateinamerika – mit wenigen Ausnahmen, wie Venezuela, Kuba oder Nicaragua, wo der US-amerikanische Baseball als Nationalsport dominiert – mit Europa. Den entscheidenden Unterschied zwischen Lateinamerika und den meisten europäischen Ländern machen die Rahmenbedingungen aus.

Und die wären?

Fischer: In vielen lateinamerikanischen Ländern funktionieren die offiziellen Institutionen nicht wirklich gut. Man kann sich nicht auf sie verlassen. Die Menschen sind daher stärker auf die Familie, Freunde, klientelistische Netzwerke und informelle Strukturen angewiesen, in denen persönliche Beziehungen eine wichtige Rolle spielen. Deshalb empfinden wir Lateinamerikaner im persönlichen Kontakt oftmals als herzlich und spontan, denn sie glauben mehr an persönliche Beziehungen als an abstrakte Prinzipien. Den Emotionen lassen sie auch im Fußball – sei es als Spieler, sei es als Zuschauer freien Lauf (mit teilweise gravierenden Auswüchsen außerhalb und innerhalb der Stadien). In der Nationalmannschaft manifestiert sich das nationale Kollektiv, das sonst häufig eher schlecht als recht funktioniert. Der Unterschied besteht somit vor allem in den Rahmenbedingungen und in dem, was lateinamerikanische Gesellschaften aus dem Fußball machen.

Sind Sie persönlich auch Fußball-begeistert? Wer ist Ihr Favorit bei der WM, wem drücken Sie die Daumen?

Fischer: Ja, bin ich, auf verschiedenen Ebenen: Fußball ist ein spannender Forschungsgegenstand – gerade auch aus vergleichender Perspektive. Mein Sohn spielt Fußball, und ich begleite ihn gerne zu den Spielen, weil Fußball Kreativität verlangt, die Einhaltung von Regeln verlangt, weil Egoisten nie zum Ziel kommen und auch Niederlagen gemeinsam verarbeitet werden müssen. Das finde ich mindestens so spannend wie die Bundesliga, die ich auch gerne schaue, wenn ich Zeit habe. Ich sehe keinen klaren Favoriten für die WM: Deutschland, Holland, Spanien und Italien sind Anwärter auf den Pokal, sicher aber auch Argentinien und Brasilien. Neben den Deutschen drücke ich ganz besonders Argentinien die Daumen – der Fußball der Albicelestes ist ein echtes Markenzeichen. Unzählige argentinische Kreativspieler tummeln sich in den europäischen Ligen.