Hitzhofen
Die Mitte finden

Wie schwer tut man sich als Anfänger im Luftpistolen-Schießen? Ein Selbstversuch beim Bundesligisten

18.09.2020 | Stand 23.09.2023, 14:12 Uhr
Florian Kurz
Paul Fröhlich schießt mittlerweile hauptberuflich. −Foto: Kurz/Sbarra

Hitzhofen - Stabil stehen, das Gewicht gleichmäßig auf beide Füße verteilen.

Der Blick geht nach rechts über die Schulter zu einem weißen Rechteck mit schwarzem Punkt in der Mitte, zehn Meter entfernt. Sein Durchmesser ist ungefähr so groß wie meine ausgestreckte Hand. Eigentlich hatte ich erwartet, dass ich große Ringe sehe und auf eine fettgedruckte Zehn zielen muss. Ich hebe den Arm und schaue zwischen Daumen und Zeigefinger hindurch - passt schon, schätze ich. Obwohl: Vielleicht ein bisschen höher. Ich hebe die Schulter. "Nein, die muss ganz locker bleiben", sagt Trainer Walter Sbarra, der mich beobachtet.

Ich bin beim Schützenverein SV Hubertus Hitzhofen. Den habe ich für meinen Selbstversuch gewählt, weil die Schützinnen und Schützen ihren Sport hier auf Bundesliga-Niveau betreiben. Trainer Sbarra hat mir die Grundlagen erklärt und ein paar Trockenübungen mit mir gemacht. Schießen wollte ich ausprobieren, weil wir regelmäßig Artikel darüber in der Zeitung bringen, ohne dass ich einen blassen Schimmer davon habe. 387 Ringe? Sagt mir nichts. Außerdem war ich neugierig, was den Reiz dieser Sportart ausmacht. Der Deutsche Schützenbund hat über eine Million Mitglieder und 20 Landesverbände, allein im Schützengau Eichstätt gibt es 30 Vereine. Meine Schieß-Erfahrung hingegen beschränkt sich auf Airsoft-Pistole und Volksfest, der Wehrpflicht bin ich knapp entronnen - zur Musterung musste ich noch, ein paar Wochen später war sie abgeschafft.

Ich lasse die Schulter wieder sinken und hebe stattdessen den Arm ein Stückchen weiter an. So müsste ich doch treffen. Ungefähr.

Hat man die Pistole einmal gegriffen, sollte man sie nicht wieder weglegen, hat Sbarra mir erklärt. Je mehr man danach noch verändert, desto schwieriger ist es, die richtige Körperposition wiederzufinden, die man vorher ohne die Waffe geübt hat. Ich schließe meine Finger um den Griff, ziehe einen Hebel zurück und nehme einen Diabolo aus einer flachen Blechdose - so heißt die Luftpistolen-Munition, 4,5 Millimeter im Durchmesser und so geformt wie eine asymmetrische Sanduhr mit einem längeren und einem kürzeren Ende. Das Ding ist ziemlich klein dafür, dass ich es mit Daumen und Zeigefinger in eine Öffnung friemeln muss.

Geschafft, Hebel wieder zurück, die Luftpistole ist geladen. Meinem ersten Schuss steht nichts (und zum Glück auch niemand) im Weg.

Der Ablauf ist immer derselbe: Man wendet die "Doppelatmung" an. Also gut. Einatmen, tief in den Bauch. Die Pistole heben. Einen Punkt oberhalb des Ziels anvisieren, beim Ausatmen langsam sinken lassen. Kurz stoppen, dann noch einmal einatmen. Beim zweiten Ausatmen noch weiter runter, diesmal bis unter den Punkt, den man treffen will. So weit, so gut. Luftpistolen-Schießen hatte ich mir schwieriger vorgestellt. Atmen und den Arm anheben, das kann ich.

Denke ich noch, während ich ziele und merke, dass etwas nicht stimmt. Sollte jetzt nicht eigentlich alles stabil in der richtigen Position sein, die Hand und die Pistole ruhig? Da habe ich wohl etwas falsch gemacht. Ich versuche, Kimme und Korn in eine Linie zu bringen, wie ich es gerade bei der Trockenübung gelernt habe - aber das Korn vorne zuckt und ruckt nach links und rechts, obwohl ich gar nicht das Gefühl habe, mich groß zu bewegen. Ich will das hektische Hin und Her ausgleichen, das an der Spitze der Waffe herrscht, aber mache es nur noch schlimmer. Als würde beim Computer die Maus verzögert reagieren und man sie durch ungeduldiges Ruckeln immer weiter von der Bildschirmmitte abbringen, bis der Mauszeiger am Ende in irgendeiner Bildschirmecke klebt.

Was soll's - ruhiger wird meine Hand nicht. Höhe und Richtung stimmen ja grob, also los. Ich drücke ab.

Nach dem Schuss lege ich die Luftpistole wieder hin und schaue auf den Bildschirm über mir. Darauf sind die Kreise der Schießscheibe zu sehen (die, von denen ich dachte, man würde sie vorn "in echt" sehen). Eigentlich sollte er jetzt anzeigen, wo ich getroffen habe. Aber da leuchtet nichts. Trainer Sbarra grinst. "Schau mal nach vorn", sagt er. Mein Blick wandert wieder zurück zur Schießscheibe Nummer 8, auf die ich gezielt habe. "Siehst du da oben das kleine Loch in der Wand? ", fragt er. Ich gucke ihn an. "Echt? ", frage ich. So weit soll der Schuss daneben gegangen sein? "Nicht schlimm", sagt er, "kann man alles überstreichen. "

Ich zweifle kurz am Trainer, meinem Optiker und den physikalischen Gesetzen am Schießstand, bis ich einsehe: Na gut. Es lag an mir.

Sbarra erklärt mir, dass die kleinen Bewegungen, die Kimme und Korn vor meinen Augen machen, nicht klein bleiben. Es ist so, wie wenn man einen zehn Meter langen Stock in den Händen hält - eine kleine Drehung im Handgelenk macht am anderen Ende viel aus.

"Aber mach einfach noch ein paar Mal", ermutigt Walter mich, dreht an einem Rädchen an der Luftpistole und erklärt: "Die Waffe ist nicht auf dich eingestellt. " Weil mein erster Schuss so weit nach oben ging, verstellt Sbarra die Kimme so, dass die Waffe tiefer schießt als ich ziele. So zumindest verstehe ich es.

Außer uns sind noch andere Schützen hier, ich schiele nach links und rechts; die Bildschirme der anderen zeigen ausschließlich Treffer um die inneren Ringe an. Aber die jungen Frauen und Männer gehören schließlich auch zum Bundesliga-Team oder zum Bayern-Kader. Trotzdem wäre es eine ziemliche Blamage, wenn ich lauter Löcher in die Wand ballern würde. In meinem Kopf taucht das Klischee vom Großstadt-Kind auf, das keinen Wehrdienst geleistet hat - wahrscheinlich würde man mir dann auch die Fähigkeit absprechen, einen Nagel gerade einzuschlagen oder einen Reifen zu wechseln. Obwohl ich eigentlich gar nicht glaube, dass die Schützinnen und Schützen beim SV Hubertus verbohrt sind und so etwas denken würden; das Klischee, das ich immer von Schützenvereinen hatte, erfüllen sie nämlich nicht. Es bestand hauptsächlich aus Folklore und Lodenjacken-tragenden bayerischen Dorf-Urgesteinen, aber Schützen scheinen doch eher moderne Präzisionssportler zu sein.

Mit dieser Haltung geht es also an den zweiten Schuss. Meine Hand ist schwitzig geworden und zittert leicht - immerhin geht es jetzt um meine Ehre, vor allem weil ich mir doch etwas darauf einbilde, eher geschickt zu sein. Trotzdem tanzen Kimme und Korn noch umeinander, aber ich habe das Gefühl, für einen ganz kurzen Moment werden sie ruhiger - der zweite Schuss geht nicht mehr in die Wand. Puh, Glück gehabt. Sbarra muss nachher keine Malerkolonne ins Schützenhaus bestellen. Ich schieße weiter und komme langsam rein, das Auf-sich-Achten macht Spaß: der Moment der Konzentration, die Ruhe, das Gefühl, seine ganze Aufmerksamkeit auf einen Bereich ein paar Zentimeter vor den Augen zu richten. Denn Kimme und Korn sind wichtiger als der schwarze Zielpunkt, den kann man ruhig verschwommen sehen, erklärt Sbarra. Deshalb tragen die anderen Schützen spezielle Brillen, an denen eine Art Blende angebracht ist, wie bei einer Kamera. Durchs Öffnen und Schließen kann man die Schärfe in Nähe und Tiefe verändern, also wie scharf man Kimme, Korn und Zielscheibe sieht. Damit könne man herumspielen, sagt Sbarra. Mir reicht erst einmal mein unbewehrtes Auge. Was ich aber schon gern hätte, ist die zweite Funktion der Spezialbrille: ein Blättchen, das das andere Auge zudeckt, denn auf Dauer ist es anstrengend, es zuzukneifen. Die Profischützen benutzen die Vorrichtung auch deshalb, weil sich das offene Auge leicht verändert, wenn man das andere zukneift, und das will man vermeiden, weil man dann schlechter sieht. Sie müssen schon auf kleinste Veränderungen achten, weil sie nur erfolgreich sein können, wenn sie den exakt gleichen Ablauf immer und immer wieder üben, bis er in ihrem Muskelgedächtnis verankert ist.

Der Beste in der 1. Luftpistolen-Mannschaft ist Paul Fröhlich, 22 Jahre alt. Wie erreicht man im Luftpistolen-Schießen wohl dieses Level? Ich frage Paul nach seinem Werdegang und bin überrascht über die lapidare Antwort: "Ich habe mit Fußball aufgehört und wollte Sport machen. Es gab zwei Vereine im Ort - Fußballverein und Schützenverein. " Also ging er zum SV Hubertus. Ein paar Jahre hat er hier einmal die Woche geschossen, irgendwann wurde er besser. "Dann hatte ich einfach mehr Bock. " Zur gleichen Zeit baute Sbarra das Team der 2. Bundesliga um und verjüngte es, ihnen gelang der Aufstieg in die 1. Liga.

Mittlerweile schießt Fröhlich hauptberuflich. Er hat sich bei einem Spitzensport-Förderprogramm der Polizei beworben und trainiert mittlerweile so viele Stunden, wie andere ihrer Erwerbsarbeit nachgehen. Im Gespräch nimmt er sich Zeit zum Antworten, spricht bedächtig. Überhaupt strahlt er Ruhe aus. Vielleicht kommt das automatisch, wenn man Stunde um Stunde auf den eigenen Atem und Arm achtet und versucht, die Mitte eines schwarzen Lochs zu treffen. Oder es können nur ruhige Menschen erfolgreiche Schützen werden.

Worauf es beim Schießen ankommt, möchte ich von ihm wissen. Er überlegt. "Alles zielt darauf ab, den Schuss in die Mitte zu bringen. " Für mich ungefähr so hilfreich wie "das Runde muss ins Eckige", aber es zeigt, dass es beim Schießen nicht um Strategie und Theorie geht, sondern um die Beherrschung des eigenen Körpers, um genaue Beobachtung, um Übung und Wiederholung. Zum Beispiel darf beim Abdrücken nur der Zeigefinger bewegt werden, und wirklich nur der. Alle anderen Finger, die Handfläche, das Handgelenk müssen so bleiben, wie sie sind, sonst verzieht man die Waffe, erklärt Sbarra.

Mittlerweile bin ich schon über eine Stunde hier, mein Arm wird langsam schwer. Rückstoß haben die Waffen so gut wie keinen, aber sie während des Zielens ganz still zu halten, ist anstrengend. Bei einem Bundesliga-Wettkampf haben die Schützinnen und Schützen 40 Wettkampfschüsse in 50 Minuten, knapp eine Stunde stehen sie also am Schießstand. Sbarra reicht mir eine leichtere Waffe - so rächt sich vernachlässigtes Fitness-Training.

Dafür bin ich mittlerweile ruhiger geworden und fühle mich wohler. Alles landet ungefähr dort, wo es hin soll, obwohl Kimme und Korn noch weit davon entfernt sind, komplett zu ruhen. Aber immerhin zucken sie nicht mehr, sondern schweben eher.

Am Ende treffe ich sogar noch die (unsichtbare) Zehn in der Mitte. Damit ist mein Anfängerpech durch Anfängerglück wieder ausgeglichen, denke ich und lasse es vorerst gut sein. Ein paar Trainingseinheiten will ich aber irgendwann doch noch machen. Selbst, wenn ich es nicht bis in die Bundesliga schaffe.

EK

Florian Kurz